Die Einsichtnahme in die Personalakte von Ruth Kellermann offenbarte, wie tief die Schulbehörde noch in den 1970er Jahren in der Beschäftigung von Nazis im Staatsdienst verstrickt war. Kellermann wurde im September 1970 als nebenberufliche Lehrerin eingestellt, trotz des Wissens der Schulbehörde um ihre Beschäftigung in der „Rassehygienischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes“ in Berlin und Hamburg in der NS-Zeit.
Begründung für die Verantwortlichen war der angebliche Mangel an Lehrkräften an der Hauswirtschafts- und Fachoberschule Uferstraße. Kellermann hatte ihre Tätigkeit in der NS-Zeit in ihrem Lebenslauf nicht verschwiegen. Am 10. September 1970 schrieb der Leitende Oberschultat an den Personalrat für Lehrer/innen an berufsbildenden Schulen, dass man beabsichtige, Dr. Ruth Kellermann einzustellen. Liest man heute den Schriftverkehr und den Ablauf, dann lässt sich vermuten, dass die Oberschulrätin Julia Klages zu einer Seilschaft gehörte. Die Art wie sie die NS-Geschichte von Kellermann im Schriftverkehr runterspielte, führte bei mir zu der Vermutung.
Zuerst äußerte der Personalrat für die Berufsbildenden Schulen Bedenken und suchte am 15. September 1970 das Gespräch mit Klages. Da sie zu dem Zeitpunkt nicht zu erreichen war, führte jemand anderes das Gespräch mit dem Personalrat. In einer handschriftliche Notiz darüber an Klages hieß es. „Er hat Bedenken, weil Frau Dr. K. von 1938 bis 1945 wissenschaftlich am rassenhygienischen Institut tätig war.“
Doch statt den Bedenken nachzugehen, um sich in Szene über das Wirken von Dr. Kellermann zu setzen, beschäftige sich sie in ihrem Schreiben vom 22. September 1970 bezüglich der Vergangenheit nicht mit den Bedenken, sondern mit der Bezahlung von Kellermann im Zusammenhang mit der Anrechnung ihrer Berufsjahr in der NS-Zeit. „Zu dem Hinweis auf ihrer Tätigkeit im dritten Reich müsste entschieden werden, ob wir jetzt nach 25 Jahren rechnen“ müssen. Inhaltlich kommentierte sie nur: „Mit 21 Jahren begann sie ihre Tätigkeit in dem Institut, kann also keine verantwortliche Arbeit geleistet haben.“ Zu ihrer Befähigung als Lehrkraft schrieb sie weiter an den Personalrat, das sie am 28. August 1970 an einer Lehrprobe bei Frau Kellermann teilgenommen hätte. „Die Stunde war systematisch und verlief sehr zufriedenstellend.“ Für sie war Frau Kellermann eine „Persönlichkeit“. “Die Schulleitung und ich waren der Meinung, dass Frau Kellermann den Unterricht übernehmen kann.” Weiter schrieb sie dem Personalrat, dass sie die Schülerinnen gefragt hätten: “Man merke, dass Frau Kellermann studiert habe.”
Am Ende stimmte der Personalrat Ende September 1970 zu. Er hatte trotz der vorliegenden Informationen auch nicht die Haltung eingenommen, der Sache nachzugehen. Kellermann wurde zum 1. Oktober 1970 an der Hauswirtschaftsschule Uferstraße eingestellt.
Ich erinnere mich, im Unterschied zu der Oberschulrätin, an den Unterrichtsinhalt von Kellermann in der Fachoberschule Uferstraße 1973 im Fach “Soziallehre”. Sie beschäftigte sich mit den rassistischen Lehren von Konrad Lorenz. Er war 1938 in die NSDAP eingetreten und Mitarbeiter des „Rassenpolitischen Amtes der NSDAP“. Für das Aufnahmegespräch hatte er damals handschriftlich vermerkt. „Schließlich darf ich wohl sagen, daß meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht!“
Es gab mit Dr. Kellermann über den Nazi-Lorenz und seine Anhänger nach 1945 immer wieder erheblichen Streit im Unterricht. Den Schwachsinn von Konrad Lorenz und Eibelsfeld wollten wir nicht akzeptierten. Wir hatten es im Schülerrat zum Thema gemacht wie in unseren Veröffentlichungen.
Der damaligen Schulleitung war es egal. Von ihrer „Rasse-Forschungen“ hatten wir damals keine Ahnung. Wäre es bekannt geworden, Schüler- und die Lehrerschaft wären aufgestanden. Auch hier war das Verhalten der Schulbehörde schädlich gewesen. So wehrten wir uns nur gegen ihren Nazi-Scheiß im Unterricht.
Ab dem 1. August 1975 wurde sie Teilzeitlehrerin an der Schule „Am Brekelbaumsparkt“. Ihre Berufsbezeichnung wurde von der Schulbehörde mittlerweile als “Soziologin” angegeben. Hier unterrichtete sie weiterhin im Fach “Sozial- und Verhaltenslehre”. Ihre Rolle und Tätigkeit bei den Nazis war endgültig durch die Schulbehörde gelöscht.
Da ab dem 1. Juni 1976 ihre Unterrichtsstunden reduziert wurden war, nahm sie zum 1. Oktober 1976 bei der VHS Hamburg einen Lehrauftrag an, die ebenfalls zur Schulbehörde gehört(e). Zum 100jährigen Jubiläum der Hamburger VHS hatte Hauke Friederichs zur Geschichte der VHS geschrieben und auch zu NS-Zeit recherchiert. „73 Kursleitende, die in der Zeit des Nationalsozialismus unterrichtet hatten, durften weitermachen. Auch Blättner behielt sein Amt. Mit ihm wollten die Briten den demokratischen Neuanfang wagen, die VHS sollte erneut dabei helfen, die Hamburger für die Demokratie zu begeistern. Doch dann häuften sich die Beschwerden über „den braunen Blättner“. „
Auch bekam Kellermann weitere Aufträge durch die Schulbehörde für die Schülerhilfe in der Papenhuser Straße, gegenüber dem Bahnhof Barmbek.
Von der Schulbehörde wurde sie bis 1982 beschäftigt. 1984 erstattete die Roma und Sinti Union gegen Ruth Kellermann Strafanzeige wegen ihrer Tätigkeit im NS-Staat und ihrer „Stammbaum-Forschung“, die zur Verfolgung, Deportation und Ermordung von Roma in Sinti in der NS-Zeit geführt hatten.