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Holger Artus

Gesamtstrategie von ver.di im Web überfällig

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Mit Blick auf die Besuche auf verdi.de oder den anderen Internet-Auftritten von ver.di über die eigene Domain kann sich die Gewerkschaft mehr als sehen lassen. Es dürften über eine Million im Monat sein. Zu Zeiten der Tarifauseinandersetzungen gehen die spezifischen Web-Seiten enorm nach oben, teilweise verzehnfachen sie sich. Um so unbefriedigender ist es, dass von den ver.di-Verantwortlichen diesem Teil nur eine eingeschränkte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es gibt Regionen in ver.di, da werden der Internet-Auftritt fremdvergeben, statt es in eigene Regie zu übernehmen, statt eine eigene Kommunikationsstrategie zu verfolgen. Wo das die Verleger machen, argumentieren wir als Gewerkschafter in Betrieben, dass damit der Marke nicht gerecht wird und das man es aus Kostengründen fremdvergibt. Ich kann mir gut vorstellen, das die Ebenen Verantwortlichen noch nicht einmal wissen, dass sie auf ihren Seiten tausende Besuche haben und was die Besucherinnen und Besucher interessiert.

Gewerkschaftliche Informationsarbeit vor dem Internet 

Bevor es das Internet gab, lebte die Informationsarbeit in den Unternehmen – wie heute – von unserer Glaubwürdigkeit und soziale bzw. arbeitsrechtlichen Kompetenz, die Vermittlung erfolgte auf dem Papier, aber vor allem über Personen und unsere gewerkschaftlichen Strukturen. Wer sich in dieser Zeit gewerkschaftliche engagierte, der erfuhr als Träger auf den Vorstandssitzungen viel über das Geschehen in anderen Bereichen. Um aber als IG Druck und Papier-Mitglied etwas über die Tarifauseinandersetzung der IGM in einzelnen Tarifbereichen zu erfahren, da musste man schon an die Flugblätter kommen, geschickt wurden sie einem nicht. Wenn es um überregionalen Themen ging, dann war es die Tagespresse, die sich aus ihrer Sicht diesen Themen widmete und informierte.  Der Leithammel vorne am Tisch der Vorstandssitzung war der Verteiler der „wichtigen“ Nachricht/en, er war aber noch mehr. Er sorgte nicht nur für die Informationsverbreitung, er sorgte auch für die Interpretation eines Prozesses. Mangels eigener Informationsquellen war man selber auf diese Sitzungen angewiesen bzw. wenn man sich eigener Quellen bediente, so begann erst das Problem, denn man stellte ja – nicht gewollt  – den Leithammel in Frage. Daraus resultierten nicht wenige Konflikte. In der Außenarbeit, man stelle sich das heute vor, gab es im Prinzip neben dem gesprochenen Wort als Gewerkschafter im Unternehmen wenig Informationsmöglichkeiten. Instrument war die Gewerkschaftszeitung oder ein Flugblatt, dass aber erst einmal die Hürden der gewerkschaftlichen Deutungsmacht in einzelnen Bereichen überstehen musste bevor es das Licht der Öffentlichkeit erreichte, da es ja Geld kostete – und das musste erst einmal bezahlt werden. Darüber entschied ganz klar die Struktur. Zu Recht haben wir die Gewerkschaftszeitung genutzt und im Betrieb verteilt. Hier ging es mehr um das Gespräch und den gemeinschaftlichen Bezug: Zusammen sind wir in der Gewerkschaft.

Industrielle Produktion war gewissermaßen das Netzwerkprotokoll für unsere Kommunikation 

Wie schnell war es damals möglich, Solidarität aufzubauen bzw. eine einheitliche Haltung zu schaffen. Unsere Glaubwürdigkeit reichte damals aus, um Arbeitgeberargumente zur Seite zu schieben. Es war aber vor allem die industrielle Produktionsweise, die uns stark, glaubwürdig und kommunikativ machte, sie war gewissermaßen das Netzwerkprotokoll für unsere Verständigung. Der Zweck, warum wir uns engagieren, war die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen, war Einkommen und ein Zugewinn an Freizeit, ein befriedigenden Tätigkeit im Beruf. Die Gewerkschaft war und ist bis heute der Träger für Einkommen und berufliche Wertigkeit, für vernünftige bis solidarische Arbeitsbeziehungen. Die Ausdehnung der Produktion auf immer größere Räume, ihre Technisierung, die Digitalisierung der Informationen, der Verarbeitung und Verbreitung, die weitere Erschließung der Poren des Arbeitskörpers nicht nur in der unmittelbare Produktion haben zu vielfältigen Änderungen geführt, die sich auch auf die Kommunikationsbeziehungen ausgewirkt haben und weiter auswirken.

Was wir alles über unsere Leser/innen und deren Interessen erfahren können 

Heute hat ver.di über zwei Millionen Mitglieder, im DGB sind noch über sechs Millionen Menschen in den Einzelgewerkschaften organisiert. Die Gewerkschaftszeitungen sind bis heute ein Informationsmittel, worüber Informationen ausgetauscht werden und Meinungsbildung unterstützt wird. Um zu erfahren, welche Themen interessieren, zu Debatten führen, müsste man aufwendig eine Marktforschung anschieben, die aber nicht bezahlbar ist. So bleibt es dem „Leithammel“ also auch noch heute überlassen, die Dinge zu bewerten und die Stichworte für die Weiterverbreitung zu liefern. Das man über das Internet erfahren kann, was meine Besucher/innen interessiert und das man kostenlose Marktforschung betreiben kann, darüber dürften viele Verantwortlicher in den gewerkschaftlichen Strukturen keine Ahnung haben. Bildlich leben sie noch im Zeitalter des analogen Radio, wo es eine Kopfstation gab bzw. gibt, die massenhafte an die Empfängergeräte verteilt wurde – und dann der Prozess selber endet bzw seine Vermittlung auf einzelne Träger angewiesen ist. Das Internet hat diese tradierten Informations- und Kommunikationsbeziehungen aufgehoben. Durch die sozialen Netzwerk hat es noch einmal eine weitere Verlagerung gegeben, das Publikationsmonopol der gewerkschaftlichen Strukturen hat sich aufgelöst, sie sind nicht mehr in der Lage, alleine ihre Infos und deren Bewertung zu verbreiten. Vielmehr noch sind es heute die verschiedenen kleinen Plattformen und die sozialen Netzwerke, die diese Teil der Arbeit immer mehr übernehmen. Wer z.B. auf die verschiedenen Blogs von betrieblichen Trägern von ver.di schaut, der erfährt aus dieser Perspektive mehr als durch seine Gewerkschaft. Wie hier handverlesen geschrieben, argumentiert und diskutiert wird – dass würde niemand in ver.di erlauben.

75 % der Bundesbürger im Netz, 23 Mio. in Sozialen Netzwerken, Smartphones das kommende Zugang ins Netz.

Auch wenn die Welt sich weiter „digitalisiert“ wird es in den gewerkschaftlichen Strukturen schwer bleiben, allein den Ansatz der Ergänzung der Öffentlichkeits- und Organisationarbeit durch das Web zu gewinnen. Neben dem Leithammel-Prinzip kommt vor allem die eigene Angst, was danach kommt als erschwerender Prozess dazu. Doch wie sieht die Wirklichkeit um uns herum aus? „Im Jahr 2012 haben 75,9 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland Zugang zum Internet. In diesen Onlinehaushalten gehören PC/Laptop (97 %) ebenso zur Grundausstattung wie Fernsehgerät (97 %), Radio (89 % im Haushalt/86 % im Auto) und Mobiltelefon (98 %). Daneben verbreiten sich neuentwickelte Geräte: 2012 geben bereits 15 Prozent der Onlinehaushalte an, über ein Fernsehgerät mit Internetzugang (Hybrid-TV) zu verfügen. Und vor allem neue portable Geräte verbreiten sich schnell: 8 Prozent der Haushalte mit Internetzugang verfügen 2012 über einen Tablet-PC, 7 Prozent haben ein eBook, und ein Drittel der Haushalte nutzt Smartphones. Die im Vergleich zum iPhone (2012: 12 %, 2011: 8 %) zumeist günstigeren anderen Smartphones“ konnten sich im Jahresvergleich stärker in den Haushalten etablieren (21 %, 2011: 12 %). “ (ARD Media Perspektiven 7/2012). Die ARD/ZDF Online-Studie hat 2002 die OnlineNutzerTypologie gestartet und verschiedene BenutzerTypen herausgearbeitet: Die Jungen Hyperaktiven (13% , die Jungen Flaneure (7 %) , die E-Consumer (9 %), die routinierten Infobenutzer (21 %) und die Selektivnutzer (21 %) bzw. Randnutzer (30 %) (http://de.wikipedia.org/wiki/OnlineNutzerTypologie). Diese Nutzertypologie macht aber auch auf das Problem der gesamten gewerkschaftlichen Web-Arbeit aufmerksam: Die verschiedenen Nutzergruppen haben ganz verschiedene Zugänge und Nutzungsgewohnheiten, so das sie mit ihrem Blick auf die Nutzung auch an die verschiedenen Themen der Web-Nutzung für die Gewerkschaftsarbeit herangehen, einmal abgesehen von der gewerkschaftlichen Sozialisation, die eine prägende Rolle spielt.

Es wird aber kein Weg daran vorbei führen, die Web-Nutzung für die gewerkschaftliche Arbeit zu systematisieren und einen roten Faden zu entwickeln. Früher war der Akku für das C-Netz Telefon so groß wie eine Schreibmaschine und dennoch hat sich, beim Prozess der Miniaturisierung, das Handy so ausgebereitet. Für die gewerkschaftliche Arbeit wird das Smartphone kommend eine große Rolle einnehmen können, Dinge wie „Wiki“s dürften einen höheren Stellenwert bekommen wie man dann auch eine ver.di-Web-Seite auch auf dem Smartphone lesen kann. Die Herausforderung besteht darin, dass man diese Prozess aktiv angeht und nicht wie bei der Etablierung vom Internet (web 1.0) oder jetzt den Sozialen Netzwerken (web 2.0) nebenbei läuft.

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