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Holger Artus

Meine kurzen Bezüge zu Erika Estis

In der Nacht zum 14. Januar 2023 ist Erika Estis mit 100 Jahren in New York gestorben. Die Gedenkstätte der Israelitischen Töchterschule und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme haben unmittelbar mit einem Tweet reagiert und an sie erinnert. 

Die Gedenkstätte der Israelitischen Töchterschule betont, dass es sich um eine ehemalige Schülerin in der Karolinenstraße 35 handelte. „Erika wurde 16jährig mit einem Kindertransport gerettet. Wir danken ihr, dass sie ihre Erinnerungen immer wieder mit uns teilte.“ 

Die Gedenkstätte Neuengamme schreibt zu ihr, „… die mehrfach Hamburg (besuchte) und nahm großen Anteil an dem Prozess zur wissenschaftlichen Untersuchung der Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Hamburg und der Rolle des Hannoverschen Bahnhofs für die Deportationen aus Hamburg und Norddeutschland. Für die 2009 gezeigte Ausstellung „In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti 1940 bis 1945“ stellte sie Fotos und Dokumente zur Verfügung. Auf ihrer Web-Seite erinnert sie noch einmal an Erika und ihre Lebenstationen.

Die MOPO vom 17. Januar 2023 widmete dem Tod von Erika Estis eine ganze Seite. Sie schreibt von einer „großen Hamburgerin“, die 100-jährig in den USA gestorben ist. „Ihre Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Und auch sie selbst hätte die Nazi-Diktatur wohl nicht überlebt, wenn sie nicht mit einem Kindertransport 1938 nach Großbritaninen in Sicherheit worden wäre.“

Die Eimsbütteler Nachrichten haben wiederholt über Erika geschrieben und zu anlässlich in sie erinnert. „Ihre Eltern starben in Auschwitz. Sie überlebte. Trotz der Erinnerungen kam Erika Estis immer wieder nach Hamburg und klärte über die Schrecken dieser Zeit auf. Nun ist die einstige Eimsbüttelerin verstorben.“

Mein Bezug zu Erika ergibt sich aus der Tatsache, dass sie bei uns im Viertel in den 1920er und 1930er Jahr gelebt und aufgewachsen ist, in dem ich mich erst seit einigen Jahren erinnerungspolitisch engagiere. Anna von Villiez, die Leiterin der Gedenkstätte der Israelitischen Töchterschule, half mir bei der Planung  einer virtuellen Veranstaltung im April 2021 zum Raubkauf der Israelitischen Töchterschule durch die Hamburger Schulbehörde und der Beteiligung der NS-Schulleiterin der Schule Schanzenstraße. Sie vermittelte mir den Kontakt zu Erika Estis und schnell kam es zu einem Face-Time-Gespräch, in dem ich ihr den Charakter der Veranstaltung erzählte. Sie hörte aufmerksam zu, immer mit einem sehr freundlichen Gesicht. Zu erst musste ich ihr die geographische Lage von der Schule Schanzenstraße beschreiben.

Als wir gedanklich durch den Schanzenpark von der Töchterschule zu ihr nach Hause in die Fruchtallee gingen, konnte sie etwas mit meiner Beschreibungen anfangen. „Mein Schanzenpark“, sagte sie. Sie beschrieb mir eine Straßenbahnfahrt bis an die Haltestelle Fruchtalllee . Obwohl es an dem Abend draußen bei uns stockdunkel war, zeigt ich ihr mit dem IPad die ehemalige Werkstatt ihres Onkels, Heimann Freundlich, in der Agathenstraße 7. Ich glaube nicht, dass sie etwas erkannte, aber sie nahm mich freundlich mit. Im Nanny Jonas-Stift in der Agathenstraße 3, wohnte väterliche Seite ihre Großmutter. Ich erzählte vom Haus heute, der Erinnerung an die jüdischen Bewohner:innen und auch an die NS-Opfer aus der Zeit des „Judenhauses“. Auch sprach ich davon,  das meine Tochter für mich eine Patenschaft für Clara Nachum übernommen hätte. Auf die Veranstaltung bezogen wollte sie wissen, um was es genau geht und was ich von ihr genau erwarte. Nach dem das geklärt war, wurde noch der Ablauf und die Technik der virtuellen Übertragung besprochen. Sie und ihre Tochter hörten genau zu und waren einverstanden.

Das sie Humor hatte, merke ich in einer weiteren Videoschalte und der virtuellen Veranstaltung selber. Natürlich klappte es nicht so wie es technisch mir vorgestellt hatte, aber Erika hatte Geduld ohne Ende und probierte jedes Video-Medium aus, so dass wir endlich live auf Sendung waren. Also mir in der internen Schaltung der Film riss und ich wütend „SCH…“ brüllte, lachte sie mich aus. Ich wollte die Technik biegen, sie bleibt ruhig und erzählte dann für die Teilnehmer:innen über ihre Erinnerungen an die Schule, an Lehrerinnen, den Weg durch den Schanzenpark nach Hause, als sie mit einem Kindertransport 1938 nach England fliehen konnte und wie die Trennung von ihren Eltern war.

Mein Ansatz in der Erinnerungsarbeit ist die Nachbarschaft, in der die NS-Opfer als Nachbarn wohnten und noch nicht um die volle Niedertracht der damaligen Mieter:innen wussten. Also habe ich wiederholt, anlassbezogen, Nachbarschafts-Info an der Ecke Vereinsstraße/Fruchtallee verteilt. Das letzte Mal hatte ich im November 2022 „ihre“ Nachbarn zu einem Treffen an den Stolpersteinen von Irma und Paul Freundlich anlässlich Erika 100. Geburtstag eingeladen. Ob jemand kommt, war und ist fast immer offen, aber ich blieb mit der Hamburger Freundin von Erika, Astrid Louven, an diesem Abend nicht alleine.

Zum 14.November 2022 konnte ich mich an der Produktion eines Videos zu Erika 100. Geburtstag beteiligen. Ihre Hamburger Begleiterinnen in der Erinnerungsarbeit sendeten ihr von Hamburg nach New York Geburtstags-Glückwünsche. Ich nahm deren Texte auf und schnitt den Film. Aber am aufmerksamsten hörte ich deren Erzählungen über Erika zu, aus ihren Begegnungen mit ihr und welchen Stellenwert für sie die Zusammenarbeit mit Erika hatte. Auch das war sehr beeindruckend.

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