Ansichten

Holger Artus

Die Zeit zur Klärung nutzen, bis der Stellenabbau kommt

| Keine Kommentare

Im Rückblick auf die Übernahme der MOPO durch VSS/Mecom 2006 habe ich aktuell (1. Oktober 2025) eine Erzählung über das agieren des MOPO-Betriebsrat in der Herausbildung der neuen Gruppe am deutschen Zeitungsmarkt aufgeschrieben, in dem es um das handwerkliche Wirken geht, wie wie damals vorgegangen waren, um uns in der ersten Phase der Übernahme aufzustellen.

Aus den verschiedenen Übernahmen der MOPO durch neue Eigentümer kannten wir die Abläufe. Zum einen musste zunächst das Kartellamt zustimmen – solange konnte sich nichts ändern. Die alte Führung, die alten Businesspläne: zunächst blieb alles unverändert. Die neuen Erwerber saßen noch nicht einmal im Haus. Mit dem unterschriebenen Kaufvertrag, aber noch vor der Zustimmung des Kartellamts, traten sie zwar auf und betrachteten ihr gekauftes Gut – operativ griffen sie jedoch nicht ein. Gleichzeitig konnten die alten Eigentümer aber auch nichts mehr verändern.

Aus den Unterlagen des G+J-Verkaufs an Frank Otto und Hans Barlach wussten wir, wie über jedes Detail gesprochen wurde. Nichts blieb unbesprochen. Auch beim Verkauf der MOPO an VSS/Mecom gab es eine Unternehmenswert-Analyse (Due Diligence), aus der die kommenden Maßnahmen abgeleitet werden konnten. Wir hatten keinerlei Illusionen, dass die neuen Erwerber bereits einen fertigen Gesamtplan hätten. Dafür benötigten sie ihre eigenen Strukturen – sprich: eine neue Führungsriege und konkrete Businesspläne zur operativen Umsetzung der Eckpunkte ihrer strategischen Ziele.

Wir waren auf den Verkauf gut und strukturiert vorbereitet. Wir kannten die Menschen im Haus und wussten, wie die Abläufe funktionierten. Für uns zählte jeder Tag bis zur Verkündung des Verkaufs, den wir nutzen mussten, um „Plätze“ zu besetzen. Am 12. Januar 2006 erschien eine BR-Info, die sich mit Fakten zum vermutlich anstehenden Verkauf befasste. Darin griffen wir auch die organisierten Dementis unserer Eigentümer zum möglichen Verkauf auf.

Es gibt immer Wut, Enttäuschung und Ängste, wenn ein Verkauf verkündet wird. Die Frage war, wem man danach vertraute und an wem man sich – zumindest eine Zeit lang – orientierte. Dazu hatten wir in der Info vom 12. Januar 2006 unsere Perspektive für die MOPO dargestellt.

Wir mussten uns selbst Tempo machen und das Vakuum bis zu den neuen Strukturen und Businessplänen nutzen. Dieses Zeitfenster hatten wir, weil wir seit Dezember 2005 das Vorgehen durchspielten und mit hohem Tempo gefüllt hatten. Wir hatten einen Konzernbetriebsrat in der neuen Gruppe gebildet, einen Euro-Betriebsratsprozess angestoßen, eine Struktur (Aktionsausschuss) für ein gemeinsames tarifliches Vorgehen geschaffen und unsere Kommunikation im Haus etabliert.

In dem Moment, in dem die neuen Strukturen standen, würden sie auch umgesetzt werden. Zum Tempo der Umsetzung und zum Zeitpunkt konnten wir nur Annahmen treffen und darauf beruhende Szenarien entwickeln. Wir nutzten jede Gelegenheit, um diverse Punkte zu klären, sodass wir den Radius unserer Annahmen erweitern konnten. Dazu gehörte auch der Besuch von Peter Skulimma. Er war seit Dezember 2004 Geschäftsführer des Berliner Verlages und blieb dies auch nach der Übernahme durch VSS/Mecom – nun für die operative Dachgesellschaft, die BV Deutsche Zeitungsholding. Diese hatte auch die Morgenpost Verlag GmbH gekauft.

Am 23. März 2006 führten wir ein Gespräch mit Peter Skulimma. Dieses bereiteten wir sorgfältig für unser weiteres Vorgehen vor und stimmten uns dazu mit dem Betriebsrat des Berliner Verlages ab.

Die technischen Synergien würden in Richtung Berlin fließen. Die Gruppe wollte wachsen, und künftig aufgekaufte regionale Zeitungsverlage würden früher oder später „angepasst“ werden (zu diesem Zeitpunkt war das noch nicht entschieden). So oder so hätte ein neues System unsere Mitbestimmung ausgelöst und zu einer neuen Betriebsvereinbarung geführt. Eine Regelung in Berlin hätte unsere Spielräume möglicherweise eingeschränkt, sodass für uns eine Lösung über eine Konzernbetriebsvereinbarung eine Option gewesen wäre.

Zentral waren die Fragen nach dem redaktionellen Mantel und nach dem Personalabbau. Auch hier wollten wir Aussagen gewinnen, die wir für eine Auseinandersetzung nutzen könnten.

Am Ende war es nur ein „Beziehungsgespräch“ – doch es diente unserer weiteren Vorbereitung auf kommende Veränderungen. Frühzeitig hatten wir darauf hingewiesen, dass die Konflikte im zweiten Halbjahr 2006 kommen würden (und so geschah es), wofür wir uns aufstellten. Mit der Auseinandersetzung im Dezember 2006 waren wir zu einer Kraft geworden, an der die Gesellschafter nicht mehr ohne Weiteres vorbeikamen. Die Systematik im Herangehen – die Strukturen, die Erzählung, die Vorbereitung und die Umsetzung – war zu unserem Handwerk geworden. Wir wussten um unsere Potenziale und versuchten, sie für die Zielerreichung zu formulieren. Für mich war gefühlt eine neue Situation entstanden: Die Theorie konnte zur Kraft werden.

Schreiben Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.