Seit einigen Jahren beteilige ich mich an der Organisierung einer Erinnerungsaktivität bei uns im Wohngebiet an die Novemberpogrome von 1938.
Die Gewinnung von Teilnehmer:innen wird schwerer, nicht weil das Thema bedrückt oder in der Gesellschaft weniger Stellenwert hat. Es gibt aktuell aber Themen, die Menschen stark verunsichert, die sie abhalten. Man muss m.E. in der Argumentation noch erzählender argumentieren. Warum man sich treffen sollte, muss man natürlich schon sagen.
Am 9. November 1938 riefen die Nazis überall in Deutschland zum Terror gegen jüdische Einrichtungen, Menschen und deren Geschäfte auf. In Hamburg wurden alle Synagogen in Brand gesteckt. Gusti Zucker, die in der Schäferkampsallee 41 wohnte, flüchtete vor dem wütenden Mob aus dem Geschäft am Neuen Wall nach Hause. Ivan Andrades Geschäft in der Bellealliancestraße 66 wurde zerstört, genauso ging es Artur Prager in der Bellealliancestraße 68. Beide wurden zunächst zur Polizeiwache in der Bundesstraße 96 geschleppt. Auf dem Weg nahm die Hamburger Polizei noch Alfred Wagner, Paul und Michael Belmonte aus der Schäferkampsallee 11 fest und lud sie ebenfalls auf den Mannschaftswagen. Die Verschleppten wurden fast alle für Monate im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Paul und Michael Belmonte wurden in Fuhlsbüttel zu Tode geprügelt. Die jüdische Werkschule in der Weidenallee 10 b/c wurde für einige Tage geschlossen, aus Angst, dass den Lehrlingen vom Mob aufgelauert würde.
Obwohl damals weniger als 17.000 Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs (1,4 Prozent) jüdisch waren, gelang es der NSDAP und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), einer rechts- konservativen Partei, jüdische Menschen als Feindbild zu verankern, die die deutsche “Rasse” bedrohen und zerstören würden. Einige Tage vor den November-Pogromen wurden am 28. Oktober 1938 Tausende polnische Juden deportiert, darunter die Familie Pinkus aus der Bartelsstraße 9/11 und Ilse Sambor aus der Bartelsstraße 72. Am 9. November 1938 gingen die Nazis zu Zerstörung und Terror gegen die deutschen Juden über. Damals wollte man sie durch diese Aktionen mit allen Mitteln noch aus Deutschland vertreiben. Wenig später ging man zur Vernichtung über, sprich zu den Deportationen in die Vernichtungslager ab 1941. Sichtbar bei uns im Viertel wurde es im Juli 1942. Über 1.700 jüdische Menschen wurden über die Schule Schanzenstraße verschleppt, nur wenige überlebten.
Dass viele nichtjüdische Menschen das Bild der Nazis übernahmen, dass sie die Hetze gegen eine kleine Gruppe mittrugen, sie im Alltag ausgrenzten, beschimpften und ihre Vertreibung bejubelten, sich an ihrem Eigentum bereicherten, das alles ist heute für uns eine erschütternde und eine kaum vorstellbare Realität.
Wir leben heute in demokratischen Verhältnissen. Eine derartige, systematische, staatlich verordnete, gewaltsame Ausgrenzung und Hetze gegen Minderheiten, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus oder Antiziganismus werden heute von der Gesellschaft, Politik und Staat nicht toleriert, werden gesetzlich geahndet.
Wir möchten Sie einladen, an unserer Kundgebung am Mittwoch, den 9. November 2022, um 18 Uhr im Haupteingang der Ganztagsgrundschule Sternschanze teilzunehmen, auf der wir an die Pogrome gegen jüdische Menschen erinnern. Hier befinden sich die Namen der über 1.700 deportierten jüdischen Menschen vom Juli 1942 nach Theresienstadt/Terezin in der CSR, an einer metallenen Wand, die erst in diesem Jahr angebracht wurde.
Aufrufen möchten wir Sie, an den Stolpersteinen bei uns im Viertel am 9. November 2022 Kerzen aufzustellen. Setzen auch Sie ein sichtbares ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus.