September 2004 bis Juni 2006 dauerte die Tarifauseinandersetzung in der papierverarbeitenden Industrie. Sie endete mit einer Niederlage für ver.di. Das sich damals zu Beginn 10.000 von 100.000 Beschäftigten in diesem Vertretungsbereich an den Warnstreiks beteiligten, war für ver.di eine unbekannte Größe und zeigte das gewaltige Potential.
Die Tarifforderungen und der Verlauf
Ursprünglich hatte ver.di 3,7 Prozent für die Beschäftigten im September 2004 gefordert. Im Oktober 2004 kündigten die Arbeitgeber den Manteltarifvertrag. Damit verlagerte sich der Schwerpunkt der Tarifauseinandsersetzung. Die erste Tarifverhandlung begann im November 2004. Nach elf Verhandlungsrunden scheiterten die Verhandlungen im Juli 2005. Im März 2006 gab es einen Abschluss in der zwölften Verhandlungsrunde.
In der Tarifrunde der Papierverarbeitung wurden nicht die Arbeitgeber zerlegt
Parallel zur Papierverarbeitungs-Tarifauseinandersetzung gab es auch eine in der Druckindustrie, die nach damaligen Auffassungen für ver.di eine größere Bedeutung hatte. Dabei wurden in der Auseinandersetzung bei weitem nicht die Streikmassen mobilisiert wie in der papier- und pappeverarbeitenden Industrie. ver.di wollte erst die Druckauseinandersetzung durch haben, so dass die Papierverarbeitung erst nach dem Abschluss Druck verstärkt aufgegriffen wurde. In der ersten Phase liefen die Mobilisierung und die Warnstreiks im Bereich Druck und Papier gleichzeitig.
Die Zeitfenster von der Aufklärung, Mobilisierung und Warnstreiks hängen eng zusammen. Verlässt man ein Fenster, also seine eigene Planung, besteht die Herausforderung, noch einmal eine Runden in der Aufklärung und Mobilisierung zu drehen, sonst klappt es in der Warnstreikphase eher nicht.
Häuserkampf wurde zum Krampf
Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen in der Papierverarbeitung Juli 2005 wollte ver.di einen zentralen Tarifabschluss in der Papierverarbeitung über Haustarifauseinandersetzungen durchsetzen. Der Arbeitgeberverband sollte regionalen flächendeckend mit einem Abschluss konfrontiert werden. So sollte er angekrochen an Verhandlungstisch sein „Ja“ zur Inkraftsetzung der Fläche erklären. Doch diese Strategie führte zur einer kompletten Bauchlandung. Nicht nur, dass man nicht mehr die Masse von Betrieben bzw. Mitglieder in den Betrieben ansprach, sondern jetzt ging es nur noch um einzelne in verschiedenen Bundesländer und es gab auch unterschiedliche betriebliche Situationen. Es ergab sich niemals eine Lage, das viele und große Unternehmen mit ver.di Haustarifverträge abgeschlossen hatten. Alleine durch die geringe Anzahl an Haustarifverträgen gab es keinen Legitmationsdruck auf den Arbeitgeberverband. Die getroffenen Haustarifverträge wichen in Kernfragen von einandern auch noch ab, da die Arbeitgeber sie zu Öffnungsklauseln nutzen, was den Druck auf den Verband nicht erhöhte, sehr wohl auf ver.di. Die unterschiedlichen Marktausrichungen der europäischen Konzerne in diesem Industriezweig sowie deren Ziele in der Konsolidierung wurden mit in die Haustarifverhandlungen gelegt. Werke, die keine Ergebnisse lieferten oder deren strategische Positionierung im Wettbewerb sich nicht einspielten, wurden zur Verhandlungsmasse der Arbeitgeber in den Haustarifverhandlungen.
ver.di zerlegte sich selber
Es kam auch in ver.di selber zu Zerlegung. Jeder ver.di-Landesfürst wollte als erstes den Abschluss haben, der das Dokument wird, zu dessen Füßen der Verband gebeugt zustimmen müsste. Doch es passierte genau das Gegenteil, ver.di musste in den Haustarifverhandlungen der großen Konzerne mit auch unterschiedlichen Abschlüssen zu Kreuze kriechen. Intern tobte ein Streit über den richtigen Abschluss und es gab keine gemeinsame Linie.
Es ist ein Unterschied, ob ich zu einer Flächenauseinandersetzung mobilisiere oder zu einer betrieblichen
Zu einer allgemeinen Branchentarifrunde zu mobilisieren, ist einfach. In einer betrieblichen Runde sich zu bewähren, etwas ganz anderes. Hier spielt das Betriebsergebnis jedes einzelnen Unternehmens – auch in den Köpfen der Beschäftigten – eine Rolle. Wer hier bestehen will, braucht einen guten Vorlauf, um überhaupt bestehen zu können, von den ganzen Mängel der Organisation einmal ganz angesehen. Einzelne Unternehmen – auch aus Konzernbezügen – verließen nach dem Scheitern der Verhandlungen im Juli 2005 den Arbeitgeberverband, so dass für ver.di die Lage noch komplizierter auf Basis der gewählten Strategie wurde.
Abschluss 2006 mit bitteren Zugeständnissen
Es gab im März 2006 einen Abschluss auf Ebene der Fläche. ver.di musste zu Kreuze kriechen. Die Ausdehnung der Arbeitszeit von 35 auf die 38,5-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich fand faktisch in den MTV Einzug. Aber es dauerte noch bis 2007/2008, um die abgeschlossenen und abweichenden Konzerntarifverträgen wieder in die Fläche zu transformieren und die in der Runde 2004/2005 ausgetretenen Unternehmensschafe wieder in die Tarifbindung zu bekommen.
Abschluss war eine Niederlage und stellte auch eine historische Zäsur da
Der Tarifabschluss stellte eine tiefe Zäsur dar, weil auch die materiellen Ergebnisse zu einer Verschlechterung des MTV führten. Aus dem damaligen Prozess der Neuaufstellung in Richtung Gegenmacht wurde aus historischer Sicht eine Wende bezüglich der Kampfkraft. Alles, was verdi danach unternahm, wie z.B. ein großes Projekt zur Stärkung der Gewerkschaft in der Papierverarbeitung, könnte den Prozess der Organisationsschwächung nicht stoppen.
Mit Blick auf die Kampfkraft und Gestaltungsmacht von ver.di in diesem Industriezweig wurde eine historische Wende einläutete: Der Abschluss endete mit einer schweren Niederlage, von der sich ver.di bisher nicht mehr erholt hat.
Nachrichten auf gegendruck.info im Orginal
Hier die Meldungsabfolgen auf den ehemaligen Web-Seiten in ihrer zeitlichen Abfolge. Sie sind komplett im damaligen Wortlaut von der Web-Seite www.gegendruck.info, die es heute auf Beschluss von ver.di nicht mehr gibt, gehalten. Heute würde man die Meldungen anders gestalten und hätte mehr Kommunikationskanäle, aber ihre einheitliche Darstellung wäre immer noch mehr als das heutige Tarifangebot von ver.di im Netz. Die Texte sind sehr ursprünglich, aber in ihrer Gesamtheit spiegeln sie sehr gut den Prozess der Formierung und der Schwierigkeit, auf eine neue Situation eine neue einheitliche Antwort zu finden, wider.