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Holger Artus

Ärzte, die auf ihrer Web-Seite Schwangerschaftsabbrüche informieren, dürften nicht nach §219a Straftäter sein

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Am 29. August 2018 wurde vor dem Kasseler Amtsgericht eine Strafanzeige gegen die beiden Frauenärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus wegen Verstoßes gegen den § 219a Strafgesetzbuch verhandelt. Eine Kammerentscheidung erfolgte fürs erste nicht, da von der Verteidigung ein Befangenheitsantrag gegen die Richterin gestellt wurde. Anlässlich des Termins fand vor dem Gericht morgens eine Kundgebung mit hunderten Teilnehmer/innen statt. In einem anderen Verfahren, bereits in zweiter Instanz gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel, wurde der Termin vom 6. September 2018 aufgehoben und um auf den 12. Oktober verlegt. Beide Verfahren, in Kassel und Gießen, zielen von Betroffener-Seite auch darauf ab, die Bewegung für eine Streichung des § 219a zu stärken. Aus einer Absicht, einzuschüchtern ist eine Frauenbewegung neu erwacht, die sich selbstbewusst formiert und einmischt.

Der Streitgegenstand

Nora  Szász und Natascha Niklaus hatten auf der Website ihrer Gemeinschaftspraxis seit 2012 ihr Leistungsspektrum aufgelistet, darunter alle OPs, die sie in Kooperation mit der nahe gelegenen Tagesklinik durchführen. Hier haben sie auch den Schwangerschaftsabbruch gelistet. Am 29. August 2017 wurden sie von Yannik H. angezeigt. Er ist neben Klaus-Günther A. der Mann, der nach Eigenaussage am Wochenende hobbymäßig das Internet nach Arztpraxen durchsucht, um Verstöße gegen den § 219a StGB aufzuspüren und dann Strafanzeige zu stellen.

Die juristische Linie der Verteidigung

In ihrer Eröffnungsrede führte die Verteidigung der beiden Ärztinnen aus, warum der § 219a StGB verfassungswidrig sei. Der § 219a StGB verletze die Informationsfreiheit, das Patientenselbstbestimmungsrecht und die Berufsfreiheit nach Art 12 GG. Außerdem den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG, da ausschließlich Frauen in ihrem Recht auf Informationsbeschaffung eingeschränkt würden, wenn es um einen operativen Eingriff an ihren Reproduktionsorganen ginge. Des Weiteren sei die Überschrift des § 219a StGB gar nicht Bestandteil des Gesetzestextes: „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Es ginge aber konkret um eine Sachinformation, die mit ärztlicher Leistung verknüpft sei. Es gelte zudem das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Bedeutung hatte der Paragraph vor allem in der Nazidiktatur, weil er gezielt vor allem jüdische Ärzt/innen traf, die damit von Todesstrafe bedroht waren. Es käme auch nicht zu einer Bereicherung, sondern es handele sich um angemessene Bezahlung. In den 1970ern wurde versäumt, den 219 zu korrigieren, er könne sich heute nur noch auf unangemessene Kommerzialisierung beziehen. 219a könne einen Schutzzweck erfüllen, wenn er verbotene Abbrüche umfassen würde, aber wenn ein Schwangerschaftsabbruch legal sei, könne es beim 219a nicht mehr um den Schutz des ungeborenen Lebens gehen.

Die Entscheidung ja oder nein würden Frauen nicht aufgrund von Informationen über medizinische Modalitäten treffen, sondern aufgrund ihrer persönlichen Lebensverhältnisse. Ungewollt Schwangeren würden mit Verweigerung von Informationen und dem Patientenselbstbestimmungsrecht Grundrecht verwehrt. Es ginge um Würdeschutz. Es sei eine ethische Grundhaltung von N. Szász und N. Nicklaus, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren: Ja, wir helfen Frauen: Ja, wir sind eine Anlaufadresse: Hier greife Art. 5 GG, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs ermögliche.  Art. 3 GG umfasse ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts. Es ginge hierbei um die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Männern und Frauen. Ein Mann, der sich über einen operativen Eingriff an seinen Reproduktionsorganen informieren wolle, hätte keine Einschränkungen in seinen Informationsfreiheiten.

Befangenheitsantrag gegen die Richterin muss noch entschieden werden

Der Kammertermin, der morgens um 9 Uhr begann und bis 17:30 Uhr dauerte, musste mehrfach unterbrochen werden. Vor allem weil vom Gericht Beweisanträge nicht zugelassen wurden. Am Nachmittag erklärte RA Pfeiffer im Namen von Nora Szász: Ich lehne die Richter wegen Befangenheit ab. Er habe fünf Beweisanträge abgelehnt und offenbar kein Interesse an Aufklärung. Aufgrund des Befangenheitsantrags muss eine andere Kammer erst darüber entscheiden. Nach einigem Hin und Her stellt Richterin Riekmann, fest, dass von Amts wegen ein neuer Termin festgesetzt würde. Es könne auch sein, dass das Verfahren ausgesetzt und neu aufgerollt werden müsse.

219 a ist aus der juristischen Ecke zum gesellschaftlichen Thema geworden

Im Vorfeld und am Tag des Kammertermin gab eine große Öffentlichkeit, medial wie auf der Straße. Zur einer morgendlichen Kundgebung, zu der ein Bündnis von Kasseler Organisationen aufgerufen hatten, waren über 300 Menschen gekommen. Gesellschaftlich wird das juristische Vorgehen wie auch der & 219a abgelehnt. Eine ursprüngliche Änderung des Strafgesetzbuches 219 a hatte eine parlamentarische Mehrheit Ende 2017/Anfang 2018. Mit der Bildung der Großen Koalition machte die SPD einen Rückzieher. Die Umsetzung eines Beschluss des letzten SPD Bundesparteitages steht noch Raum, dass wenn es bis zum Herbst zu einer Änderung gekommen ist, würde es wieder eine parlamentarische Initiativen geben, wo CDU/CSU und die AFD in der Minderheit wären.

In Sachen Hänel ist Landgericht-Termin am 12. Oktober in GießenDas Verfahren gegen Nora Szász und Natascha Niklaus steht zeitlich in einem Zusammenhang mit einer Verfahren gegen die Gießener Ärztin, Kristina Hähnel. Sie war Ende November 2017 erstinanzlich zu einer Geldstrafe von  6.000 € verurteilt worden. Dagegen ist sie in Berufung gegangen. Der Termin des Landgerichts Gießen, ursprünglich dort auf den 6. September 2019 terminiert, war vom Gericht kurz vor dem Kasseler Verfahren aufgehoben worden und neu auf den 12 Oktober 2018 verlegt worden.

Kristina Hänel und andere Frauenorganisationen haben ihr Linie im Vorfeld deutlich gemacht, dass das Verfahren wohl den Weg zum Bundesverfassungsgericht gehen muss. Nora Szász hatte auf der Kundgebung vor dem Kasseler Amtsgericht deutlich gemacht, dass bei dem Thema 219a die Politik gefordert ist, dass Problem zu lösen.

 

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