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Holger Artus

Warum nach 79 Jahren das Schreiben von Emma Lange aus 1942 zum Thema machen?

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Vor 79 Jahren schrieb Emma Lange im Auftrag einen Brief an die Hamburger Schulverwaltung. Er ist seit längerem bekannt, wie auch die Empfänger. Das sie die Unterzeichnerin war, wurde bisher nicht gehandelt, insofern war es neu. Es gibt die biographischen Notizen von Hans-Peter De Lorent aus 2017, der in dem Buch „Täterprofile“ NS-Stationen von Emma Lange aufgeschrieben hatte. Dieses Schreiben lag nicht vermutlich nicht vor, sonst wäre er auch zu einer anderen Bewertung der Person gekommen. Emma Lange war vor 1933 bereits Schulleiterin und wurde von den Nazis in dieser Funktion abgesetzt, bleibt aber an der Schule in verantwortlicher Funktion. 

Anfang der 1980er Jahre hatte Wilhelm Mosel die Geschichte der beiden Deportationen vom 15. und 19. Juli 1942 beschrieben und ausführlich aus diesem Schreiben zitiert. Eine Zuordnung zur Unterzeichnerin war kein Thema. Die zusammenhängende Geschichte von Ablehnung der Schülerinnen und Schüler der Israelitischen Töchterschule und der beiden Deportationen war die notwendige Erzählung gewesen.

Neu aus dem Vorgang um dieses Schreiben vom 2. April 1942 sind die Mitbeteiligten. So hat u.a. der Schulrat Fritz Köhne das und andere Schreiben, die das Ziel der Übernahme der Israelitischen Töchterschule verfolgten, gegengezeichnet. Er war es auch, der Emma Langes Wiederbenennung nach 1945 zur Schulleiterin der Schule Schanzenstraße befürwortete. Wenn es auch keine biographischen Notizen über ihn in den Täterprofilen gibt, so beleuchtet seine Beteiligung am Vorgang, dass Täter sich eben nicht die Augen aushacken, sondern decken. 

Irmgard Möller, nach Emma Lange Schulleiterin in der Schule Schanzenstraße, ebenfalls NSDAP und Mitglied einer Terrororganisation der Nazis, lobte in Rückblicken immer die “aufopfernde Rolle” von Emma Lange. Alle Fakten, ob das Schreiben vom 2. April 1942, ihre Haltung zu den italienischen Militärinternierte von Oktober 1943 bis Mai 1945, aber auch die Niederschrift über Schulkonferenzen, zeichnen ein anderes Bild, abgesehen von ihren Veröffentlichungen in der HLZ oder der Reichsmädchenzeitung, wo sie ihr rassistisches und menschenfeindliches Weltbild darlegte.

Als im Dezember 2020 der gesamte Vorgang zur Schließung der Israelitischen Töchterschule im Staatsarchiv wieder aufgegriffen wurde, stach das Zusammenspiel der Schulbehörde mit der Gestapo und der untergeordnete Stellenwert des Schreibens von Emma Lange ins Auge. Bisher war, wenn auch nie anders kommuniziert, die Perspektive der Betrachtung des Schreibens von Schule zu Schule. Hier zu einem Perspektivenwechsel beizutragen, war eine Absicht. Die Schließung der Israelitischen Töchterschule, das Schreiben vom 2. April 1942, dass war eine Sache der Schulbehörde. Betroffenheit zu generieren am einzelne Geschehen, ist eine normale und nachvollziehbare Form. Aber, ob es die Einstellung von Nazis als Beamte in den Schuldienst nach 1945, die Verdrängung der NS-Geschichte in der Bundesrepublik – das sind systematische, strukturelle Fragen, die nichts mit einer einzelnen Schule zu tun haben. So wird auch im Buch „Täterprofile“ von verantwortlicher Seite argumentiert, dass die einzelne Schule jetzt eine Handreichung hätte, auf deren Basis sie prüfen kann, ob sie sich dazu verhält. 

Im Januar 2021 gab es den ersten gemeinsamen Austausch beider Einrichtungen, der Gedenkstätte und der Schule über das Schreiben. Da es keine Information gab, ob beide Einrichtungen sich jemals über dieses Schreibens ausgetauscht hatten, ist bisher die Darstellung, dass dieses Treffen das erste in der Geschichte war. Die Israelitische Töchterschule gehört erst seit den 1980er Jahren zur Volksschule. In der Schule Schanzenstraße waren bis 1982 ehemalige NSDAP-Mitglieder Schulleiterinnen, so dass man hier ausschließen kann, dass diese beiden Personen sich darum bemüht hätten. Bezogen auf die Schulbehörde, schreibt Ursula Randt in ihrem Text,  „Die Wiederentdeckung ehemaliger höfischer Schulen in Hamburg“, das sie Lehrerin der Sprachheilschule Karolinenstraße 35 in den 1970er Jahren war. Anlässlich einer Feier „50 Jahre Sprachheilschule Karolinenstraße 35“ im November 1977, sprach sie „mitten im Trubel einer klein alte Dame an und gab sich als frühere Schülerin der ‚Israelitischen Töchterschule‘ zu erkennen … Vergeblich hatte sie überall nach einem noch so kleinen Zeichen des Erinnerns gesucht.“ Ab 1980 war die Sprachheilschule nicht mehr in der Karolinenstraße. „Seitdem nutzte die Schulbehörde das Gebäude für verschiedene Zwecke,“ so schreibt Ursula Randt.

Zur Geschichte der Israelitischen Töchterschule ist vieles geforscht und publiziert worden. Zur Schule Schanzenstraße gibt es u.a. die Broschüre der Schule selber über „100 Jahre“, in der die NS-Geschichte sehr klar und respektvoll gegenüber den jüdischen Opfern beschrieben wurde. Das Lange und Möller in der NSDAP waren, war damals noch nicht Stand. 

Moralisch ist es egal, ob es einen Jahrestag oder besonderen Anlass gibt, wenn man sich einem Ereignis erinnert. Es war der erste Moment – gefühlt –  nach 79 Jahren,  dass es erstmal einen Austausch über dieses furchtbare wie folgenschwere Schreiben gab. Warum lange besprechen und überprüfen, wann der richtige Zeitpunkt ist? Die ZEIT hat es im Januar 2021 dankenswerter Weise aufgegriffen. Sie wurde so zum einen wiedererzählt, angereichert um weitergehende Informationen und einem aktuellen Bezug, eben dem Treffen. Grund genug, es im Stadtteil zum Thema zu machen. 

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