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Holger Artus

Was wurde aus der Werkschule für Schlosser und Tischler in der Weidenallee?

Mit der Kundgebung anlässlich der Erinnerung an den November-Pogrome 1938 auch bei uns im Wohngebiet nahm das Thema der Werkschule in der Weidenallee 10b immer mehr Fahrt auf. Ursache waren die beiden Kontakte mit Kenneth Hale und Kurt Goldschmidt, die aus New York direkt hinzugeschaltet, an der (virtuellen) Kundgebung, teilnahmen. Jetzt habe ich noch etwas zum Ende der Werkschule recherchiert und geschrieben. Da die Schlosserausbildung 1941 in neue Räume Beim Schlump 31/32 verlegt wurden, habe ich dort heute die aufgeschriebene Geschichte verteilt. Die Anzahl der Briefkästen ist an zwei Händen zu zählen.

Liebe Nachbarn, die Ausbildung wurde zunächst in der Weidenallee 10b umgesetzt. Zuerst war nur das 3. Stockwerk für Tischler angemietet worden, später kam das 4. Stockwerk für eine Schlosserlehre hinzu. In der Talmud Thora-Schule und der Israelitischen Töchter- schule wurden die theoretischen Teile der Ausbildungen ver-mittelt. Im November 1940 verfügte die Rüstungsinspektion des Wehrkreis X, dass die Räume im III. Stock in der Weidenallee spätestens zum 1. Januar 1941 geräumt sein mussten. Für die Schlosserlehrlinge wurden neue Räume gesucht.

Weidenallee 10b

Die Tischler sollten in den IV. Stock umziehen. In ihre Räume im III. Stock zog das Rüstungsunternehmen Wilhelm Schriever ein, es produzierte Munitionskisten. Dafür wurden 50 sowjetische Zwangsarbeiter eingesetzt. Für den IV. Stock in der Weidenallee 10b wurde noch ein neuer Mietvertrag abgeschlossen, der bis zum 31. Dezember 1941 befristet war. Doch bereits mit den Deportationen ab Oktober und November 1941 war die Tischlerausbildung faktisch beendet. Schriever übernahm die Räume.

Die Schlosserausbildung wurde „Beim Schlump 31/32“ fortgeführt

Beim Schlump 31/32

Die Schlosserausbildung verlagerte sich in die neuen Räumlichkeiten „Beim Schlump 31/32“. Es wurde ein zweijähriger Mietvertrag abgeschlossen. Das ab Oktober 1941 der Massen- mord an den jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs beginnen sollte, lag zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Vorstellungskraft. Dafür spricht z. B. ein Schreiben vom 14. Januar 1941 an den neuen Vermieter. „Hier selbst werden 40-50 zur Vorbereitung auf die Auswanderung als Schlosserlehrlinge ausgebildet.“ Ab Oktober 1941 machte sich die jüdische Gemeinschaft Hamburgs wieder auf die Suche nach einem Nachmieter, es gab keine Zukunft für die Ausbildung, da fast alle Lehrlingen deportiert wurden. Lehrlinge, von denen ein Elternteil nicht-jüdischer Religionszugehörigkeit war, wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht deportiert. Am Ende sollen es sechs Jugendliche gewesen sein, die zunächst weiter ausgebildet wurden. Im Mai 1942 zog dann das Rüstungsunternehmen Stahl in die Räume „Beim Schlump 31/32“.

Was wurde aus den Lehrlingen und Ausbildungsleitern?

Seit 1940 war eine Ausreise für jüdische Menschen aus Deutschland verboten. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Die Ausbildungsleiter wurden von November 1941 bis Juli 1942 nach Minsk oder Theresienstadt deportiert, keiner überlebte: An den Tischlerausbilder Jacob Blanari und seine Frau Theophile erinnern heute zwei Stolpersteine vor der Weidenallee 10. An Walter Mannheim, Ausbilder für die Schlosser, und seine Familie, erinnern fünf Stolpersteine vor ihrer ehemaligen Wohnung in der Schäferstraße 8. Georg Brauer, verantwortlich für die Schlosserausbildung „Beim Schlump 32/32“, wurde am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße deportiert. 

Aus dem Jahr 1939 gibt es eine Übersicht der Lehrlinge. Einer von ihnen war Klaus Heilbut, der nach seiner Flucht 1939 den Namen Kenneth Hale annahm. Er ist heute 98 Jahre und lebt in New York. Über ihn hatte die Hamburger Morgenpost im September 2020 geschrieben, nachdem er von den Recherchen zur Werkschule auf meinem Blog erfahren und sich bei mir gemeldet hatte.

Veröffentlichung über Kurt Goldschmidt in den Eimsbütteler Nachrichten November 2020

Einen weiteren, Kurt Goldschmidt, habe ich ebenfalls kürzlich kennengelernt. Er sollte am 8. November 1941 nach Minsk deportiert werden, doch seiner Mutter gelang es, dass er von der Liste genommen wurde. Die „Eimsbütteler Nachrichten“ haben in der aktuellen November Ausgabe (Foto) über seinen Werdegang erzählt. Bezogen auf die NS-Zeit wurde er nach der Schließung der Werkschule Beim Schlump 31 als Zwangsarbeiter eingesetzt. Am 30. Januar 1945 gab es einen Transport von 20 „Mischlingen“, der über Berlin nach Theresienstadt führte. Dort wurde er von der Roten Armee befreit und kehrte nach Hamburg zurück.

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