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Holger Artus

Zwei Stolpersteine für Henriette und Anna Frankfurter vor der Bundesstraße 43 verlegt

Anfang April 2022 wurden zwei Stolpersteine für Henriette und Anna Frankfurter vor der Bundesstraße 43 verlegt. Die beiden bisherigen für Lilly Lindenborn und Ellen Meyer wurden ebenfalls mit den neuen zusammen geführt.

Die Nachbarschaft um das Gebäude habe ich heute über die Personen informiert und sie zu einem Treffen an den Steinen an 14. April 2022 eingeladen.

Henriette Frankfurter

Henriette Frankfurter, geboren am 27. Februar 1876, wohnte von 1926 bis 1930 bei ihrer Mutter Ernestine in der Bundesstraße 43. Sie war seelisch stark belastet und musste betreut werden. In einem Arztbericht aus dieser Zeit wird von “Schizophrenie” gesprochen. Ihr Bruder, Berthold Frankfurter, der in Barcelona lebte, und ihr Neffe, Paul Marcus, kümmerten sich um ihren Unterhalt. Nach dem Tod ihrer Mutter 1930 lebte sie erst im “Heim für jüdische Mädchen” in der Innocentiastraße 19-21. Im Februar 1935 wurde sie ins Krankenhaus Langenhorn eingewiesen, das zu dem Zeitpunkt rund 2.000 Betten für psychisch kranke Frauen und Männer vorhielt. Später kam sie in das “Versorgungsheim Oberaltenallee”. Ihr Arzt setzte sich für einen patientengerechten Umgang mit ihr ein. Paul Marcus hatte das nötige Geld dafür: „Wenn die neue Einrichtung, teurer ist als ihr Versorgungsheim, so würde ich bitten, mir die Differenz zu nennen. Ich würde höchstwahrscheinlich die finanzielle Frage in befriedigender Form lösen.” Er sagte weitere finanzielle Unterstützung zu, so dass Henriette in eine Privatpflege in der Rappstraße 15 unterkommen konnte. “Sie hat bei Kr. ein bescheidenes, helles und sauberes Zimmer.”

Die Verfolgungs-, Vertreibungs- und Vernichtungsstrategie der Nazis änderte sich ab 1938 grundlegend. Paul Marcus war 1939 nach den November-Pogromen geflohen. Henriette Frankfurter musste in verschiedene Einrichtungen einziehen, zunächst in das jüdische Altenheim “Nordheim Stift” in der Schlachterstraße (heute Stresemannstraße). Den Deportationsbefehl nach Theresienstadt erhielt sie während ihres Aufenthaltes im “Judenhaus” in der Schäferkampsallee 25/27.  Am 12. März 1943 wurde die dann 67-Jährige nach Theresienstadt/Terezin verschleppt. Sie starb am 22. August 1944 im Ghetto.

Anna Frankfurter

Henriettes ältere Schwester Anna war am 29. September 1872 in Hamburg geboren. Wegen seelischer Belastungen hielt sie sich von 1895 bis 1897 in der Anstalt Friedrichsberg auf und war zeitweise Bewohnerin des ehemaligen Mädchenwaisenhaus im Laufgraben 37, bei Ihnen um die Ecke. Im Juni 1924 wurde sie ins Krankenhaus Langenhorn eingewiesen. 1932 erfolgte eine Verlegung nach Lübeck-Strecknitz. Hier befand sich seit 1930 eine Abteilung, die die Stadt Hamburg finanzierte. 

Für die Nazis hatten psychisch kranke Menschen keinen Lebenswert. Eine fürsorgliche Pflege und Ernährung gab es nicht: Wog sie bei ihrer Ankunft in Strecknitz noch 62 Kilogramm, kam sie 1937 nur noch auf 56 Kilogramm, im Frühjahr 1940 wurden 49,5 Kilogramm vermerkt. In der Krankenakte sind dafür keine besonderen Gründe notiert, so dass der Gewichtsverlust die Folge von einer chronischen Unterernährung gewesen sein dürfte, stellt der Historiker Ingo Wille fest. Am 16. September 1940 wurde sie erneut nach Langenhorn verschleppt. Und nur eine Woche später zusammen mit anderen Patientinnen und Patienten aus den umliegenden Bundesländern, in die Landes-Pflegeanstalt in Brandenburg an der Havel abtransportiert. Noch am selben Tag wurden sie in dem zum Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthaus mit Kohlenmonoxid vergiftet.

In den Jahren 1939 bis 1945 ermordeten Psychiater und Pflegende mehr als 300.000 Kranke in deutschen psychiatrischen Anstalten, Pflege- und Wohlfahrtseinrichtungen. Die dabei erprobten Mittel zur Tötung – insbesondere Kohlenmonoxid in Gaskammern – kamen auch später in der Shoah zum Einsatz.

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