Ansichten

Holger Artus

Wir müssen uns im Umbruch auch neu formieren

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Für ver.di habe ich an einer Betriebsversammlung diese Woche in Berlin teilgenommen. Mein Part war ein nebensächlicher. Ich sollte am Beispiel verdeutlichen, dass Gegenwehr einen Sinn ergeben kann. Während der Bahnfahrt von Hamburg nach Berlin hatte ich meine Stichworte aufgeschrieben, aber während des Verlaufs der Versammlung mich entschieden, eine andere Rede zu halten.  Ich erinnerte mich der Auseinandersetzung um den Stellenabbau im tip Berlin 2008.

Hier war durch das Bedrohungsszenario Stellenabbau und die „Krisenargumentation“ des Arbeitgebers es mÃöglich geworden geworden, fast aus dem Stand eine selbstbestimmte Bewegung zu initiieren, die auch mehrere Streiktage zum Gegenstand hatte. 2013 wurde der Titel verkauft, die Belegschaft auf ein Minimum reduziert. Ich denke immer wieder an diesen Gesamtprozess, der äußerlich den Rückgang an Auflage und Anzeigenumsatz zum Inhalt hatte und die digitale Transformation im Verbund nicht konsequent angegangen war. Die Belegschaft wurde reduziert, die Abläufe vereinfacht, aber kein positives Ergebnis erreicht. So kam es später zum Verkauf. Auf unserer Seite gab es den Punkt x, wo die aufgebaute Kraft sich zerlegte und die Erfahrungen nicht verarbeitet und Aufgaben nicht neu bestimmt wurden. Der tip Berlin ist für mich aber auch ein Erlebnis, wie Marktveränderungen sich umwälzen und dass wir uns eine Vorgehensweise allgemeinerer Art überlegen müssen, auch im Verbund, um diese Prozesse im Umbruch seriös zu bewerkstelligen. Der Blick auf den Moment hilft in solchen Umbruchsituationen wenig, es ist allerdings das alltägliche Handeln von Interessenvertretungen. Da ich mich selber als Arbeitnehmer in diesem Umwälzungprozess befinde, bin ich natürlich genauso auf den Moment gerichtet und  schaue nicht ablehnend auf andere, aber ich gebe mir Mühe, mehrere Wege zu erproben.

Ich habe freigesprochen, aber hier die Grundgedanken meiner Rede.

Wenn es zutrifft, dass die Zeitungsbranche in einem Umbruch ist, müssen sich auch Arbeitnehmer/innen damit beschäftigen bzw. sind sie auch im Umbruch und müssen für sich klären, welchen Platz sie einnehmen wollen. Sie sind der entscheidende Gegenstand, aber über ihren Gestaltungsmöglichkeiten müssen sie sich verständigen. Die Verlage werden durch sinkende Umsätze im Anzeigengeschäften und anhaltenden Belastungen über das Ergebnis getrieben, sich neu zu erfinden. Als Arbeitnehmen/innen müssen wir uns fragen, ob wir uns davon treiben lassen oder unseren eigenen Platz in diesem Prozess suchen und anfangen, zu ihn erarbeiten. Das ist keine Spezifika in einer Zeitungsgruppe, sondern in meinen Augen auf unserer Seite als Gewerkschaftsbewegung eine allgemeine Aufgabenstellung.

Die Unternehmensleitungen sagen selber auch, dass sie nicht den Stein des Weisen in diesem Umbruchsprozess gefunden haben. Aber sie haben ein noch größeres Problem: wer von uns glaubt, dass mit einem Umsatzanteil von z.B. 2,8 Prozent von Online am Gesamtumsatz dies aus heutiger Sicht in der Zukunft führt? Die Glaubwürdigkeit für Ihre  digitale Strategie ist begrenzt und wir machen uns Sorgen um unsere persönliche Zukunft. Die Verlage können uns das nicht nehmen, im Zweifel wollen sie uns loswerden. Auch manch Powerplay an Transparenz durch die Manager muss sich an der Wirklichkeit messen. Als Beschäftigte sind wir dazu in der Lage, es zu durchschauen.  Wenn Reden und Praxis nicht übereinstimmen, wenn wir sehen, wie versucht wird, Stories zu erzählen, die aber den realen Prozessen nicht entsprechen, kann neben Verunsicherung auch Unzufriedenheit  entstehen.

Es ist in der MOPO im Zusammenhang mit einem Teilaspekt der „Perspektive Wachstum“ zu fünf Streiktagen und diversen weiteren Arbeitsunterbrechungen gekommen. An diesen Aktionen hat sich die Mehrheit der Belegschaft beteiligt. Aus einer beginnenden Auseinandersetzung um einen Personalabbau im Verlag, in der Anzeigenabteilung, wurde eine Bewegung der Beschäftigten um die Frage, wie geht es weiter mit dem Unternehmen.

Was wurde erreicht? Pro Beschäftigungsjahr 1 Jahresgehalt plus ein Sockelbetrag, eine 12 monatige Transfergesellschaft mit 80 Prozent vom Netto. Es gibt jetzt neue Tarifverhandlungen über die Beschäftigungszukunft, eine erste Sondierung findet demnächst statt. Vor einigen Jahr hatten wir ohne Streikaktivitäten eine höhere Abfindung erreicht, aber das ist nicht entscheidend, weil wir uns im Umbruchprozess für eine Alternative eingesetzt und zusammen gehandelt haben. Die heutige Zeit braucht Gegenkonzepte und Gegenwehr, um Arbeitnehmerrechte in der Zukunft zu gestalten.

Notwendig für die Zukunft ist eine digitale Transformation der Geschäftsideen und -Prozesse. Das gilt auch für uns als Arbeitnehmer/innen. Redakteure wollen ihr Wissen und journalistisches Handwerk umsetzen können, wollen informieren und Zusammenhänge erläutern. Heute sind es die Verlage, die mir ihren Strategien im Markt und nach innen die Arbeitsbedingungen verschlechtert. Dazu müssen wir uns positionieren, in den Debatten und in Taten.

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