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Holger Artus

Über die öffentliche Planung des KZ-Außenlagers am Bullenhuser Damm 1944 in der Hamburger Bauverwaltung

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Unter dem Aspekt der Beteiligung der Hamburger Bauverwaltung (-behörde) an der Planung des KZ Außenlagers Bullenhuser Damm habe ich einen Text für eine Webseite geschrieben. Es soll dem furchtbaren Geschehen in den Räumen keinen „technischen Blick“ geben. Aber es soll deutlich werden, dass es durchaus eine Art öffentlicher Vorgang war, der nicht irgendwo heimlich erfolgte. Die Herren haben nach 1945 fast alle weitergeplant oder als Architekten vom vorherigen „Nazi-Netzwerk“ profitiert.

In der Schule am Bullenhuserdamm 94/98 war ab Juli 1941 ein Lager für 21 ausländische Arbeiter der Firma Gebrüder Böhling. Darunter waren auch 19 Italiener.

Sie waren auf Basis eines Abkommens der beiden faschistischen Staaten als Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen. Als Unterkunft genutzt wurde ein Klassen- und ein Nebenraum. Welche genau, kann man heute noch nicht sagen.

Mit der Schulverwaltung und dem Träger für die Lager gab es einen Mietvertrag. Im Juli 1943 wurde die Schule teilweise zerstört und die Räume dem Industrieblock 11 übergeben, der dem Rüstungsunternehmen STILL die gesamte als Notunterkunft für seien Belegschaft zur Verfügung stellen wollte. STILL hatte sich im August 1943 mehrere Schulen „gesichert“ (so auch die Schule Rhiemsweg). Es ist aber davon auszugehen, dass sie durch STILL nicht genutzt wurden. Die Gebrüder Böhling blieben in der Schule Bullenhuserdamm, die Bill Brauerei (heute Carlsberg Group) kam mit Unterkünften für ihre Beschäftigen hinzu.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Im November 1944 wurde aus der Schule ein Außenlager des KZ Neuengamme. Die Entstehung des Außenlagers Bullenhuser Damm im Herbst 1944 erfolgte unter maßgeblicher Beteiligung der Hamburger Bauverwaltung und unter Einbeziehung der Schulverwaltung. Verantwortlich für den Planungsprozess und den Einsatz der Arbeitskräfte war zu dem Zeitpunkt das Hochbauamt mit ihrer Abteilung „Lagerbau“. Oberbaurat Brands war es vorher im Amt für kriegswichtigen Einsatz in der Abteilung „Neubau von Lagern“. Da das AkE im April 1944 aufgelöst wurde, waren dessen Abteilungen auf die anderen Ämter in der Bauverwaltung verteilt worden.

Vermutlich verlief die Einrichtung anderer Hamburger Außenlager im Sommer und Herbst 1944 ähnlich (Brands genehmigte im Oktober 1944 die Kasernierung von 1.000 Menschen, die von ihm als „Versippte“ und „Mischlinge“ denunziert wurden). Über die konkreten Lebensumstände und das Leiden der in dem Schulgebäude Bullenhuser Damm 92/94 untergebrachten Menschen, die ab November 1944 gequält, erniedrigt wurden oder ums Leben kamen, ist nur wenig bekannt. Es gibt einzelne Erzählungen von ihnen. Umso erschütternder ist der nüchterne Ton, in dem die Beamten der Hamburger Verwaltung ab Oktober 1944 die Einrichtung des Lagers planten und dokumentierten. Der verantwortliche Baurat Brands, der am 25. Oktober 1944 die Nutzung der Schule als KZ-Außenlager genehmigte, äußerte 1946 zynisch, man solle sich an die Firma (SS) wenden, die das Lager damals betrieben habe – er selbst trage keine Mitverantwortung. Er habe nur genehmigt, Bauherr war die Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH Klinkerwerk Neuengamme.

20.000 ungarische Juden sollen Behelfswohnungen bauen

Welcher Prozess führte zum Bau des Außenlagers im Bullenhuser Damm? RAuf der Tagung der Wohnungshilfswerks-Gaubeauftragten am 5. Mai 1944 verkündete der Leiter der DAF und sogenannte Reichswohnungskommissar Robert Ley, dass Himmler ihm 20.000 Arbeitskräfte für den Bau von Behelfswohnungen zugesagt habe. Am 22. Mai 1944 schrieb Ley an die Gauwohnungskommissare, dass bald mit der Zuweisung dieser Arbeitskräfte zu rechnen sei: „Bei den […] Arbeitskräften handelt es sich um Juden, die aus Ungarn zum Einsatz kommen. Da diese nur in Konzentrationslagern untergebracht werden dürfen, ist umgehend an den Ausbau entsprechender Lager sowie an die Sicherstellung der Bewachung heranzugehen.“

Im August 1944 erklärte Wilhelm Tegeler, Leiter der Hamburger Bauverwaltung owie Generalbevollmächtigter für die Baubewirtschaftung in Hamburg, in einer Besprechung mit dem NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann, dass künftig 2.500 KZ-Häftlinge für den Wohnungs-Schnellbau eingesetzt werden sollten.

Im Rahmen dieser Planungen könnte auch die Einrichtung eines KZ-Außenlagers am Bullenhuser Damm Thema gewesen sein. Dafür spricht ein Schreiben des Hochbauamt, Lagerbau, an die Schulverwaltung vom 3. August 1944, die die Mietzahlungen für die Schule angemahnt hatte und das Hochbauamt zurückhaltend erklärt, dass es „offenbar … eine Mietvereinbarung mit der Deutschen Erd- und Steinwerke“ geben.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Allerdings spricht einiges dagegen, dass die Entscheidung bereits im August gefallen war: 

  • Am 31. August 1944 genehmigte die Bauverwaltung Hamburg dem Landesernährungsamt noch die Nutzung der Turnhalle zur Einlagerung von Kartoffeln.
  • Am 27. September 1944 spricht der Verantwortliche für den Lagerbau, Oberbaurat Brands davon, dass sie prüfen, in der katholischen Schule im Bullenhuser Damm 35 ein weitere Kriegsgefangenen-Lager einzurichten.
  • Am 10. Oktober 1944 wird im Monatsbericht der Bauverwaltung für September 1944 war von weiteren 600 KZ-Häftlingen die Rede, die als Ersatz für den Abzug dreier Kriegsgefangenen-Bataillone in Hamburg eingeplant werden könnten.

Auf dem Gelände der Reis- und Handels AG soll eine Hohlsteinproduktion entstehen

In einer Besprechung am 6. Oktober 1944 erklärte Tegeler, die SS fordere, „auf schnellstem Wege“ eine Hohlsteinfabrik auf dem Gelände gegenüber der Schule am Bullenhuser Damm zu errichten. Dafür sollten 1.000 KZ-Häftlinge eingesetzt werden. Am 7. Oktober 1944 fand eine weitere Besprechung zur Außenlager-Planung statt. Daran beteiligt waren neben den Vertretern der Bauverwaltung auch die Eigentümer der Flurstücke Bullenhuser Damm 49, 51 und 53 – die Reis- und Handels AG – sowie Vertreter der Hochbahn.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Die KZ-Häftlinge sollten in der gegenüberliegenden Schule untergebracht werden. Tegeler betonte den hohen Zeitdruck und erklärte, das Schulgebäude sei „möglichst sofort freizumachen“. Er verwies auf eine Entscheidung Heinrich Himmlers und erklärte, die Fläche müsse „von Leistungsanforderungen in Anspruch genommen werden“ – ein Vorgang, der auf eine Enteignung nach dem Reichsleistungsgesetz hinauslief.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Die Hochbahn betrieb auf dem Grundstück Bullenhuser Damm 53 eine Steinbrecheranlage mit Umschlagseinrichtung. Sie war damit einverstanden, dass diese künftig von der Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH (Klinkerwerk im KZ Neuengamme) genutzt würde – unter der Bedingung, dass KZ-Häftlinge auch ihre Steine brechen sollten, damit eigene Arbeiter „nicht neben KZ-Häftlingen arbeiten müssen“.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Viele Beteiligte aus der Hamburger Bauverwaltung

Ein Vertreter des Baurechtsamts war für die vertragliche Nutzung der drei Grundstücke zuständig. Das Reichsleistungsgesetz ermöglichte es der Stadt, die Flächen für eigene Zwecke zu beanspruchen. Dafür musste mit den Eigentümern eine Vereinbarung über Mietzahlungen und spätere Wiederherstellung abgeschlossen werden – ein eingespielter Vorgang: Im Oktober 1944 wurden insgesamt 78 solcher Verträge abgeschlossen worden. Das Baurechtsamt übernahm auch für die vertragliche Klärung zwischen der Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH und der Hochbahn die Verantwortung.

Besprechung mit Bill-Brauerei, Gebr. Böhling, Himpkamp und Wächter

Da die SS die Sperrung der gesamten Straße zwischen Großmannstraße und Ausschläger Allee forderte, wurde ein Folgetermin mit weiteren Anrainern und Nutzungsberechtigten vereinbart. Am 10. Oktober 1944 trafen sich Vertreter verschiedener Behörden mit der Bill-Brauerei, der Firma Gebr. Böhling (die Ausrüstung an die Marine lieferte) sowie den beiden Pächtern der Grundstücke Bullenhuser Damm 49 und 51: dem Kohlehandelsunternehmen Heinrich Walcker und dem Klinker- u. Baustoffgroßhandel Peter Himpkamp.

In der Schule am Bullenhuser Damm 92/94 wohnten damals Beschäftigte der Bill-Brauerei und der Firma Böhling. Für sie mussten Ersatzwohnungen geschaffen werden. Ebenso mussten für die Pächter Walcker und Himpkamp neue Betriebsstandorte gefunden werden. Daher war auch das Wohnungs- und Siedlungsamt in die Planungen einbezogen.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Ein Vertreter des Hochbauamts nahm ebenfalls an der Besprechung teil. Dieses Amt war für den gesamten Lagerbau – auch für KZ-Außenlager – verantwortlich, einschließlich der Anfertigung von Bauzeichnungen. Für den Bau von Ersatzwohnungen für die in der Schule lebenden „Gefolgschaftsmitglieder“ stellte das Hochbauamt 50 KZ-Häftlinge aus dem Lagerhaus G (Dessauer Ufer) zur Verfügung.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Das Bauwirtschaftsamt als weiterer Beteiligter war für die Gesamtkoordination des Zwangsarbeitereinsatzes in Hamburg für das Bauhaupt- und Nebengwerbe zuständig. Im September 1944 waren es 23.397 Zwangsarbeiter.

Genehmigung des Außenlagers durch das Hochbauamt

Am 25. Oktober 1944 genehmigte das Hochbauamt offiziell die Nutzung der Schule als Außenlager für KZ-Häftlinge. Die Kosten beliefen sich auf 150.000 Reichsmark. Am 27. November 1944 stellte es diese Summe der Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH in Rechnung. Oberbaurat Neth schrieb an den Betriebsleiter der Deutschen Erd- und Steinwerke, Werner Kahn, er könne die „Unterkunftsgebühren für die dort untergebrachten Häftlinge von Ihnen bzw. dem Übernehmer, der diese Häftlinge beschäftigt, einziehen“.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Einbeziehung der Schulverwaltung

Da es sich um ein Schulgebäude handelte, wurde auch die Schulverwaltung in den damaligen Planungsprozess einbezogen.

Die Schule war am 27./28. Juli 1943 bei Luftangriffen schwer getroffen und zu 30 Prozent zerstört worden. Das umliegende Wohngebiet war nach den Bombardierungen im Juli 1943 weitgehend zerstört. Ein regulärer Schulbetrieb nach den Sommerferien 1943 war nicht mehr möglich.

Am 27. August 1943 wurde das Gebäude vollständig dem Rüstungsbetrieb Hans Still Motorenwerke überlassen, der dort 300 Beschäftigte in 26 Klassenräumen und 15 Nebenräumen unterbringen sollte. Die Schule war dem Industrieblock 14 zugeordnet – einer regionalen Einheit zur Aufrechterhaltung kriegswichtiger Produktion, so dass die Unterbringung für die Rüstungsbetriebe die Priorität hatte.

Am 19. Oktober 1944 informierte das Amt für Raumbewirtschaftung die Schulverwaltung, dass das Gebäude nun vom Industrieblock geräumt werde und „der Deutschen Erd- und Steinwerke Neuengamme GmbH zur Unterbringung von 1.000 KZ-Häftlingen zur Verfügung“ stehe.

Quelle: Staatsarchiv 353-2 II_223

Die Schulverwaltung forderte daraufhin von der SS, das Gebäude nach einer späteren Räumung wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Werner Kahn, Geschäftsführer des Klinkerwerks, wies diese Forderung zurück. In einem Schreiben an den Kreisbeauftragten für Schulraum erklärte er, man habe vom Hochbauamt den Auftrag erhalten, das Schulgebäude „nach den Richtlinien des KL Neuengamme zu einem Häftlingslager umzubauen“ und „unter Einsatz von 1.000 KZ-Häftlingen eine Fertigungsstelle zur Verwertung des Bombenschutts selbst anzulegen.“ Eine Miete für das Schulgebäude wurde durch die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH nie gezahlt.

Am 20. November 1944 wurden die ersten 50 Menschen aus dem KZ Neuengamme in das Außenlager am Bullenhuser Damm verschleppt.

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