Zum 1. Juli 2002 verkaufte der Hamburger Verlag Gruner + Jahr (Stern, Brigitte) seine 100%-en Berliner Töchter an die Holtzbrinck-Gruppe (Handelsblatt, Wirtschaftswoche u.a). Auch die Sächsische Zeitung in Dresden soll verkauft werden, einen Käufer gibt es noch nicht. Die Pläne der Konzerns für die Zukunft: Das Zeitschriftengeschäft und Auslandsaktivitäten weiter restrukturieren, die Prozessoptimierung im Kerngeschäft fortsetzen. Das Ziel: Ein erfolgreiches Ergebnis zum Jahresende.
Holtzbrinck kauft die Berliner G+J-Zeitungen
850 Menschen haben seit dem 1. Juli einen neuen Arbeitgeber: Die Beschäftigten von „Berliner Zeitung“, „Berliner Kurier“ und „Kurier am Sonntag“, der Szene-Zeitschrift TIPP sowie die Anzeigenzeitungen „Berliner Abendblatt“, „Schweriner Kurier“ und „Warnow Kurier“, die „G+J-Berliner Zeitungsdruckerei“ und die G+J-Anteile an den Internet-Firmen „BerlinOnline“ und „Berlin.de“ (45%). Geschätzte Höhe des Deals: 200 Millionen Euro. Im Gegenzug verhandelt Bertelsmann mit der Holtzbrinck-Gruppe über deren n-tv Anteile (47%). Lohnt sich das Geschäft für Holtzbrink? Während Tipp und die Druckerei schwarze Zahlen schreiben, stehen die anderen bei rund 20 Millionen Euro Verlust. Neben Springer (Berliner Morgenpost, Welt, B.Z. und BILD) positioniert sich Holtzbrinck jetzt stark im Markt, denn auch der „Tagesspiegel“ und die Szene-Zeitschrift ZITTY gehören der Gruppe. Spekulationen gibt es um die Miesen: Der „Tagesspiegel“ soll zehn bis elf Millionen Euro Verlust schreiben. Und auch mit der „Lausitzer Rundschau“ in Cottbus war die Stuttgarter Verlagsgruppe bislang wenig erfolgreich – auch sie dümpelt im Meer der roten Zahlen.
Erfolgreiche Kaufleute am Werk
Der Verkauf überrascht in der Branche nicht. Bereits im vergangenen Jahr (s.a. M 7/2001) verhandelten die Hamburger mit diversen Zeitungsverlagen, u.a. Holtzbrinck, Süddeutsche Zeitung; die Gewinnkrise trieb die Verlagsmanager sogar zu dem verzweifelten Versuch, firmenübergreifende Anzeigen- und Marketing-Abteilungen für den Berliner Verlag und den Tagesspiegel zu bilden. Eine gute strategische Leistung darf Gruner+Jahr angesichts des Verkaufspreises bescheinigt werden. Nach dem Erwerb des Berliner Verlages von Maxwell 1994 baute G+J systematisch die Zeitungsaktivitäten in Berlin aus. Die Druckerei wurde für den Gesamtberliner Wettbewerb fit gemacht: Millionen flossen in einen Neubau und Druckmaschinen. Zwei Anzeigenblätter wurden im Westen gekauft, um die Gesamtberliner Ausdehnung der Anzeigenzeitung „Berliner Abendblatt“ erfolgreich zu realisieren; BerlinOnline zu einem bedeutenden Stadtportal ausgebaut. Die ehemalige Strategie, Synergie der G+J-Kaufzeitungen in Hamburg, Berlin, Dresden, Chemnitz und Leipzig zu nutzen, wurde beendet, stattdessen eine Standortstrategie Berlin und Dresden entwickelt. Bis der Werbemarkt in 2001 einbrach, schaffte es der vorher mit fünf Millionen Euro Verlustschwere „Berliner Kurier“, Gewinn abzuwerfen. Das kalkulierte Risiko traf dennoch ein: Die Erwartungen blieben hinter den gesteckten (Rendite-)Zielen zurück, die Investitionen in den Relaunch der Berliner Zeitung wurden von Käufern, Kleininserenten und der werbetreibenden Wirtschaft nicht belohnt. Die Ursache ist der einmalige Zeitungsmarkt in Berlin: Nirgendwo sonst ringen soviele Zeitungen um Leser und Anzeigen, die Stadt splittet sich außerdem in Ost- und Westklientel. Es sind die Marktverhältnisse in Berlin, die nicht dazu geführt haben, dass der Käufermarkt erweitert und den Konkurrenten Märkte abgerungen werden konnten. Aufgrund der allgemeinen Flaute wurde dem „Tagesspiegel“ bereits drastischer Sparkurs verordnet, Welt und Berliner Morgenpost zusammengelegt.
Ohne das „Ja“ des Kartellamtes ändert sich (ersteinmal) nichts
Das Kartellamt muss dem Geschäft zustimmen. Die Auswirkungen bei einen „Ja“ wären vor allem für die Großen, „Berliner Zeitung“ und „Tagesspiegel“, spürbar: In den Verlagsabteilungen dürfte das große Zittern beginnen. Die Übernahme von „Berliner Kurier“ und den Online-Portalen gilt als problemlos. Sollten die Szeneblätter nicht in eine Hand kommen, wird eines der Blätter zum freien Fressen auf den Markt geworfen, erklärten Holzbrinck-Manager – allerdings in feineren Worten. Auf das Kartellamt hoffen, ist nicht angebracht: Eine Entscheidung gegen die Monopolisierung wird an der Absicht des Hamburger Verlages nichts ändern, seine Zeitungen loszuwerden. Ein Kartellamts-„Nein“ würde lediglich den Preis der rennomierten Blätter senken.
Dort wird sich vorerst nichts ändern, nicht einmal ein Kugelschreiber darf den Aufdruck eines künftigen Eigentümers haben, ohne dass das Kartellamt seinen Segen gibt. Das G+J Management verantwortet weiterhin das Schaffen. Unterstrichen haben die Führungskräfte, dass es bei dem eingeschlagenen Sparkurs bleibt – sowohl bei der „Berliner Zeitung“ (G+J) als auch beim „Tagesspielgel“ (Holtzbrinck).
Die Betriebsräte der Unternehmensgruppen haben einem Tag nach dem Verkaufsmeldungen in einer gemeinsamen Erklärung auf die Probleme hingewiesen und sich auf ein gemeinschaftliches Vorgehen verständigt. „Wir freuen uns auf unsere Zusammenarbeit“ war eine Botschaft. In etwa vier Monaten wird das Kartellamt entscheiden, bis dahin wollen die Interessenvertreter sich abstimmen.
Die Sächsische Zeitung – ein Filetstück, das viele wollen
Mit größter Gier starren etliche deutsche Verleger nach Dresden – dort ist die „Sächsische Zeitung“ ansässig, eine der wenigen Zeitungen im Osten, die die für Unternehmer so begehrte Rendite abwirft. Ihr regionales Monopol in Sachsen und ihre überregionale Bedeutungen bei Anzeigenkampagnen – durch den Verbund mit der „Chemnitzer Morgenpost“, der „Morgenpost am Sonntag“, der „Dresdener Branchen“, einem Call-Center sowie der Immobilien- und Autozeitschrift MAZ und Beteiligungen am Anzeigenblatt „Wochenkurier“ – macht sie zu dem Esel, der Goldstücke für jeden Eigentümer abwirft. Die Zeitungsaktivitäten in Sachsen teilt sich G+J zwar mit der SPD im Verhältnis 60/40, aber die Sozialdemokraten interessiert nur die Rendite – wer sie einfährt, ist ihnen egal.Gruner + Jahr will die Dresdner Druckerei auf jeden Fall behalten. Grund: Hier werden „Spiegel“ und diverse G+J-Titel gedruckt. Nachhaltige Verbundenheit: Den Druckauftrag für die „Sächsischen Zeitung“, sechsmal die Woche 350 000 Stück, werden sich die ausgebufften G+J-Manager langfristig im Kaufvertrag sichern.
Überall wird durchforstet, umgebaut, eingestellt – für eine positive Bilanz
Das Wirtschaftsblatt für Jungmanager, BIZZ, wurde Anfang des Jahres eingestellt, „Online Today“ kam im Juni das letzte Mal auf den Markt. Das waren nicht die letzten Entscheidungen des G+J-Managements – zu hart werden die Auflagenkriege bei den Zeitschriften geführt. Zu den Restrukturierungsmaßnahmen gehören auch Pflege, Sicherung und Ausbau der bedeutenden Marken „Stern“, „Brigitte“ oder „Capital“; ebenso Investitionen in die teuer erworbenen Titel in den Vereinigten Staaten, z.B. „Inc“. Die wünscht sich G+J endlich in der Gewinnzone. Dem lange problemlosen Druckgeschäft steht ebenfalls eine Neuausrichtung bevor, wie der Abgang des ehemaligen Vorstandsmitgliedes Edelbert Schwarze im Frühjahr deutlich machte. Wie mit den Überkapazitäten umgegangen wird, ist noch nicht entschieden. Die Umstellung des Bilanzabschlusses vom 30. Juni auf den 31. Dezember im Jahr 2001 führte neben den Verkäufen alle Restrukturierungsaktivitäten mit, auch der Multimedia-Bereich wurde aufgelöst und in den Anzeigenbereich integriert – 350 Beschäftigte verloren ihre Jobs. Der unternehmerische Erfolg kann sich sehen lassen: Das Jahr 2002 wird G+J mit einem zufriedenen Ergebnis abschließen.
Der Ausverkauf der Presse nimmt zu
Dass Gewinngeilheit zu einer nachhaltigen Pressekonzentration führt, ist offensichtlich. Leider verstehen es die Kaufleute, die zwingende Logik von dem Zusammenhang eines wirtschaftlichen Erfolges mit der Notwendigkeit der Synergie-Schaffung, immer wieder zu realisieren. Inwiefern die gesetzlichen Grenzen ausreichen, die Markt- und Unternehmermacht aufzuhalten, ist fraglich. Die Grenzen innerbetrieblicher Synergien ist erreicht, der Ausverkauf der meinungsbildenden Presse nimmt zu. Zu Recht wies der Verdi-Fachbereichsleiter Medien und Vorstandsmitglied Frank Werneke auf einer Pressekonferenz unmittelbar nach dem Verkauf vor dem Berliner Verlag darauf hin und zog den Bogen in Richtung Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium, die bestehende gesetzlichen Beschränkungen bei den Medien im Kartellrecht geändert wissen wollen.