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Holger Artus

Web-Strategie von ver.di auf dem Prüfstand

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Die Web-Strategie von ver.di dürfte vor neuen Herausforderungen stehen. Mit den so genannten Sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter werden neue Möglichkeiten der Kommunikation geschaffen. Das gescheiterte Mitgliedernetz von ver.di und verschiedene Neuversuche sprechen dafür, das die Frage der Interaktivität die Gretchenfrage der Weiterentwicklung einer Web-Strategie ist. Es geht aber um mehr: wie organisiert ver.di ihre Beziehungen zu ihren Mitglieder in einer Welt wachsender virtueller Beziehungen. Wie organisiert ver.di über das Web Beziehungen in die harte Welt reale Kräfte. Aus heutiger Sicht ist der Zug fürs erste abgefahren.

Heute haben sich soziale Netzwerke in der Republik ausgebreitet. Will ich wissen, wie viele Teilnehmer an dem Streik der Versicherungswirtschaft am 27.05.2011 in Hamburg teilgenommen haben, über Twitter erfahre ich die Zahl, bevor es eine offizielle Pressemitteilung von ver.di Hamburg gibt, ich werde sogar darauf hingewiesen, dass der Streik gleich beginnt. Kaum eine Demo ist heute twitterlos. Ich kann mich über die Funktion „suchen“ schnell in die Lage versetzen, was dort geschieht. Wenn gewollt, kann ich von irgendwo über die Nachricht-Funktion mit Teilnehmer/innen direkt in Kontakt treten. Noch mehr: ich werde mit unterschiedlichen Sichtweisen bzw. Eindrücken konfrontiert, weil heute bei großen Anlässen nicht nur eine Person zwitschert. Twitter, das ist ein öffentlicher Raum, in dem alle mitverfolgen können, was passiert. Interessieren mich spezielle Thema, dann kann ich dem Twitter folgen, schreiben sie etwas neues, erscheint es, wenn ich auf Twitter bin, auf meinem Display. Ob von Gewerkschaftssitzungen, Demos, Warnstreiks, mit Twitter bin ich schnell dabei, bekommen einen gewissen Ausschnitt angeboten.

Durch die millionenhafte Ausbreitung von Smartphones gewinnt dieser Verbreitungsweg für die Gewerkschaftsbewegung an Bedeutung. Er wird selber Kanal für die Meinungs- und Stimmungslage zu mir als Organisation. Ich selber kann über Twitter auf 140 Zeichen eine Nachricht in die Welt setzen, selber über den Demo-Verlauf regelmäßig unterrichten. Mit Twitter bin ich in Suchmaschinen, mit Twitter bin ich dabei. Durch die Anonymität der Absender bin ich vor den Recherchen und Kontrolleuren verschiedenster Interessengruppen geschützt.

Während Twitter in erster Linie eine Form der Information ist, nimmt Facebook mehr den Platz des Beziehungswerkzeugs ein. Hier kann ich mich gezielt mit Gleichgesinnten treten, kann offene und geschlossene Gruppen bilden. Ich kann Bilder schnell verbreiten und bin sogar in der Lage auf die schnelle Bewegtbilder, also Videos u.a. auf meine Facebook Seite zu stellen. Wer meine Freund/in ist, kann sie sehen.

Das Internet ist ein Massenmedium geworden, zig Millionen Menschen bewegen sich im Netz. Durch billige Flatrates für Handys und stationore Rechner bewegen sich zwei Drittel der deutschen im Netz, es gibt Millionen Internetfähige Handys, keiner kommt an den Sozialen Netzwerken vorbei. 20 Millionen sollen bei Facebook sein, bei Twitter sollen es auch Millionen in der BRD sein. Keine Organisation kommt an diesen Plattformen mehr vorbei. Geschwindigkeit und Nähe sind eine großer Platzvorteil. Demgegenüber sind die statistischen Web-Seite von ver.di nicht in der Lage, so schnell zu informieren, wer darauf produziert, weiß was Umstand ist. Sie sind vor allem keine Foren des Austauschs, der Beziehungen, der Vernetzung. Gerade in dieser Funktion liegt das besondere für die Gewerkschaftsbewegung. Statt darüber zu reden, das man sich vernetzten sollten, kann man es jetzt real und ist nicht mehr auf die Vermittlung durch eingeschlafene Gewerkschaftsstrukturen angewiesen, das sie helfen. Statt wie beim Fernsehen über eine Kopfstation alles zentral verteilt wird und von anderen ausgesucht, erfolgt die Steuerung durch den Anwender und in seinem Interesse an anderen.

Mit solchen Medien wie Youtube u.a. Video-Plattformen kommt Leben in die Nachricht oder sie wird emotionaler. Video aufnehmen, mit den einfachen Schneidemedien bearbeiten, ein Konto auf einer Videoplattform und hochladen. Fertig. Auf verdi.de ist nur streik.tv auf der zentralen Startseite zu integrieren. Youtube-Videos sind nicht wirklich seriös auf verdi.de-Seiten zu veröffentlichen. Eine technische Schnittstelle für ein mobiles Angebot gibt es nicht. Interaktivität wird in einen geschlossenen Bereich (für theoretisch 2 Millionen Verdi-Mitglieder) verbannt. Android und Apple – keine Peilung.

Die Herausforderung für ver.di besteht nicht nur darin, auf neue Möglichkeiten im Netz für die eigene Web-Strategie sinnvoll zu reagieren, sondern sich dem Thema Mitgliederbeteiligung erneut zu stellen. In aktuellen Tarif- und Betriebskonflikten wird die Erfahrung gemacht, dass uns nicht die Kompetenz zugewiesen wird, die Sache zu schaukeln. Das dürften in erster Linie gefühlte Dinge sein, die aber entscheidend sind für die Art der Kommunikation, was wir sagen und wir es ankommt. Es gehört immer mehr zur Regeln, dass die Beschäftigten mit einem Selbstverständnis dem Internet als Plattform stellen und sich eigene Foren schaffen. Da man unter sich ist, ist Glaubwürdigkeit gegeben. Neben der Glaubwürdigkeit geht es um die Frage der Zeit, die mit dem Internet gewissermaßen sofort gegeben ist. Gewerkschafltiche Struktruren arbeiten aber nicht auf „sofort“. Während vor 20 Jahren es diese Strukturen via Internet und Handy mittels sms nicht gab, heute haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass Zeit eine kleine Größe ist und wollen schnelle Antworten. Dies wird aber vor allem dadurch bestimmt, dass die Arbeitgeber auf die Tube drücken in der betrieblichen Agitation. Als Gewerkschaft sind wir zwar durch unsere Mitglieder und über die Betriebsrote präsent, aber eben als betriebliche Akteure. Ein Wert gewerkschaftlicher Aufklärung besteht gerade darin, dass wir mit dem Blick der Branche, mit der nichtbetrieblichen Brille die Dinge angehen und das wir auf Grund von Berufserfahrung Dinge einbringen, die die betriebliche Brille erschwert. Über die Antwort auf die Frage „Wann ist sofort“ sind wir über das Internet in der Lage, schnell zu informieren. Das aber entspricht nicht dem Tempo gewerkschaftlicher Strukturen. Diese haben einen durch Arbeitsüberlastung und Terminfülle geprägten Charakter.

In den Strukturen ist noch nicht begriffen, wie sehr die Medien von unseren Kolleginnen und Kollegen selber genutzt werden und was sich daraus für gewaltige Chancen in der Agitiation und Aufklärung ergeben. Hierbei entscheidet die Zeit. Die betrieblichen und konzernweiten Konflikte, die ich erlebt und begleitet habe, die waren stark vom Faktor Zeit abhängig. Je gemächlicher desto weniger Informationen. Je mehr Informationen, desto schneller. Je schneller, desto mehr an dem Themen und den Stimmungen und der Mobilisierung dran. Diese Aufzählung soll auch verdeutlichen, dass es keine Frage des Internets ist. Man muss alle Kanäle bedienen und jeder hat einen spezifischen Platz, der auch noch von den konkreten Bedingungen vor Ort oder des Konfliktes abhängig ist. Je dichter ich betrieblich bin, je näher ich dem Thema und den Menschen, desto mehr Spielräume habe ich.

Mit Blick auf die Binnenstruktur gehört es zur Erfahrung, dass sie besonders ablehnend gegen unregulierte Kommunikationsbeziehungen sind. Verlässlichkeit bildet sich in eigenen Räumen heraus, aber wenig im

virtuellen. Verlässlichkeit ergibt sich aus klaren Beziehungen, die geregelt werden auf Sitzungen. Es gehört zu unseren Erfahrungen, dass was wir reden auch stimmen muss. Dazu brauchen wir den geschützten Raum und die Salbung von vorne. Sie ist das Koordinatenkreuz der Verlässlichkeit, Autoritäten sind es, auf die wir hören, im Netz werden wir gleicher.

Meine Erfahrung von betrieblichen Kämpfen ist, dass ein Hauptproblem unseres Glaubwürdigkeitsverlustes die falsche Bestimmung von Zeit und die unmittelbare Präsens ist. Es gehört zu meinen Erfahrungen, dass es nicht selten vorkommt, dass Strukturen an Konflikte so herangehen, dass ihre Zeitkalender den Rhythmus einer Auseinandersetzung bestimmen. Das einmal erlebt, wird man sich andere Lösungen suchen.

Es gibt ein wachsendes Angebot von virtuellen Räumen, wo ich mich auch sehen und Dokumente austauschen kann. Künftig werden Videokonferenzen und Konferenzräume im Netz an Bedeutung gewinnen. Vermutlich wird es aber so kommen, dass wenn es Maßstab geworden ist, man sich in ver.di damit beschäftigt. Videokonferenzräume ziele auf eine bestimmte Zielgruppe, aber in allen neuen Notebooks haben die Kumpels oben eine Cam. Medienkompetenz für haupt- und ehrenamtlichen Funktionäre im Netz, in der Anwendung der Kommunikationsmittel bzw. dem Kommunikationsverhalten, dass stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Ich habe nicht selten Mitgliederversammlungen erlebt, wo ein engagierte Gewerkschaftssekretär auf Ereignisse in anderen Betrieben verwiesen. Früher war diese Nachricht eine Information, die man noch nicht kannte. Heute ist das völlig anders geworden. Wenn ver.di ihre Funktionäre nicht schult in diesen neuen Kommunikationskanälen, ihrer Unterschiedlichen Bedeutung, Risiken und Chancen, dann wird dieser Weg einfach nicht erschlossen. Medien muss man einsetzen und beherrschen. Im Mittelpunkt steht dabei nicht die technische Handhabung, sondern der Einsatz der Webpotentiale für die inhaltlichen Ziele in der praktischen Politik.

Seit Mitte der 90er Jahre durfte ich meine Erfahrungen des Einsatz von elektronischer Vernetzung in der Gewerkschaftsbewegung machen. Mir ging es um den zweckgemäßen Einsatz für die praktischen Dinge, den gewerkschaftlichen Strukturen ging es um Infohoheit, Herrschaft und ihre Vertraulichkeit. An diesem ihren Grundverständnis hat sich bis heute nichts geändert, wenigstens wenn ich sehe, wie sie heute wie damals in dieser Frage agieren. Sie wollen das mit dem Web nicht, sie wollen im vertrauten Gespräch ihre Meinung organisieren, dazu bedarf es keiner offenen Debatte, die sie im übrigen auch heute in der Organisation nicht wollen, höchstens unter ihres gleichen. Doch das Web wird die Dinge weiter verändern. Mit den sozialen Netzwerken wird es schwerer für sie. Bis heute erinnere ich mich gerne daran, wie ich einen geheimen Vorschlag für einen hauptamtlichen Bundesvorstand einer Gewerkschaft ins Usenet stellte und es zu dessen Kandidaturverzicht führte, weil die Strukturvertreter sich darüber empörten, das es nicht in ihrem elektronischen Netz erfolgte, sie nicht von ihren Leuten informiert wurden. Ein ganz normaler Vorgang, der durch die Transparenz zur Klärung führte. Sie waren nicht mehr alleine.

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