„Liebe Leserinnen, liebe Leser, wegen eines Warnstreik in der Druckerei hat diese Ausgabe der Süddeutschen Zeitung nicht die gewohnte Struktur … erscheinen teilweise in reduzierter Form.“ Wäre diese Meldung nicht auf der Titelseite der heutigen Ausgabe (27.10.) gestanden, wäre kaum aufgefallen, dass die Zeitung nicht in der „gewohnten Struktur“ und in „reduzierter Form“ erschienen ist. Grund für den Warnstreik sind die laufenden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Druckindustrie.
Am Nachmittag des 19. Oktober 2018 ist in Berlin die dritte Verhandlungsrunde für die rund 134.000 Beschäftigten der Druckindustrie ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Aber auch nach der dritten Tarifverhandlung für die Beschäftigten der Druckindustrie gibt es noch keine erkennbare Richtung der Auseinandersetzung zwischen ver.di und den im Bundesverband Druck und Medien (bvdm) organisierten Druckunternehmern. Es war aber das erste Mal in diese Runde, dass es zu Arbeitsniederlegungen gekommen war, so gab es u.a. Warnstreiks bei Schur Pack Germany in Gallin, Westfalendruck in Bielefeld, Küster Pressedruck Bielefeld, Axel Springer Zeitungsdruck Ahrensburg, Main-Echo in Aschaffenburg, FSD in Frankfurt, DuMont Druck in Köln oder Offset Kaiser in Essen, Süddeutsche Zeitung München und Huhtamaki in Ronsberg.
In der Auseinandersetzung in der Druckindustrie geht es aktuell auch um grundsätzliche Themen. Während ver.di den Lohntarifvertrag (LTV) gekündigt hat und 5,0 Prozent für 12 Monate fordert, hat der bvdm den Manteltarifvertrag gekündigt. Historisch geht es in dem gekündigten MTV u.a. um die 35-Stunden-Wochen und die Normierung von Maschinenbesetzungen, also wie viele Arbeiter*innen an den verschiedenen Maschinentypen beschäftigt werden müssen.
Die Druckunternehmen zur Lohnforderung der Gewerkschaft: „Die Lohnforderung von ver.di ist eine gefährliche Missachtung der Herausforderungen, mit denen die Branche konfrontiert ist. Damit gefährdet die Gewerkschaft den Zukunftserfolg der Druckindustrie“. ver.di zur Forderung: Sie „ist gerechtfertigt und gut begründet. Preissteigerungen und Wirtschaftswachstum sprechen hier eine deutliche Sprache. In diesem und im kommenden Jahr soll die Wirtschaft in Deutschland um jeweils 1,8 Prozent steigen. Die Preise für die Lebenshaltung werden in den Jahren 2018 und 2019 um jeweils zwei Prozent steigen.”
Bezüglich einer Lohnerhöhung hatten die Druckunternehmen bereits in der zweiten Verhandlungsrunde am 27. September 2018 ein Angebot unterbreitet, dass nach verdi-Meinung „unzureichend“ ist: „Für 2018 soll es lediglich eine Einmalzahlung von 400,00 Euro am 01. Dezember geben, im April 2019 sollen die Einkommen um 2,4 Prozent angehoben werden. Die Arbeitgeber wollen eine Laufzeit von 24 Monaten bis zum 31.08.2020 und verweigern damit eine Lohnerhöhung für das Jahr 2020.”
Nach der dritten Verhandlungsrunde betonten die Druckunternehmer, dass sie „die Gesprächsbereitschaft von ver.di bezüglich der Parameter eines neuen Lohnabkommens” begrüßen. ver.di erwähnt in ihrer Erklärung diesen Ansatz zwar nicht, aber verhandlungstaktisch geht es auch immer darum, ob man vom allgemeinen Gerede in eine konkrete Debatte kommt, in der man dann die Verhandlungspunkte in eine Reihenfolge bekommt. U.a.. dürfte es auch um eine längerfristige Laufzeit eines LTV gehen.
Zur Einordnung: Auch 2016 hatte ver.di 5 Prozent für 12 Monate gefordert. Herausgekommen war ein Abschluss von 2 Prozent Erhöhung ab Juli 2016, 1,8 Prozent Erhöhung ab August 2017. Die Laufzeit des Vertrages ging über 29 Monate. 2016 beteiligten sich insgesamt 45 Druckereien an den Warnstreiks.
In der nunmehrigen dritten Verhandlungsrunde machten die Unternehmer auch den gekündigten Manteltarifvertrages zum Thema: Für sie hängt ein Lohnabschluss davon, dass es „eine Regelung zur Verfahrensweise beim Manteltarifvertrag gibt.”
Die nächste Tarifverhandlung ist für den 30.Oktober vereinbart worden. Hier will der bvdm seine Auffassungen vorstellen, unter denen es zu einem neuen MTV-Abschluss kommen könnte. Die ist für ver.di unter den gesamten Rahmenbedingungen von großem Interesse, denn erst daraus dürfte für ver.di klar werden, wie der weitere Verhandlungsverlauf sich vollziehen könnte.
Zu den Bedingungen einer Mobilisierungsstrategie in dieser Tarifrunde gehört für ver.di die anhaltende Konsolidierung im Zeitungsdruck, Druckerei werden geschlossen, Insolvenzen angemeldet. Erst kürzlich informierte eine der größten regionalen Zeitungsgruppen, die Madsack Mediengruppe (u.a. HAZ, Neue Presse, Ostsee Zeitung, Lübecker Nachrichten, Leipziger Volkszeitung), dass die Zeitungsproduktion in Leipzig im nächsten Jahr eingestellt wird. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) wird dann nicht mehr in der eigenen Druckerei produziert, sondern in einem Unternehmen der DuMont Mediengruppe in Halle. Die bisher auch in Leipzig gedruckte Dresdner Neueste Nachrichten (DNN), ebenfalls Madsack, wird künftig von Gruner+Jahr in Dresden gefertigt. 270 Druckerei-Beschäftigte in Leipzig werden arbeitslos.
Die Angst, dass bestehende Druckaufträge fremdvergeben werden, die Drohungen eines De-Investments, treiben die Beschäftigten in den Druckereien um. Es gibt zwar diverse Voraussetzungen für eine Fremdvergabe eines Druckauftrags zum Wettbewerber und ist nicht mit einem Schnipp erledigt, trotzdem bleiben diese Drohungen nicht ohne Wirkung in Belegschaften.
In der Tarifverhandlung nutzt der bvdm dieses Thema: „Seit 2000 ist die Anzahl der Betriebe und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um rund 40 % zurückgegangen. Die Lohnforderung von ver.di ist eine gefährliche Missachtung der Herausforderungen, mit denen die Branche konfrontiert ist. Damit gefährdet die Gewerkschaft den Zukunftserfolg der Druckindustrie.”
Die Mobilisierungsfähigkeit von ver.di in diesem Industriezweig ist durch die Transformation der Printmedien (hier sinkenden Zeitungsauflagen), Optimierung der Druckverfahren und eben dem anhaltenden Konzentrationsprozess herausgefordert. Zu Zeiten des Kampfes um die 35-Stunden-Woche (1984) oder um Lohnabschlüssen von 11 Prozent und mehr (1970er Jahre) war die Druckindustrie in einer Wachstumsphase und die Auftragsbücher waren voll. Es gab in den 1970ern eine Streikbeteiligung damals von über 1.000 Betrieben. Das hat sich grundlegend verändert. Ende 2017 gab es 61 Zeitungsdruckereien, 7 Tiefdruckereien (Zeitschriften) und 440 Offsetdruckereien (Prospekte, Kataloge, Werbedrucke etc.) – und alle in einer Konsolidierungsphase.
Auch sind heute Schichtbesetzungen keine 100 Personen mehr stark, sondern umfasst je nach Lage 20 bis 25 Personen, so dass die Bilder über Warnstreiks, die eben vor dem Werkstor stattfinden, nicht gewaltig aussehen. Durch Einsatz moderner Technik kann trotz Streik die Zeitung erscheinen, wenn auch nicht in der „gewohnten Struktur“.
Für ver.di besteht das große Problem, dass der bvdm die Lohnverhandlungen mit dem Manteltarifvertrag verknüpft. Nichts ganz grundsätzlich Neues. Wenn am Ende der MTV einfach verlängert wird, war es nur Drohkulisse. Darauf kann sich ver.di aber nicht verlassen. Dem bvdm sind 35- Stundenwoche und die Richtlinien zur Maschinenbesetzung schon lange ein Dorn im Auge.