Im vergangenen Jahr hatte ich eine Nachbarschaftshilfe-Info verteilt, um für unsere Kundgebung am 15. Juli 2019 zu werben. Anlass für die Info war ein Stolperstein für Clara Nachum, der am 19. April 2019 verlegt wurde. Ihr Name wurde ich mir erst bewusst, als meine Tochter mir einen Stolperstein für Clara Nachum schenkte. Meine Versuche, mit Mieterinnen in Kontakt zu kommen, wurden abgeblockt.
Man wolle keinen Kontakt. Dabei wollte ich klären, ob sie mir helfen könnten, um mit ehemaligen Angehörigen in Kontakt zu kommen, um eine kurze Geschichte auf der Kundgebung erzählen zu können. Trotz dieser unerwarteten Verweigerung – gerade in der Nachbarschaft um dieses Thema – habe ich einen Kontakt gefunden und noch weitere sind entstanden. Jetzt, im Zusammenhang mit einer weiteren Kundgebung, am 15. Juli 2020, nehme ich den Text auf meinen Blog.
Clara Nachum wohnte bis zum 19. Juli 1942 in der Agathenstraße 3. An diesem Tag wurde sie über die damalige Volksschule Schanzenstraße 105 (heute Ganztagsschule Sternschanze) ins Ghetto nach Theresienstadt deportiert. Sie wurde im gleichen Jahr von Nazis ermordete. Ihr Sohn Alexander wohnte ebenfalls bei ihr. Er wurde bereits am 18. August 1941 nach Minsk deportiert und ermordet. An ihn erinnert ebenfalls ein Stolperstein vor dem Haus.
Clara Nachum war 26. Juli 1860 in Lübeck geboren. Zusammen mit ihrem Mann, Nathan Nachum, hatte sie fünf Kinder. Da ihr Mann früh mit 48 Jahren verstorben (1902), war sie früh auf öffentliche Hilfe angewiesen. Dank der jüdischen Kultur würde es ihr möglich, mit ihren fünf Kindern in eine Drei-Zimmer-Erdgeschosswohnung im Nanny-Jonas-Stift in der Agathenstraße 3 in Eimsbüttel zu ziehen, wo die Miete lediglich 20 Mark im Monat betrug. Später wurde aus dem jüdischen Stift ein von den Nazis eingefordertes so genanntes Judenhaus. Die jüdischen Familien wurden aus ihren Wohnungen in Hamburg vertrieben und in rund 100 Judenhäuser gezwungen. Von dort erfolgte die massenhafte Deportation in die Ghettos wie Theresienstadt oder in die Vernichtungslager. Hamburg sollte nach Vorstellung der Nazis “judenfrei” werden. In der Agathenstr.3 mussten von 1941 bis zum 19. Juli über 58 Menschen wohnen. Danach wurde die Stiftung enteignet und das Haus von der (Nazi)Stadt Hamburg gekauft.
Das Schicksal der Jüdinnen und Juden in Hamburg, aber auch anderswo, ist für mich nur schwer nachzuempfinden. Man ist traurig und wütend, wenigstens geht es mir so. Die Deportationen vom 15. und 19. Juli 1942 passierte hier im Viertel. Über 1.700 jüdische Frauen, Männer und Kinder gingen an diesen beiden Tagen zum Schulhof in der Schanzenstraße, gegenüber dem Bahnhof. Mannschaftswagen der Polizei brachten sie zum Hannoverschen Bahnhof, heute ist es der Lohseplatz in der Hafencity.
Man ist nicht ohnmächtig gegenüber den Geschehnissen, auch wenn man nichts ändern kann. Mit anderen aus unserem Wohnviertel rufen wir zu einer Kundgebung am Montag, den 15. Juli 2019 um 18 Uhr auf, um an das vergangene zu erinnern. Auch heute muss man gegen Antisemitismus stellen, ihn nicht erdulden oder tolerieren.