Ansichten

Holger Artus

Über Regina Behr, Agathenstraße 3

| Keine Kommentare

Auch, um anders für eine Kundgebung am 15. Juli 2020 für eine Erinnerungskundgebung am Bahnhof Sternschanze zu werben, habe ich in der Nachbarschaft mehrere Infos verteilt, die sich mit ihrem Haus oder ihrer Straße beschäftigen. Dazu gehört auch die eigene Wohnstraße. Ich mache mir keine Illusionen, wie viele kommen, aber es bleibt ja dennoch die Frage nach dem, was bleibt, also man sich erinnert.

Regina Behr

Im Vorfeld der Kundgebung am 15. Juli 2020, zu der wir Sie gerne einladen, haben wir im Staatsarchiv den Namen einer weiteren Nachbarin gefunden, die dort gelebt hat. Es handelt sich um Regina Behr. Die Nazis hatten sie in der Deportationsliste vom 18. November 1941 fälschlicherweise unter der Wohnadresse Agathenstraße 6 aufgeführt: Sie erhielt ihre Aufforderung zur Deportation aber in die Agathenstraße 3. Somit sind nunmehr 59 jüdische Menschen bekannt, die über diese Adresse deportiert wurden.

Regina Behrkam am 22. Dezember 1876 in Lüneburg zur Welt. Sie war mit Burkhard Behr verheiratet. Das Paar hatte drei Kinder, die alle in Schwerin geboren wurde: Martin (geb. am 2. November 1902, Friedrich (geb. am 11. Dezember 1900) und Arthur (geb. 15. Juni 1904). Mitte der 1920er Jahr lebte die Familie in der Heinrich-Barth-Str. 3b. Es folgten Wohnwechsel u.a. in die Gneisenaustraße. Ab 1938 wohnte sie in Grindelallee 153 bei Eckhoff. Später musste sie in die Agathenstraße 3 zur Untermiete bei Schmits in das II. OG umziehen.

Regina Behr wurde am 18. November 1941 nach Minsk deportiert. Ihre Wohnung in der Agathenstraße 3 wurde nach ihrer Deportation verschlossen und am 27. Februar 1942 der Inhalt öffentlich versteigert. Die Spur von Regina Behr nach ihrer Deportation verlief sich. Sie wurde Ende 1945 für tot erklärt.

Arthur Behr war von Beruf Automonteur. Unter den Nazis verlor er im Juli 1938 wie so viele Juden seine Arbeit. Im Dezember 1938 flüchtete er nach Holland, wurde im Januar 1939 von dort aber wieder abgeschoben und noch an der Grenze festgenommen. Er kam zunächst ins KZ Buchenwald, und war dann bis zum 25. Juli 1939 im KZ Dachau inhaftiert. Nach seiner Entlassung emigrierte er nach England und kam am 10. August 1939 in Dover an. Er trat 1940 in englische Armee ein leistete damit einen Beitrag für die Befreiung Deutschlands vom Faschismus.

Martin Behr flüchtete ebenfalls in die Niederlande und heiratete dort Frederika Polk (geb. 1.12.05 in Amsterdam). Nach dem Überfall auf die Niederlande im Mai 1940 wurden alle dort lebenden jüdischen Menschen systematisch verfolgt. 75 Prozent der in den Niederlanden lebenden Juden wurden bis 1945 ermordet. Martin und Frederika wurden vermutlich am 31. Juli 1942 vom niederländischen Lager in Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort am 30. September 1942 umgebracht.

Friedrich Behr war der älteste der drei Brüder. In Hamburg betrieb er eine Schreib-maschinenreparatur-Werkstatt. Er wurde am 9.11.1938 in der Reichs-Progrom-Nacht von den Nazis festgenommen Bis 12.1.1939 war er im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Nach seiner Entlassung floh er im Dezember 1939 mit seiner Frau Anita Retslag (geb. am 29. November 1897) nach Amsterdam und wohnten dort bei seinem Bruder Martin. Martin und Frederika Behrs wurden daraufhin denunziert und beide Ehepaare inhaftiert. Anita wurde am 13. Juli 1942 entlassen, Friedrich am 11.Juni 1942. Beide überlebten. Im Oktober 1945 kamen sie nach Hamburg zurück. Friedrich starb am 9.Oktober 1953.

Eine Mail aus Neuseeland

Vor kurzem schrieb uns Kate G. aus Neuseeland, die Enkelin von Kraine und Benjamin Goldberger. Für beide gibt es seit 2013 einen Stolperstein vor der Agathenstraße 3. Sie schrieb, dass sie sich freut, dass es Menschen in Deutschland gibt, die sich um die Pflege dieser Steine und damit der Erinnerung an ihre Großeltern bemühen.

Nicht zulassen, dass Nazi-Vergangenheit revidiert wird

Unser Motiv, dieses Flugblatt zu verteilen, ist, einen Teil von Nachbarschaftsgeschichte und ehemaligen Nachbarn zu erzählen. Denn gerade jetzt erleben wir leider die Versuche von Geschichtsrevision, wenn Menschen etwa Bill Gates als schlimmeren Verbrecher als Adolf Hitler bezeichnen oder von “jüdischer Ver-schwörung” reden, die sich hinter den Corona-Maßnahmen verstecken würden. Daher ist auch heute Haltung gegen Antisemitismus und Rassismus sehr wichtig. Alles begann einmal mit Wegschauen und Verharmlosen. Dem wollen wir entgegenwirken. Wir würden uns sehr freuen, viele Nachbarn aus der Agathenstraße am 15. Juli auf der Kundgebung zu treffen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.