Hier noch einmal einige Notizen zum Hintergrund der italienischen Militärinternierten in Hamburg. Es handelt sich um eine geplante Veröffentlichung für eine virtuelle Plattform. Noch steht der Text nicht und wird sich redaktionell noch ändern, aber ich habe ihn jetzt abgeliefert.
Unmittelbar nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus wurden am 10. Mai 1945 durch die britische Armee rund 110.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in über 500 Lagern in Hamburg ermittelt. Mehrere Tausend von ihnen waren italienische Militärinternierte. Ursprünglich wurden diese Menschen 1943 als Verbündete der deutschen Wehrmacht angesehen, doch als die neue Regierung Italiens nach dem Sturz Mussolinis am 8. September 1943 einen Waffenstillstand verkündet hatte, wurde die italienische Armee im Deutschen Reich entwaffnet. Die Männer standen vor der Alternative, an der Seite Nazi-Deutschlands zu stehen oder in deutsche Gefangenschaft zu gehen. Die meisten von ihnen wollten nicht weiter in den Krieg ziehen. Aus 650.000 italienischen Soldaten wurden so genannte italienische Militärinternierte (IMi). Ein Status, in den die Nazis die Italiener kategorisiert hatten, um die internationale Vereinbarung zur Behandlung von Kriegsgefangenen zu umgehen. Über 50.000 von ihnen überlebten diese Zeit nicht.
Bis heute belasten die Verbrechen an den Italienern die Beziehungen zwischen den Ländern. Die deutsche Bundesregierung weigert sich, den Überlebenden eine Entschädigung zu zahlen. Sie wurden von den Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 10 Milliarden Euro aus dem Fonds „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) im Jahre 2000 ausgeschlossen, da sie keine Zwangsarbeiter, sondern Kriegsgefangene gewesen wären – denn diese waren nach der Satzung des EVZ ausgeschlossen. Italienische Gerichte beschlagnahmten später im Gegenzug Millionen-Beträge der Deutschen Bahn. Das oberste italienische Gericht hatte Entschädigungszahlungen der Bundesrepublik bejaht.
Im Jahr 2008 beriefen die Außenminister Italiens und Deutschlands eine Historikerkommission ein, um den Konflikt beizulegen. 2012 unterbreitete die Kommission ihre Empfehlungen und die Bundesregierung stellte vier Millionen Euro für einen Zukunftsfonds bereit. Seit 2016 gibt es in Berlin eine Dauerausstellung zu den italienischen Militärinternierten bei der „Topographie des Terrors“. Die Geldmittel dafür wurden aus diesem Fonds genommen.
IMIs in Hamburg
Die veränderte militärische Lage Nazi-Deutschlands ab 1943 hatte nicht nur den Krieg nach Hamburg in Form von Bombardements geholt. Es wurden auch immer mehr „arische“ Arbeitskräfte an die Front abgezogen. Sie fehlten den Nazis in den für sie wichtigen Betrieben der Versorgung und Rüstungsproduktion.
Insgesamt wurden in Hamburg von 1939 bis 1945 über eine halbe Millionen Zwangsarbeiter eingesetzt. Es handelte sich vor allem um sogenannte Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter, die meisten aus den besetzten Gebieten, verschleppt oder auf Basis bilateralen Abkommen nach Deutschland gekommen wie z.B. aus Dänemark oder dem faschistischen Italien. Es wurden auch Kriegsgefangene und KZ-Insassinnen und -Insassen zur Zwangsarbeit eingesetzt, wie auch die verbliebenen jüdischen Menschen in Hamburg. Bereits geplante Deportationen wurden verschoben, bis genug Arbeitskräfte nach Hamburg verschleppt worden waren.
Karl Kaufmann, NSDAP-Gauleiter von Hamburg, sagte den Unternehmern Anfang September 1943 zu, 25.000 IMIs nach Hamburg zu holen, was aber nicht vollständig umgesetzt werden konnte. Am 23. September 1943 kamen die ersten 3.500 italienischen Gefangenen in Hamburg an. Davon wurden 500 unmittelbar auf Bau-Unternehmen verteilt, z.B. an August Prien. Vor allem wurden sie auf große Gemeinschaftslager verteilt, die auf die Schnelle geschaffen wurden – in erster Linie an Standorten, die städtisches Eigentum waren, oder städtischen Tochterunternehmen gehörten. Eine der größten Unterkünfte waren die Lagerhäuser am Dessauer Ufer mit 6.000 Plätzen, die der HHLA gehörten. Ab November 1943 wurden auch 29 Schulen als Lager für italienische Militärinternierten mitgenutzt. Als dritte Standort-Gruppe wurden Kontorhäuser in der Hamburger Altstadt ausgewählt, Gebäude privater Unternehmen. Die nicht mehr genutzten Räume, zum Teil durch Bomben zerstört, wurden beschlagnahmt. Im Gegenzug zahlte die Stadt den Eigentümern Miete. Ende Mai 1945 waren die IMis auf über 200 Zwangsarbeitslager verteilt.
Nach jüngsten Recherchen mussten über 13.500 italienische Militärinternierte ab September 1943 in 500 Hamburger Unternehmen arbeiten. Ihr Arbeitseinsatz wurde über das Wehrmachtskommando X in Sandbostel organisiert.
Vor allem wurden die Männer in der Hamburger Bauwirtschaft, der Mineralölwirtschaft, der Rüstungsindustrie, der Hafenwirtschaft und anderen kriegswichtigen Betrieben eingesetzt. Sie wurden beschäftigt, um Steinplatten zu produzieren und für den Bau von Ersatzwohnraum. Sie arbeiten auch mit Zwangsarbeitern anderer Länder in einem Betrieb, z.B. bei den Diago-Werken in Billbrook, in denen Zementplatten hergestellt wurden. Gerd Bucerius, später Herausgeber der ZEIT, war dort stellvertretender Betriebsleiter. Die IMIs wurden auch von der Stadt und deren Betrieben beschäftigt. So etwa im Gesundheitswesen oder bei den Hamburger Wasser- und Gaswerken. Die meisten IMIs wurden in großen Unternehmen wie Blohm & Voss, Beiersdorf, Dyckerhoff & Widmann oder der Elbschloss-Brauerei wie auch bei Kowahl & Bruns, einem Bauunternehmen im Rahmen des „Geilenberg-Programms“ eingesetzt, um die stark zerstörte Mineralölwirtschaft im Hamburger Hafen wieder in Betrieb nehmen zu können. An dieser perfiden Form der Ausbeutung waren aber auch die heutige Dea, Shell oder Schindler beteiligt. Aber auch Kleinstunternehmen, die einen Bedarf angemeldet hatten wie z.B. Schuhmacher, nutzen diese Möglichkeit billiger, rechtloser Arbeitskräfte. Im Gesundheitswesen wurden IMIs u.a. im Rahmen der „Aktion Brandt“ in Wintermoor (Schneverdingen/Niedersachsen) und Rickling (Segeberg/Schleswig-Holstein) eingesetzt. Die Nazis hatte die Patientinnen und Patienten aus diesen beiden ehemaligen Pflegeheimen deportiert und zehntausendfach ermordet und diese zu Ersatzkrankenhäusern umgebaut.
Die Einsatzplanung der Zwangsarbeit wurde über so genannte Arbeitskommandos organisiert. Die Unternehmen meldeten ihren „Bedarf“ beim Gauarbeitsamt an. Über die Wehrmacht erfolgte die Zuweisung in die Arbeitskommandos, in dem die Unternehmen bzw. Einsatzorte aufgeführt waren. Das Wehrmachtskommando X verfügte u.a. über die Kriegsgefangenen-Stammlager in Sandbostel bei Bremervörde und Schleswig.
Am Beispiel des Kontorhauses der Heinrich-Bauer OHG in der heutigen Burchardstraße 11 kann der Prozess des Lagerbaus und der Arbeitskommandos rekonstruiert werden. Das 11. Stockwerk war im Sommer 1943 zum Teil ausgebrannt. Die Zeitschriftenproduktion des Verlages ruhte bereits seit Juni 1941. Der Bauauftrag für das Zwangsarbeitslager wurde über eine Abteilung der Baubehörde, dem Amt für kriegswichtigen Einsatz (AkE) erteilt. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) führte im Auftrag des Gauarbeitsamtes den Aufbau des Lagers aus: Es wurden Holzbetten für 250 Personen in der damaligen Schützenpforte 11 geschaffen. Im Gebäude gab es ein vierköpfiges Wehrmachtskommando. Die IMIs aus dem Heinrich-Bauer-Haus musste u.a. bei C&A in der nah gelegenen Mönckebergstraße, in einem Unternehmen direkt gegenüber im Sprinkenhof, aber auch bei Bauunternehmen in Hamburg-Harburg, bei den Hamburger Wasserwerken auf Kaltehofe in Moorfleet, und anderen, schuften.
Im Jahr 2020 sind erstmals 500 Hamburger Unternehmen ermittelt worden, die italienische Militärinternierte einsetzt hatten. Aber weiterhin sind die meisten Einsatzorte nicht bekannt. Etwa die Hälfte der Zwangsarbeiter einsetzenden Unternehmen sind über ihre damaligen Arbeitskommando-Nummern ermittelbar. Bei über 90 Prozent der ermittelten Unternehmen wurden die Menschen in der Beschäftigungskategorie „Hilfsarbeiter“ geführt. Es gibt immer noch viele nicht gesichtete und unbearbeitete Vorgänge des Gauarbeitsamtes, die allem Anschein nach im Hamburger Staatsarchiv lagern. Vermutlich könnte die Beteiligung der Hamburger Unternehmen am NS-Zwangsarbeitssystem über die Arbeitskommandos umfassend dekodiert werden, nicht nur der italienischen Militärinternierten. Die heutige Hamburger Kulturbehörde Behörde signalisiert allerdings bisher keine Bereitschaft, hier zu forschen.
Auch nach 76 Jahren fällt es Unternehmen wie auch dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg schwer, sich mit diesem Thema beschäftigen. Auch die Hamburger Schulbehörde sieht keine Verantwortung, das Thema zentral anzugehen und verweist auf die einzelnen Schulen, die dafür Mittel für den Schulunterricht zur Verfügung hätten. Staatliche Einrichtungen wie die Hamburg Port Authority (HPA) schweigen. Der heute weltweit agierende Medienkonzern Bauer Media Group, in deren Gebäude ab Dezember 1943 die ersten italienischen Kriegsgefangenen untergebracht gewesen waren, wollte sich 2019 auch noch nicht mit dem Thema befassen. Erst nach öffentlichem Druck, kritischer Medienberichterstattung und unleugbarer Faktenlage positionierte sich das Unternehmen zum NS-Zwangsarbeitssystem und bekannte sich zum Lager im damaligen Unternehmensgebäude. Vertreter des Managements nahmen an einer Kundgebung am 8. September 2020 vor dem Verlagsgebäude mit persönlicher Präsenz und einem würdigenden Redebeitrag teil.
In Hamburg wurde 2020 mit dieser Kundgebung im Hamburger Kontorhausviertel das Thema der Erinnerung an die italienischen Militärinternierten und ihre Zwangsarbeit in der NS-Zeit wieder in die Öffentlichkeit getragen. Im Februar 2021 fanden pandemien bedingt zwei Online-Kundgebungen zu den IMIs in Hamburg statt. Vor der Bauer Media Group wurde eine Stolperschwelle verlegt. Auch in den Jahren davor gab es immer wieder Veranstaltungen, die sich mit den italienischen Militärinternierten befassten. Jetzt hat sich eine „Projektgruppe italienische Militärinternierte Hamburg“ gebildet, die die Stadt Hamburg in der Verantwortung nehmen will, die erklärte historische Schuld gegenüber den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter immer wieder konkret neu zu bestimmen und Verantwortung für die Forschung zu übernehmen. Auch die Hamburger Geschichtswerkstätten beschäftigen mit einer eigenen Arbeitsgruppe neu mit dem Thema der NS-Zwangsarbeit.
Die IMIs waren eine Gruppe im NS-Zwangsarbeitssystem. 2002 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft eine Datenbank für alle Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aufzubauen, doch das Projekt wurde offenbar nach 20.000 Namen eingestellt. Nach der grundlegenden Forschung der Historikerin Friederike Littmann zum NS-Zwangsarbeitssystem in Hamburg von 2006 liegt das Thema der italienischen Militärinternierten brach. Strukturell fühlt sich in Hamburg niemand für die IMIs zuständig. So verweist die „Stiftung Hamburger Gedenkstätten“ auf ihren Zweck, der im Erlass der Stadt festgehalten sei: Man sei in Fragen der italienischen Militärinternierten nicht zuständig und solle sich an die „Topographie des Terrors“ in Berlin bzw. der dortigen Stellen zu den IMIs wenden. Dabei gibt der Erlass diese Ableitung nicht her. Aus Berlin heißt es, dass es nicht ihre Aufgabe sei, regionale Verantwortung in der IMI-Frage zu übernehmen, das könne nur vor Ort erfolgen. Hintergrund der jeweiligen Wegweisungen von Verantwortung ist jeweils nicht fehlender Wille, sondern unzureichende finanzielle Mittel. So positioniert sich die Hamburger Kulturbehörde aktuell, dass die Erinnerungsarbeit im Bereich der NS-Zwangsarbeit wie die der IMIs durch die Zivilgesellschaft zu bewerkstelligen sei. Angesicht der sehr tiefen Verstrickung der Stadt Hamburg und ihrer Unternehmen ist das eine mehr als fragwürdige Haltung. Leider sind es auch die staatlichen Einrichtungen und Unternehmen, die heute Forschung und Aufklärung – gefühlt systematisch – verhindern. Wenn die Stadt die Erinnerungsarbeit an die NS-Zwangsarbeit der Zivilgesellschaft zuweist, ist das unseriös: Es wird zum einen von einer historischen Schuld gesprochen, aber bei der Geschichtsaufarbeitung bleibt man untätig bzw. behindert Aktive (und damit die Zivilgesellschaft) bei der Aufklärung, unabhängig von der Frage nach deren Finanzierung.