Im November 2006 hatte ich für die ver.di-Fachzeitschrift MMM über die Gründung des Europäischen Betriebsrats (EBR) bei Mecom geschrieben. Die britische Gesellschaft war erst 2005 auf dem europäischen Zeitungsmarkt aktiv geworden und expandierte rasant. Der Text stand bislang nicht auf meinem Blog – das möchte ich nachholen.

In der gleichen Ausgabe gab es noch ein Interview mit Martin Dieckmann, ver.di Fachgruppenleiter für die Verlage und Agenturen und medienpolitischer Referent im ver.di Bundesvorstand: „Bei „Heuschreckenalarm“ kein Grund zur Panik“ lautete die Zeile. Damit leistete er einen wichtigen Beitrag, sowohl mit strategischen Blick auf die neuen Akteure zuzugehen, wie er auch auch praktisch entwickelte, wo der Beitrag in der Umsetzung von ver.di mit ihren Instrumenten liegen und wie man es betrieblich umsetzt. Ich war damals sehr froh, dass es dieses Herangehen und die Sichtweise gab. Die hier und da vermittelte Hektik in anderen Strukturen halfen der Formierung m.E. nicht.
Warum gerade jetzt den Text zum EBR von Mecom? Aktuell schreibe ich an einigen Texten zu Mecom in Deutschland von 2006 bis 2009. Bei der Recherche stolperte ich über die Veröffentlichung. Zweitens hatte ich in diesem Jahr (2025) bei verschiedenen Besuchen in den Niederlanden öfter von den damals sehr netten Erfahrungen erzählt. Besonders die Zusammenarbeit mit den niederländischen Betriebsräten der Mecom Group ist mir in guter Erinnerung. Gleiches gilt für meine Freunde aus Norwegen (Kjetil Haanes) und Dänemark (Uffe Gardel). Wir kannten uns schon aus Gewerkschaftstreffen 2002/2003 in Warschau und Budapest – noch bevor es Mecom gab. Kjetil und Uffe arbeiteten damals bei Orkla Media. Unser Vertrauen und Austausch waren selbstverständlich. Leider ist Kjetil im Juni 2023 verstorben.
Im April 2006 trafen wir uns erstmals im Berliner Verlag: Betriebsräte von VSS (85 %, Mecom 15 %) und der Gewerkschaftsvorsitzender von Orkla Media aus Dänemark. Mecom plante, Orkla Media mit seinen Beteiligungen in Norwegen, Dänemark, Polen und der Ukraine zu übernehmen. Zuvor hatte das Unternehmen im März 2006 die „Mediengruppe Limburg“ (MGL) in den Niederlanden gekauft. Wir vereinbarten, den Kontakt mit dem Betriebs- und Redaktionsbeirat der MGL zu suchen. Im Mai 2006 reisten wir dafür nach Sittard – der Beginn einer engen Zusammenarbeit.
In Berlin beschlossen wir auch, Kontakt zur britischen Journalistengewerkschaft NUJ und zur Druckergewerkschaft AMICUS aufzunehmen. Montgomery, Mecoms Gründer, war in Großbritannien bekannt, auch wenn er dort zunächst nicht aktiv war. Ein Markteintritt war aber für uns denkbar, und nur über die britischen Gewerkschaften wäre eine künftige Einbindung möglich gewesen. Meine Erfahrungen mit dem EBR bei Bauer Media hatten mir auf ein funktionierendes Strukturmodell vermittelt.
Wir einigten uns außerdem auf ein Netzwerk von Betriebsräten und Gewerkschaften aus allen Mecom-Unternehmen und -Beteiligungen zu initiieren. Mit ver.di blieb ich im Austausch, allerdings ohne große Resonanz. In Warschau diskutierte ich im Juli 2006 mit meinen dortigen Partnern üver Orkla Media Polen.
Nach dem Kauf von Orkla Media durch Mecom im Juni 2006 trafen wir uns im August 2006 in Kopenhagen nach einer EBR-Sitzung von Orkla Media. Wir sprachen über die künftige Struktur, den Status der deutschen Minderheitsbeteiligung und die Frage, wohin Montgomery das Unternehmen führen wollte. Die Einschätzungen gingen auseinander: Wollte er dauerhaft wachsen – oder nur als Finanzinvestor kaufen, Synergien nutzen und wieder verkaufen? Meine skandinavischen Kollegen sagten klar: „Montgomery will Verleger werden.“ Sie behielten Recht.
Die kollegiale Zusammenarbeit ohne Konkurrenzgehabe, das gemeinsame Zuhören und die strategische Idee, den Konzern in die Arbeitnehmervertretungen einzubinden, motivierten mich, diesen Prozess aus Sicht der Beschäftigten zu beschreiben. Gerade bei einem finanzgetriebenen Akteur wie Mecom erwies sich das skandinavische Modell der Mitbestimmung als unverzichtbar – und stellte auch den persönlichen Kontakt zu Montgomery her.
Im November 2006 wurde schließlich der EBR gegründet. Die deutsche Minderheitsbeteiligung erhielt dort Beobachterstatus. Es kam zum Text in MMM:
Am 16./17. November 2006 hat sich der Europäische Betriebsrat (EBR) von Mecom Europe, einer 100prozentigen Gesellschaft von Mecom Group plc aus London, konstituiert. Nach nur drei Monaten zwischen Verhandlungen und Gründung des Unternehmens gibt es damit in einer der großen europäischen Zeitungsgruppen einen EBR.
Mecom Group plc ist eine an der Londoner Börse notierte Gesellschaft. Vorstandsvorsitzender ist David Montgomery. Bekannt wurde sein Name in deutschen Landen im Zusammenhang mit dem Erwerb des Berliner Verlages im Oktober 2005 und der Hamburger Morgenpost im Januar 2006. Sein Anteil am Berliner Verlag beträgt jedoch lediglich 15 Prozent. Im deutschen Markt tritt diese Gruppe unter der Plattform BV Deutsche Zeitungsholding als Käufer auf. Größter Anteilseigner ist der amerikanische Finanzinvestor Veronis, Suhler, Stevenson (VSS).
Im internationalen Zeitungsgeschäft agiert David Montgomery allein mit seiner Gesellschaft Mecom Group plc.
– Im April 2006 erwarb er die niederländische Zeitungsgruppe MGL in der Nähe von Maastricht.
– Im Juli 2006 kam es zur Verständigung mit dem norwegischen Mischkonzern Orkla ASA über exklusive Verhandlungen zum Kauf der Zeitungssparte Orkla Media. Der Kaufvertrag wurde im September unterzeichnet. Orkla Media ist eine der größten norwegischen Zeitungsgruppen und ein führendes Unternehmen in Dänemark und in Polen. Auch in Litauen und der Ukraine gehört sie zu den Akteuren am Zeitungsmarkt.
Schnelles Handeln
Mecom Europe ist in allen klassischen Feldern einer Zeitungsgruppe aktiv. Im Mittelpunkt steht die Herausgabe von Regional- oder Kaufzeitungen. Tägliche Gratiszeitungen und Anzeigenblätter an verschiedenen Standorten gehören genauso zur Geschäftsstrategie wie Online-Portale in der Region. Große Zeitungsdruckereien sind die wirtschaftliche Basis für ihre Aktivitäten.
Mecom Europe beschäftigt rund 8.000 Arbeitnehmer in den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Schweden, Polen, Litauen und der Ukraine. Bereits im Zusammenhang mit den Verkaufsabsichten von Orkla Media im Frühjahr 2006 wurden Beziehungen der Interessenvertretungen zwischen den anderen von Mecom umworbenen Zeitungsunternehmen aufgebaut. Unmittelbar nach den Übernahmeverhandlungen zwischen Mecom und Orkla Media im Juli 2006 kam es zu Diskussionen zwischen den Arbeitnehmervertretungen über die künftige Zusammenarbeit.
Mit der Übernahme von Orkla Media waren am 1. Oktober 2006 die rechtlichen Voraussetzungen für einen Europäischen Betriebsrat, d.h. eine entsprechende Vereinbarung mit dem neuen Unternehmen, geschaffen. Noch vor der formalen Herausbildung der Gruppe waren die Eckpunkte dafür besprochen. Auf verschiedenen Treffen in Berlin, Sittard (Niederlande) und Kopenhagen wurden die praktischen Grundsteine für die Beziehungen der Betriebsräte und Gewerkschaften gelegt. Bei Gründung von Mecom Europe war die EBR-Vereinbarung bereits unterschrieben.
Das norwegische Gesetz für Eurobetriebsräte bildet die Grundlage für die Arbeit des EBR von Mecom Europe. Die Perspektiven in der internationalen Zusammenarbeit ergeben sich aus dem Wissen und der Anwendung nationaler Interessenvertretungssysteme. In Norwegen und Dänemark gibt es keine Betriebsräte. Hier vertreten die Gewerkschaften die Interessen der Beschäftigten (ihrer Mitglieder) in sogenannten Gewerkschaftskomitees. Die Niederlande haben ein Betriebsrätesystem sowie gesetzlich geregelte Redaktionsvertretungen. In Teilbereichen (Redaktion) verfügen die Gewerkschaften über Kontrollrechte. In Polen gibt es einen (Gesamt)Betriebsrat. In den skandinavischen Ländern ist die Wahl von Arbeitnehmern in den Aufsichtsrat gesetzlich geregelt, in den Niederlanden haben die Betriebsräte ein Vorschlagsrecht für Aufsichtsratsposten, die nicht Arbeitnehmer des Betriebes sein dürfen. In der Bundesrepublik sind Betriebsräte aktiv. Aber es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf Redaktionsbeiräte. Im Aufsichtsrat sind Arbeitnehmer nicht zu berücksichtigen. Gewerkschaften mit Kontrollfunktion spielen keine große Rolle im Betrieb.
Die Strategie der Interessenvertretungen mit dem Erwerb der Orkla Media Gruppe: Schnell handeln und im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kauf vieles regeln oder an einen abschlussreifen Punkt heranführen. Erfahrungen dafür waren bereits beim Kauf der Fachmediensparten von Bertelsmann durch die Finanzinvestoren Cinver und Candover im April 2003 auch in der internationalen Zusammenarbeit gesammelt worden. Geplant sind mehrmalige und regelmäßige Treffen der Arbeitnehmervertreter (Geschäftsführender Ausschuss) mit den Führungskräften. Die Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten nehmen daran teil. Einmal im Jahr gibt es ein großes EBR-Treffen mit dem Vorstand der Gesellschaft unter Beteiligung der deutschen Betriebsräte aus der Mecom-Minderheitenbeteiligung (15 %) BV Deutsche Zeitungsholding.
Die Interessenvertretungen von Mecom Europe sind sich bewusst, dass es sich um einen jeweils stark ausgeprägten nationalen Zeitungsmarkt handelt. Redaktionelle Synergien wird es Länder übergreifend kaum geben. In den Ländern verfolgen die Unternehmen eine Geschäftsstrategie mit den regionalen Abo-Zeitungen bzw. Kaufzeitungen, die eine hohe Rendite verspricht. Dabei werden nationale Rahmenbedingungen, regionale Besonderheiten und die konkreten Wettbewerbsverhältnisse sehr genau berücksichtigt. Mit einer Strategie von der Stange können diese Ziele nicht erreicht werden. Ein Finanzinvestor, der seinen Geldgebern keine Ergebnisse sichert, wird mittelfristig vom Markt der Investoren verschwinden. Eine vermeintliche Strategie, die darauf setzt, Unternehmen auszusaugen, nützt wenig.
Informationen austauschen
Und dennoch gilt es gerade hier, wachsam zu sein. So ist der Informationsaustausch über die Maßnahmen, die in den jeweiligen Ländern zur Renditeerhöhung unternommen werden, ein Aspekt in der Zusammenarbeit der Interessenvertretungen. Sie zu analysieren soll helfen, Gegenaktivitäten zu entwickeln, um die Auswirkungen für die Betroffenen so wenig nachteilig wie möglich zu halten. Bei nationalen Plänen für Beschäftigungsabbau will der EBR versuchen, in dem jeweiligen Land möglichst hohe soziale Standards für die Arbeitnehmer durchzusetzen bzw. die jeweiligen bereits erreichten Standards zu erhalten. Zur Zusammenarbeit gehört auch die Diskussion um die Sicherung der redaktionellen Unabgängigkeit von wirtschaftlichen Interessengruppen. Die redaktionellen Essentials von Orkla Media, die auch für die neue Gruppe gelten oder die Erfahrungen der niederländischen Redaktionsvertretung sind dabei wichtige Eckpunkte.
Zwischen den an dem gesamten EBR-Prozess beteiligten Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft der Gruppe. Einig ist man sich, dass die Aktivität von Mecom Group/David Montgomery kein kurzfristiger Ein- oder Ausstieg ist. Wie lange diese Beteiligung dauern wird und ob man an x-beliebige weiterverkauft, hängt nicht zuletzt von den Ergebnissen der Gruppe in den jeweiligen Ländern ab. Durch die geschaffenen Beziehungen zwischen den Vertretern aus den Ländern, der Struktur des EBR und den Herausforderungen durch die Rendite-Ziele der Erwerbergruppe sind Rahmendaten geschaffen für eine inhaltliche Zusammenarbeit.
21. November 2006