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Holger Artus

Die Auseinandersetzung um Filtrona Crissier – eine tolle Erfahrung 2004

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Vor 15 Jahren war ich in Lusanne. Es war sausau-kalt. Ich hatte an einer Versammlung streikender Frauen vom Filtrona in Lusanne teilgenommen. Seit Anfang Januar war ich in Kontakt mit den deutschen Betriebsrat der Unternehmensgruppe und hatte – wie so oft – ein Flugblatt geschrieben, dass vor dem Werk in Reinbek verteilt wurde. Um den Konakt zu den amerikanischen und englischen Gewerkschaften/Vertretungen vor Ort hatte ich mich bemüht und zu zwei Werken über Teamster (Mexiko und Richmond) Beziehungen hergestellt.

Es war ein vierwöchiger Arbeitskampf der Arbeiterinnen und Arbeiter des Zigarettenfilterherstellers Filtrona in Lusanne, am Genfer See in der Schweiz 2004/2005. Die deutsche Gewerkschaft ver.di hatte insofern mit der Auseinandersetzung zu tun, als der Streik im Rahmen einer internationalen Arbeitsteilung der Bunzl Gruppe dieser Gruppe auch etwas mit der Organisierung der Solidarität zu tun hatte. Vor allem, wo das Werk gekauft wurde, um vom (Kunden)Portfolio in der stark monopolisierten Zigarttenproduktion zu profitieren und technische Verfahren/Patente zu erwerben. Es blieb eine lokale Abwehrauseinandersetzung und es war der Versuch, im Rahmen der internationalen Unterstützung (Bunzl war in 25 Ländern mit unterschiedlichen Produkten aktiv) eine Zusammenarbeit der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungen zu organisieren. Da Bunzl den Sitz in England hat, gab es keinen Europäischen Betriebsrat, wie er in den anderen Ländern der EU gilt, es gab einen Rahmen des sozialen Dialog plus die Haltung der Arbeitnehmer-Vertretungen und ihrer Gewerkschaft in England. 

Diese beiden Prozesse, die Organisierung der internationalen Solidarität und die Formierung einer internationalen Zusammenarbeit in der Gruppe, waren ein Teil der Rolle von ver.di in dieser Auseinandersetzung. Beide Prozesse waren aber auch Spiegelbild der Formierung der internationalen Gewerkschaftsbewegung in sowohl den sich abgrenzenden internationalen gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen in Europa. So waren die englische Gewerkschaft in der Chemie/Papier-Internationale, die meisten der anderen Filtrona-Standorte in der UNI-Europa, also einem eigenen internationalen Zusammenschluss. Während es in UNI keine wirkliche internationale Strategie und Praxis gab, waren die Chemie/Papier-Internationale hier klar strukturiert und ausgerichtet, die Hauptprozesse in der Union im Blick zu haben. Trotz Anfragen von ver.di reagierten beide Bünde nicht. In den Nicht-EU-Gewerkschaften war dies anders und es konnten Kontakte aufgebaut werden.

Es war ein Spiegelbild der internationalen Herausforderungen der Gewerkschaftsbewegung in einer sich weiter globalisierenten Welt. Klar, einen Weltmarkt gibt es nicht erst seit 2004. Andere Industriezweige und Konzerne haben schon lange eine weltweit verteilte Produktion. Und selbstverständlich gibt es seit Jahrzehnten internationale Zusammenschlüsse der Gewerkschaften in ihren Branchen. 

Am Ende wurde Filtrona Crissier (bei Lusanne) planmäßig geschlossen, es gab einen Sozialplan und die internationale Zusammenarbeit wurde nicht weiterentewickelt.

Die Bunzl Group trennte sich 2005 von der Filtrona Sparte. Deren Weg mündete  2013 über verschiedene Verkäufe  in der  Essentra plc. Die  verkaufte ihre internationale Fibertec-Sparte (also Filtronagehört seit Mai 2017 zur Porex Filtrationgroup. Das deutsche Werke von Filtrona in Reinbek (bei Hamburg) gibt es immer noch.

Was war bei Baumgartner im schweizerischen Lusanne 2004 passiert?

Ein Zigarettenfilterhersteller, im Besitz der Schweizer Unternehmensgruppe Baumgartner Papier, hatte 2003 seine Fibertech-Sparte (Faser-Technik) an das englischen Unternehmen Filtrona verkauft worden. Der damalige Geschäftsführer der Baumgartner Papiers-Gruppe, zu denen die Zigarettenfilterproduktion gehörte, sagte anlässlich des Verkaufs: „Zigarettenfilter werden vermehrt von den Zigarettenherstellern selbst produziert. Der Marktanteil der zwei vorgelagerten Produzenten  betrug noch 5%. Filtrona (England) ist umsatzmässig 16 mal grösser als Fibertec. Unsere finanzielle Lage erlaubte es nicht, gegen die Engländer anzutreten.“ Damit gehörte Filtrona (vorübergehend) zur Bunzl-Group, die insgesamt 12.000 Angestellte zählte und an der Londoner Stockexchange dotiert ist. 

Das Kerngeschäft von des Unternehmen Baumgartner in Crissier/Lusanne war die Produktion von Zigarettenfiltern, das dazu gehörige Patent und die großen Kunden der Zigarettenindustrie. Als das englische Unternehmen Filtrona Baumgartner kaufte, ging es weniger um den Produktionsstandort, denn das Patent und die Auftragnehmer (Kunden), so die damalige Bewertung der Schweizerischen Gewerkschaft Comedia. Die Produktion der Zigarettenfilter erfolgte auch in Italien, in México, in den USA und damals auch in einer neuen Sonderwirtschaftszone in China. In Italien war es kurz vorher zu Schließung eines der zwei Produktionsstandorte gekommen. Comedia war zur Einschätzung gekommen, dass es nach dem Erwerb und im Rahmen der Konsolidierung der Produktion an verschiedenen Standorte zu einer Schließung des schweizerische Werkes in Crissier bei Lusanne kommen musste. Gegen die Arbeitskosten in Mexiko oder China bestand kaum eine „Wettbewerbschance“, wenn auch große Zigarettenkonzerne ihre Standorte in der Schweiz hatten. 

Seit dem Kauf der Fibertec-Sparte von Baumgartner Papiers durch Bunzl . haben die Beschäftigten des Standorts Crissier die Politik der Konzernleitung des englischen Multis angeprangert: Aneignung des Knowhows und der Maschinen mit dem einzigen Ziel, den letzten Konkurrenten auf dem Markt der Spezial-Zigarettenfilter zu liquidieren, schrieb damals Comedia.

Beschäftigungsgarantie und soziale Absicherung über den Tarifvertrag

Die Gewerkschaft Comedia forderte die Fortführung des Betriebs, einen neuen Gesamtarbeits-Vertrag und einen Sozialplan, für den Fall der Schließung. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung ist aus dem ehemals paternalistischen Betrieb eine zu 100% organisierte Belegschaft geworden und am 30. November 2004 begann es mehrwöchiger Streik der rund 150 überwiegend Arbeiterinnen.  Ein kurz vor Weihnachten verhandeltes Ergebnis wurde von der Mehrheit der Beschäftigten abgelehnt. Im Fall einer Schließung wollte das Unternehmen 1,2 Mio.€ in den Sozialplan stellen.  Der Streik, der bis zum 21. Dezember 2003 dauerte, wurde unterbrochen. Am 17. Januar 2004 nahm die Belegschaft wieder den Streik auf, am 26. Januar 2004 gab es einen Sozialtarifvertrag, der eine sechsmonatige Beschäftigungsgarantie vorsah und für den Sozialtarifvertrag wurden 2 Mio. CHF eingeplant.

Bemühungen in Deutschland zur Streikunterstützung und zur internationalen Vernetzung

Am 5. Januar 2005 hatte ver.di (Hamburg) Kontakt mit der schweizerischen Gewerkschaft, Comedia, aufgenommen und die gewerkschaftliche Streikleitung angeschrieben.  Ein Tag später der Betriebsrat von Filtrona Reinbek bei Hamburg kontaktet, um über seine Solidarität zu sprechen.Am 18. Januar 2005 organisiert ver.di eine Flugblatt Aktion vor Filtrona Reinbek, um über den Arbeitskampf zu informieren, die von der Belegschaft mit großen Interesse zur Kenntnis genommen wurde. Der Streik war bei ihnen als Bild angekommen und der Betriebsrat konnte sich positionieren.

Internationale Demonstration in Lusanne am 22. Januar 2005

Am 22. Januar 2005 kommt es zu einer großen Demonstration in Lusanne zur Solidarität mit den Filtrona-Beschäftigten, an der sich 800 Menschen beteiligen. Die Beschäftigten der Filtrona und die sie unterstützenden Personen liessen Lieder und Sprechchöre erklingen, die sie selbst getextet hatten. Während der ganzen Demo wurden Infos über den Arbeitskampf bei Filtrona und dessen Hintergründe verteilt. Neben anderen ergriffen comedia-Präsident Christian Tirefort und SGB-Vizepräsident Christian Levrat das Wort.

Am 29. Januar 2005 fand in Lusanne eine internationales Treffen statt, an dem für ver.di Holger Artus teilnimmt. Die komplette Belegschaft nahm mit ihren Gästen daran teil.

Mit der Annahme des Sozialtarifvertrages begann der Versuch, eine internationale Zusammenarbeit der verschiedenen Filtrona/Bunzl-Standorte in der Welt zu organisieren.  Am 12. Januar 2005 wendet sich ver.di am die amerikanische Partnergewerkschaft, um Kontakt zum Werk in Richmond, Virginia, herzustellen. Die Teamster-Gewerkschaft meldet sich wegen eines Kontakts in das Werk in Richmond. Ebenfalls am 12. Januar 2005 wendet sich ver.di an UNi-Europa, um einen Kontakt zur englischen Gewerkschaft GMB zu bekommen, die die Arbeiter in den Bunzl/Filtrona Standorten in UK vertritt. Es gab sogar einen Kontaktaufbau in das Chinesische Sondergebiet. Aber am Ende scheiterte das Projekt. 

Filtrona wird zum Juni 2005 geschlossen

Ende März 2005 kommt es wie erwartet zur Schließung des Filtrona Werkes in Crissier zum Juni 2005.

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Wiederherstellung von alten Web-Seiten

Der Streik von Filtrona in der Schweiz dauerte vier Wochen und erreichte einen Sozialtarifvertrag sowie eine zeitweilige Beschäftigungssicherung. Jetzt habe ich die damaligen Seiten, die auf verdi-Verlage.de erstellt wurden ?, wieder hergestellt. Es Geschichte, aber man muss sie nicht vergessen. Auf den Seiten der damaligen Schweizer Gewerkschaft Comedia gibt es sie auch nicht mehr.

Ich freue mich, auch dieses Kapitel wieder Online gestellt zu haben. Hier die damalige Meldungsübersicht

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