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Holger Artus

Betr.: Geisler, Hellkamp 36 und Osterstraße 104

Den Nachbarn um den Hellkamp 36 und der Osterstraße 104 habe ich die Tage eine Nachbarschafts-Info über die Familie Geisler in die Briefkästen gesteckt. Sie gehörten zu den über 330 Sinti und Roma, die am 11. März 1943 von Hamburg nach Auschwitz deportiert wurden. Mit einer Kundgebung am Montag, den 13. März 2023 vor der Ganztagsgrungschule Sternschanze wollen wir daran erinnern.

Zur Vorbereitung gehört, dass an ausgesuchten Adressen die heutige Nachbarschaft über die damalige Bewohner:innen erinnert und einiges über sie erzählt werden soll. Aus der Recherchen ergaben sich neue Informationen über verfolgte, deportierte und ermordete Sinti und Roma. Die Anlage der Kontaktaufnahme mit der Nachbarschaft führte zu weiteren Gesprächen vor Ort, wo ich sehen muss, was daraus resultiert. Die Reaktionen sind alle sehr aufmerksam und noch nicht beendet.

Seit 1940 lebten Marie und Peter Geisler mit ihren Kindern in einer Kellerwohnung im Hellkamp 36. Marie Lauenburger (geb. 22. März 1903) war mit Peter Geisler (geb. 14. April 1899) verheiratet. Zusammen mit ihren Kindern Johann (1. November 1924), Paul (10. Februar 1927), Elly (17. Mai 1929), Marianna (29. April 1931) und Agnes (20. Januar 1933) wurden sie von der Kriminalpolizei am 11. März 1943 zum Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity) gebracht und nach Auschwitz verschleppt. Ihre Tochter Anna (geb. 29. August 1922) und deren Kinder Gisela (geb. 14. September 1940) und Doris (22. September 1942) wohnten zu diesem Zeitpunkt in der Osterstraße 104. Sie wurden auch verschleppt.

An diesem Tag wurden über 330 Sinti und Romas von Hamburg nach Auschwitz deportiert. Marie Geisler starb dort am 8. November 1943. Die Kinder der Familie Geisler gingen in Eimsbüttel zur Schule. Johann Geisler hatte vor der Deportation eine Klempner-Lehre angefangen, Marianna ging z.B. in die Schule Schwenckestraße 91/93 (heute Wolfgang Borchert Schule).

Das Besondere an den Geislers, im Unterschied zu den meisten aus Hamburg Verschleppten: Sie haben den Porajmos fast alle überlebt. Sie wurden ab April 1944 von Auschwitz ins KZ Buchenwald (Peter, Paul, Johann) bzw. Ravensbrück (Elli, Marianne, Agnes und Anna sowie ihre Tochter Gisela) bzw. später in KZ Außenlager Schlieben (von KZ Buchenwald) zur Zwangsarbeit verlegt. Marianna musste bei den Hasag Werken in Altenburg bei Leipzig arbeiten.

Hugo Schneider AG (HASAG) war ein deutsches Rüstungsunternehmen, welches in den letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkrieges Panzerfäuste produzierte. Die vier Männer der Familie Geisler wurden vom KZ Buchenwald am 28. Oktober 1944 ins KZ-Außenlager nach Dora-Mittelbau im Harz verschleppt. Mittelbau-Dora steht exemplarisch für die Geschichte der KZ-Zwangsarbeit und der Untertageverlagerung von Rüstungsfertigungen im Zweiten Weltkrieg. Mehr als 60.000 Menschen aus fast allen Ländern Europas, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich, mussten zwischen 1943 und 1945 im KZ Mittelbau-Dora Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten. Jeder dritte von ihnen starb.

Von Mittelbau-Dora wurden die vier Geislers nach Bergen-Belsen verschleppt. Agnes und Anna wie ihre Tochter Gisela wurden nach dem KZ Ravensbrück im KZ Mauthausen zur Zwangsarbeit eingesetzt. Von dort führte ihr Weg ins niedersächsische Vernichtungslager Bergen-Belsen, dem wohl schlimmsten Ort, wenn man Erzählungen von NS-Opfer liest.

Marianna und Elli kamen Anfang 1945 nach Hamburg ins KZ Außenlager Sasel/Poppenbüttel und wurden dort zur Zwangsarbeit eingesetzt. Die Frauen aus dem Außenlager mussten hier für die Firmen Möller und Wayss & Freytag beim Bau von Behelfsunterkünften in den Hamburger Stadtteilen Poppenbüttel und Wandsbek arbeiten. Darüber hinaus waren einige Häftlinge auf dem Heiligengeistfeld eingesetzt, um für die Firmen Moll und Kowahl & Bruns aus Trümmerschutt Betonplatten herzustellen. Weitere Einsatzorte waren Sternschanze, St. Pauli, Altona und Freihafen sowie die S-Bahnstation Rübenkamp in Barmbek.

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