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Holger Artus

Zur Behinderung der Erinnerung an die Deportation im Juli 1942 beim Montblanc-Haus

Der Eigentümer des Montblanc-Gebäudes im Schanzenviertel will nicht, dass wir uns im Durchgang Schanzenstraße/Bartelsstraße im Juni 2022 treffen. Es soll an Daniel Dublon erinnert werden, der sein Büro bis zum Machtantritt der Nazis 1933 in dem Gebäude hatte. Er und seine Familie wurden am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt deportiert. Dublon wohnte in der Schanzenstraße und war Viehhändler auf dem Schlachthof.

Der Durchgang gehört dem Eigentümer und es ist sein Recht, aber fragwürdig bleibt es, weil es ein quasi öffentlicher Durchgang ist. Hier treffen sich ständig Menschen, vermutlich mehr als wir für den Tag im Juni geplant hatten. Heute habe ich die Nachbarschaft über den Vorgang informiert, letzte Woche die gewerblichen Mieter:innen in dem Montblanc-Gebäude. Hier die verteilte Info:

Am 15. und 19. Juli 2022 ist  der 80. Jahrestag der Deportation von über 1.700 jüdischen Menschen über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin. Dazu planen wir als Initiative hier im Wohngebiet um den Sternschanzen-Bahnhof am 15. Juli 2022 eine Kundgebung auf dem Gelände der heutigen Ganztagsgrundschule Sternschanze. Im Vorfeld möchten wir auch vier kleinere dezentrale Aktivitäten in der Nachbarschaft anbieten, bei denen wir einzelne Deportierte vorstellen und an sie erinnern wollen. 

Ich bin mir bewusst, dass Sie derzeit vermutlich eher das Geschehen in der Ukraine beschäftigt. Dass zehntausende Schülerinnen und Schüler in Hamburg auf die Straßen gegangen waren, macht Mut. Mich umtreibt dieser Krieg ebenfalls sehr. Die russische Armee muss raus aus der Ukraine, und zwar ganz raus. Ich möchte nicht in einer unter ständigen Spannungen befindlichen Welt leben, die immer aufgerüsteter ist und in der sich gegenseitig mit Ideologien befeuert wird, um das zu tun, was man längst geplant hatte. Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Auch wenn dies alles keine schönen Tage sind, möchte ich bei aller Empörung und den Sorgen wegen des Überfalls Rußland auf die Ukraine dennoch an die NS-Zeit und ihre Opfer erinnern. Ich hoffe, Sie haben Verständnis.

Um was geht es? Geplant war Ende Juni eine Lesung im Durchgang Schanzenstraße/Bartelsstraße auf Höhe von Kino 3001 zur Familie Dublon, die eng mit dem Viertel verbunden war. Doch das hat der Eigentümer des Montblanc-Hauses über die HWS Immobilien- und Vermögensgesellschaft GmbH als Verwalter das jetzt verboten. Gründe wurden nicht genannt. 

Daniel Dublon war Viehhändler und Vorsitzender des Zusammenschlusses der Viehhändler auf dem Schlachthof. Er wohnte seit 1928 in der Schanzenstraße 52, sein Büro war in der 1. Etage im Montblanc-Haus in der Schanzenstraße 75/77. Sein Arbeitsort war der Schlachthof, auf der Höhe der heutigen „Schanzenhöfe“ Ecke Schanzenstraße/Lagerstraße. Seine Tochter, Hilde Dublon, besuchte ab Mitte der 1930er Jahren die Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße 35. Am 19. Juli 1942 wurde die 17-jährige Hilde, ihre Mutter Gretchen, ihr Vater Daniel und ihre Tante Hanny über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin deportiert. Erst vor kurzen wurde eine Notiz gefunden, aus der hervorgeht, wie Hilde im Jahr 1943 in Theresienstadt an Flecktyphus gestorben ist, die Infektion wurde durch Läuse übertragen. Es gab keine Mittel, um sich dagegen zu schützen oder eine Ansteckung zu verhindern. 

Wir haben zeitgenössische Texte der Familie gefunden, daraus wollen wir die Lesung gestalten. Es sind Briefe von Hilde Dublon an Schülerinnen und Lehrer vor der Deportation, Notizen von Daniel Dublon über seine Arbeit hier und das Leben in Theresienstadt sowie Briefe von Gretchen Dublon über ihre Befreiung 1945. 

Ich will nicht spekulieren,  ob das Verbot politisch und antisemitisch motiviert oder andere Gründe vorliegen, enttäuschend ist es für mich auf jeden Fall. Die Untersagung für diesen Ort empfinde ich auch als respektloses Verhalten gegenüber den jüdischen Opfern. Es ist Sache des Eigentümers, es ist sein Gelände und es seine Recht, was hier passieren kann und was nicht. Aber warum gerade bei diesem mehr öffentlichen Durchgang eine Zusammenkunft von 15 bis 20 Personen untersagt wird, lässt mich sehr fragend zurück. 

An unser Planung einer Lesung zur Familie Dublon anlässlich des 80. Jahrestags der Deportation auf der Höhe Schanzenstraße/Bartelsstraße am Donnerstag, den 23. Juni 2022 um 17 Uhr halten wir fest. Im Moment wollen wir informieren. Es geht um die Erinnerung an die jüdischen NS-Opfer. So wird es im Juni z.B. zu einer Stolperstein-Verlegung am Großneumarkt 56 in der Hamburger Neustadt für Hilde Dublon kommen. In der Griegstraße 75 wird es um Hedwig Cohn gehen, die als jüdischen Zwangsarbeiter in der Sternwoll-Spinnerei arbeiten musste und mit ihrem Sohn am 19. Juli 1942 über die Schule nach Theresienstadt verschleppt wurde. Vor der Bundesstraße 43 im Grindelviertel, gegenüber dem Zoologischen Museum, soll es am 30. Juni 2022 mit der dortigen Nachbarschaft  um die 120 jüdischen Menschen gehen, die am 14. Juli 1942 von dort zur Schule Schanzenstraße gebracht wurden, um am 15. Juli 1942 ins Getto deportiert zu werden.

Wir wären für Ihre Unterstützung und Ideen dankbar. Melden Sie sich für Rückfragen oder Vorschläge sehr gern bei mir. Auf der Web-Seite www.sternschanze1942.de können Sie sich über die Deportation, die Familien Dublon und auch die geplanten Aktivitäten informieren.  Wenn Sie sich über Hilde Dublon und die Gedenkstätte der Israelitischen Töchterschule informieren möchten, verweise ich auf deren Web-Seite. Es wurden mehrere Schülerinnen und Schüler am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße deportiert. Vor dem Eingang in die Ganztagsgrundschule Sternschanze erinnert heute eine Stolperschwelle an sie.

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