Die letzten drei Tage habe ich Infos im Poßmoorweg 43, Woldsonweg 13 und in der Weidenallee 8 bzw. 10 verteilt, um die Mieter/innen über einen ehemaligen Nachbarn zu informieren, der dem NS-Terror 1939 noch entkommen konnte.
Ein Zufall brachte mich vor einigen Wochen mit Kenneth Hale in Kontakt. Bis 1946 hieß er Klaus Heilbut, ist 98 Jahre alt und lebt in New York/USA. Er hatte sich auf meinem Blog gemeldet, auf dem etwas zu den Blanaris stand, an die heute zwei Stolpersteine auf der Weidenallee erinnern. Jacob Blanari war Ausbildungsleiter für die Tischlerwerkstatt in der Weidenallee 10 b in Hamburg-Eimsbüttel.
Klaus hatte in Hamburg nach dem Besuch der Talmud Thora Schule im Hamburger Grindelviertel als 16jähriger im Frühjahr 1938 seine Ausbildung in der jüdischen Werkschule in der Weidenallee 10 b in Hamburg Eimsbüttel als Tischler begonnen, bis zu seiner Flucht im Juli 1939 nach England.
Klaus Heilbut kam am 11. Mai 1922, als zweites Kind von Hella und Oscar Heilbut zur Welt. Sein Bruder, Heinz Sally, war am 6. Juni 1920 geboren. Seit 1918 waren Oscar und Hella verheiratet. Sie gab dafür ihre erfolgreiche Arbeit in einem eigenen Kinderheim in der Hochallee 1 auf. Zusammen wohnten sie zuerst in der Goßlerstraße in Blankenese, allerdings trennten sich ihre Weg nach der Scheidung im November 1930. Hella Heilbut wohnte nach der Scheidung noch bis 1934 mit Heinz und Klaus in der Weddingstraße 7, heute Babendiekstraße 7. Sie hatte in Wandsbek ein Lehrer- innenseminar besucht und war ein gebildete wie selbstbewusste Frau. In der SPD Hamburg bekleidete sie Ehrenämter, war dort Vertrauensfrau und Texte von ihr wurden im “Hamburger Echo” veröffentlicht. Sie war gesellschaftlich aktiv, so z.B. als Elternratsvorsitzende der Richard-Dehmel- Schule und war eine wissbegierige Frau, mehrere Tausend Bücher listete sie später auf, die unter der NS-Diktatur vernichtet wurden.
Klaus Heilbut war gerade einmal 10 Jahre alt, als die Nazis in Deutschland die politische Macht übernahmen. 1934 zogen die drei in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in den Poßmoorweg 43, ihre letzte frei gewählte Adresse in Deutschland. Im Februar 1939 mussten sie, da sie einen Ausreiseantrag nach den Ereignissen am 9./10. November 1938 gestellt hatten, diese Wohnung wieder verlassen. Die Nachbarn wollten nicht mehr mit Juden zusammen in ein Haus wohnen. Die Familie Cohen aus der Woldsenweg 13 bot ihnen zwei Zimmer an. “Wir waren die einzigen jüdischen Mieter am Poßmoorweg, unser nächster Nachbar war in der NSDAP. Unser Umzug war Gespräch des Hauses. Während unseres Auszuges bestand keine Möglichkeit, die Wohnung abzuschließen” und Fremde bedienten sich in der Zeit am Wohnungsinventar“, schreibt Hella Hale später über diese Tage. Als es Ende der 1950er Jahre in einem Wiedergutmachungsverfahren die ehemaligen Nachbar im Poßmoorweg gefragt wurden, an was sie sich erinnern, konnten sie sich das nicht mehr.
Die „Reichspogromnacht“ am 9. /10. Nov. 1938, als die Nazi alle Hamburger Synagogen in Brand setzten, jüdische Menschen schlugen und festnahmen, war ein entscheidender Einschnitt im Leben der Familie. Hella Hale, wie ihr Name seit 1946 mit der Einreise in die USA lautet, erzählte später einem ihrer Enkel:. „Gegen Ende des Tages nach Kristallnacht, dem 10. November 1938, erfuhr meine Großmutter Hella Heilbut in Hamburg, dass es jetzt sicher sei, aus ihrer Wohnung herauszukommen, aber sie wurde gewarnt, Straßenbahnen und die U-Bahn weiterhin zu meiden. Als verarmte alleinerziehende Mutter verstand sie sich jetzt als Flüchtling, der verzweifelt nach einem sicheren Hafen außerhalb Deutschlands für sich und ihre jugendlichen Söhne suchte. Also gingen sie und ihre Nachbarin die 3 1/2 Meilen von ihrer Nachbarschaft in Winterhude zur zentralen Post, um dort Telegramme an Familie und Freunde zu senden und sie zu bitten, sie als Einwanderer zu sponsern. “ Kenneth Hale erinnert sich in einer kürzlichen Videokonferenz ebenfalls auch an diesen Tag. „Mein Bruder und ich fuhren mit dem Fahrrad, als wir angegriffen wurden. Schnell versuchten wir wegzukommen. Auf meinen älterer Bruder Heinz hatten sie ein Messer geworfen. Als wir zu Hause ankamen, nahmen wir erst seine Verletzung im Gesicht erst wahr.”
Die Familie drängte sie in diesen furchtbaren Tagen, die Ausreise aus Deutschland nicht länger zu verschieben. “Mit einem Haushaltsvisum ging ich deshalb nach England.” Im Mai 1939 floh Hella mit ihrem Sohn Klaus nach England. Kenneth Hale erinnerte sich noch an die erste Nacht in London bei der Familie Frankenstein, die Hella Heilbut als Haushaltshilfe eingeladen hatten. “Dies war der Mann, der mich vor der Vernichtung rettete. Ich erinnere mich noch an meine erste Nacht bei den Frankensteins, die uns ein Übernachtung in ihrem Keller auf einen Billardtisch eingerichtet hatten.“ Heinz Sally Heilbut, der ältere Bruder, damals 19 Jahre, floh im 11. Juli 1939 von Hamburg aus dem Woldsenweg 13 ebenfalls nach England. Im Mai 1940 emigrierte er weiter über Liverpool nach New York. Mit seiner Ankunft im Mai 1940 nahm er den Namen Henry Hale an. Hella und Klaus Heilbut lebten unter sehr schwierigen Bedingungen von 1939 bis 1946 in England. Im Oktober 1946 emigrierte Hella Heilbut mit ihrm Sohn Klaus auch nach New York und aus ihnen wurde mit der Einreise in die USA Hella und Kenneth Hale. 1953 beantragte sie die amerikanische Staatsbürger- schaft. Mit dieser in der Tasche, nahm Kenneth Hale am gleichen Tag seine neue Arbeit bei Grumman Aero Spacce, jetzt Northrop Grumman, auf. 34 Jahre hat er im Unternehmen gearbeitet und war später im Management verantwortlich tätig. Sein Bruder Henry hatte ein eigenes Unternehmen erfolgreich in den USA aufgebaut.
Ihre Flucht 1939 aus Nazi-Deutschland war ihre Lebensrettung. Hella Hale wurde 101 Jahre alt, Kenneth Hale ist im Mai 98 Jahren alt geworden und erfreut sich, so mein Eindruck, guter Gesundheit. Er hat drei Kinder, denen es ebenfalls gut geht. Einen seiner Söhne, Kevin habe in vielen Mails besser kennengelernt. Er ist Rabbiner in Leeds, im Bundesstaat Massachusetts in den USA und ein wunderbare Mensch, wie sein Vater. Vielleicht, wenn alles klappt, werden Sie ihn sowie einen weiteren jüdischen Auszubildenden, Kurt Goldberger, der nach 1941 auch noch als Zwangsarbeiter in der Schraubenfabrik Schrieder arbeiten musste, am 9. November 2020 im Hinterhof kennenlernen können.
Alle Fotos von Kenneth Hale