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Holger Artus

Auch 534 Hamburger Unternehmen beteiligten sich an der Ausbeutung italienischer Militärinternierten

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Nach fast 80 Jahren brachten 1.200 Seiten zu Tage, dass in der NS-Zeit 534 Hamburger Unternehmen über 13.500 kriegsgefangene italienische Soldaten „dienstverpflichtet“ in ihren Unternehmen einsetzen konnten und daran bereicherten. Sie mussten nur ihren „Bedarf“ beim Arbeitsamt anmelden.

Bisher hatte man für Hamburg 12.000 bis 12.500 vermutet. Belegt waren 9.500 an Hand von Dokumenten. Jetzt kann man die Zahl an Hand von Unterlagen des Gau-Arbeitsamtes Hamburg belegen und auch die ganzen Hamburger Unternehmen, die von den davon von dem NS-Zwangsarbeitssystem profitiert haben, beim Namen nennen. Vielen von ihnen existieren nicht mehr. Nur wenige sind zu einem großen Konzern oder dessen Bestandteile geworden. Einer der Profiteure aus dem Einsatz italienischer Militärinternierte war die Generalvertretung für Automobile, Fendler & Lüdemann in der Alstertwiete 24-28 in Hamburg-St. Georg. Später übernahm der BMW-Konzern die Vertriebsfirma. Über diese Firma war ich gestolpert, da hier Luigi Catteneo gearbeitet hatte. Er war im Zwangsarbeltslager in der Schule Schanzenstraße 105 untergebracht und war am 18. November 1944 an fehlender gesundheitlichen Versorgung gestorben. Über ihn habe ich einen kurzen Text für die Web-Seite www.sternschanze1942.de vorbereitet, wenn die Werbung für die Kundgebung am 12 Februar 2021 zur Erinnerung an das Zwangsarbeitslager in der Schule Schanzenstraße beginnt. Dieses Papier war das erste, dass ich fand und aus dem binnen kürzester Frist 1.200 wurden.

In Hamburg bediente sich u.a. C&A Brenninkmeyer, Beiersdorf, Dyckerhoff & Widmann, Philipp Holzmann, die HEW, die Hamburger Hochbahn, die Hamburger Wasserwerke, Rudolf Otto Meyer, H.O. Persiehl, Hinrich Plambeck, August Prien, Raab Kaarcher, Strom- und Hafenbau (heute HPA), Blohm & Voss wie die Stadt Hamburg selber z.B. bei der Stadtreinigung.

Zu den Fundstellen gehören aber auch neue Unterlagen zur vergangenen Geschichten von mir wie die Sternwoll-Spinnerei oder die so genannte Schraubenfabrik Schriever, die 1941 sowjetische Zwangsarbeiterinnen einsetze. Jetzt weiß ich, dass das Rüstungsunternehmen aus meiner Nachbarschaft auch italienische Zwangsarbeiter einsetzte. Gefunden habe ich auch weitere Unterlagen über Unternehmen aus dem Kontorhausviertel, die sich an der Ausbeutung von italienischen Zwangsarbeitern bereicherten und bisher nicht bekannt waren. Allerdings muss ich jetzt noch einiges dazu recherchieren, bevor es vor der Kundgebung zur Verlegung der Stolperschwelle am Sonnabend, den 13. Februar 2021 vor der Burchardstraße 11 dazu einen Text gibt.

Die jetzt gefundenen Unterlagen sind aus dem Bestand des Gauarbeitsamtes, das es an alle Hamburger am 25. August 1944 angeschrieben hatte. Die Unternehmen sollten eine Übersicht zum 1. September 1944 erstellen, wie viele italienische Militärinternierte sie beschäftigen, unter Angaben der Namen und deren weiteren Daten. Mit diesen Unterlagen kann man stichtagsbezogen namentlich die IMIs in Hamburg auflisten, wenn man das wollte. Vor allem hat man für Nachfragen eine erste Basis bei der Recherche.

Sicher, die Geschichte ist fast 80 Jahre her und heute geht bei den Recherche-Ergebnissen es vor allem um deren Erschließung für die Erinnerungskultur. Bedenkt man, dass im Mai 1945 insgesamt 110.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, dann sind 13.000 italienische Zwangsarbeiter/innen und ca. 5.000 so genannte italienische Zivilarbeiter/innen nur eine kleinere Gruppe. Doch es gibt sehr wohl auch einen heutigen politischen Bezug. Bis heute wurden die italienischen Militärinternierten nicht entschädigt.

Zur Erläuterung dieses Themas „Entschädigung“  beziehe ich mich auf ein Positionspapier, dass aktuell zwischen verschiedenen Initiativen diskutiert wird und für mich das Thema gut darstellt.  „Im Gesetz zur Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) vom 2. August 2000 hieß es in Bezug auf (§11) Leistungsberechtigte (3): 

„Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung“. Dass die ehemaligen italienischen Soldaten von den Nationalsozialisten gerade nicht als Kriegsgefangene behandelt wurden, sondern den Status „Militärinternierte“ erhielten, wurde von der Bundesrepublik missachtet, sie blieben von Leistungen ausgeschlossen. Die Bundesregierung erklärte unter Berufung auf den Völkerrechtler Prof. Christian Tomuschat, der damalige Status sei rechtswidrig gewesen, also seien die Militärinternierten doch Kriegsgefangene gewesen und hätten folglich keine Ansprüche. Mehr Zynismus ist kaum möglich. Klagen von über 4000 ehemaligen italienische Zwangsarbeitern vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen ihren Ausschluss von Entschädigungsleistungen blieben erfolglos.

Die Weigerung der Bundesrepublik, die italienischen Militärinternierten aus den Mittel des EVZ zu entschädigen, hat einer langen juristische Auseinandersetzung um deren Status bzw. die Anerkennung dieser NS-Opfergruppe, geführt. Es gibt hierzu höchstrichterliche, gegensätzliche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des italienischen Verfassungsgerichts. 

Italienische Gerichte gaben vielen ehemaligen italienischen Zwangsarbeitern Recht. Der Rechtsanwalt der Kläger, Dr. Joachim Lau, zog bis vor den obersten Gerichtshof Italiens, den römischen Kassationshof, der die Ansprüche der Kläger gegen Deutschland auf Zahlung von Entschädigung anerkannte. Trotzdem verweigert Deutschland bis heute die Zahlung an die Opfer und Hinterbliebenen. Daher sind diese gezwungen, mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen deutsches Vermögen in Italien vorzugehen. Derzeit ist ein Konto der Deutschen Bahn AG zugunsten u.a. der ehemaligen Zwangsarbeiter gepfändet und das Vollstreckungsgericht muss entscheiden, ob das gepfändete Geld frei gegeben wird. Ob und wann diese geschehen wird ist offen. Weiteres Störfeuer aus Berlin gegen die unabhängige italienische Justiz ist zu erwarten.“

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