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Holger Artus

Lisa Kayser, Lehmweg 6

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Im Vorfeld der Kundgebung zur Erinnerung an die Deportation über die Schule Schanzenstraße vom Juli 1942 am 15. Juli 2025 war auch eine Aktivität im Münzviertel zum Daniel-Wormser-Haus zu den am 15. und 19. Juli 1942 deportierten Menschen geplant.

Zu verschiedenen Personen wollte ich etwas erzählen. Meine Gesundheit ließ das nicht zu, so dass am Ende zwei Infos überblieben. Dies habe ich am 27. Juni 2025 in die Briefkästen Lehmweg 5 und 6 verteilt.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 351-11_45745

Lisa Kayser wohnte mit ihren Eltern, Paula (geb.1901) und Alexander (geb.1890) sowie ihren Brüdern, Kurt (geb.1927) und Günther (geb. 1938) in der NS-Zeit im Lehmweg 6 im 2. Stock rechts. Alexander Kayser hatte im Lehmweg 6 ein “recht gut gehendes Schreibmaschinen- und Büroartikelgeschäft“, erinnerte sich später sein Schwager.

Sein Sohn Kurt Kayser, überlebte, die anderen kamen im KZ Auschwitz ums Leben.

Warum mein Interesse an Lisa Kayser?

Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 731-8_A 858

Über sie war ich in einer polizeilichen Meldekartei aus der Westerstraße 27 gestolpert. Laut der Eintragung lebte sie im damaligen Daniel Wormser Haus von 22. Oktober 1940 bis 7. November 1941. Das Gebäude war 1909 gebaut worden. Historisch war es ein Obdachlosenasyl für jüdische Menschen, die aus dem zaristischen Russland vor den dortigen Juden-Progromen geflohen waren. Sie hofften, in Amerika eine neue Heimat aufbauen zu können. Sie kamen über den 1906 erbauten Hamburger Hauptbahnhof und warteten auf eine Passage über den Hamburger Hafen. Für einige Nächte wurde ihnen hier kostenlos Unterkunft und Versorgung gewährt.

In der NS-Zeit wurde es zu einem so genannten Judenhaus instrumentalisiert. 1939 wurde den jüdischen Menschen das Wohnrecht genommen, sie konnten binnen 14 Tagen aus ihrer Wohnung vertrieben werden und mussten in Häuser ziehen, die noch der jüdischen Gemeinde gehörten. Faktisch wurden über diese Häuser die Deportationen in den Osten ab 1941 organisiert. Das Daniel Wormser Haus wurde 1944 zerstört und verschwand aus der Erinnerung. 

Wer war Lisa Kayser?

Sie wurde am 1. April 1923 in Hamburg geboren. Sie und ihr Bruder Kurt kamen aus der ersten Ehe von Alexander Kayser mit Eva von Gelderen, die 1930 starb. Ihr Bruder Günther stammte aus der zweiten Ehe ihres Vaters mit Paula Nussbaum (verh. 1930). Lisa ging seit Ostern 1930 in die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße 35 und verließ diese 1938.  

Flucht von Hamburg nach Fulda und Rathenow

Seit Januar 1940 lebte die damals 17 jährige in der Westerstraße 27. Am 11. November 1940  verließ sie das “Judenhaus” und zog in die jüdische Werkschule Gehringshof in Hattendorf bei Fulda. Ihre landwirtschaftliche Ausbildung erfolgt auf umliegenden Bauernhöfen. Sie zog von hier weiter nach Steckelsdorf im brandenburgischen Rathenow, um die Ausbildung in den dortigen Schulen fortsetzen zu können. Ursprünglich waren diese Werkschulen von den jüdischen Gemeinden eingerichtet worden, damit die jungen Menschen in einem Beruf erlernen, um sich mit diesen Fähigkeiten in Palästina ein neues Leben aufbauen zu können.

Quelle: Arolsen-Archiv, DocID: 128450688

Die Nazi hatten im Juni 1942 entschieden, dass alle diese Werkschulen und “Umschulungslager” zum Sommer 1942 aufgelöst werden müssen. Von hier wurde Lisa Kayser am 11. Juli 1942 über Magdeburg-Dessau und Berlin nach Auschwitz deportiert.

Der damalige Leiter der Werkschule, Friedrich Löwenthal, erinnerte sich 1967 daran: “Im Mai 1942 erschien die Gestapo und ließ sich die Listen der Insassen aushändigen. Aufgrund der Listen wurden alle jüdischen Bewohner mit unbekanntem Ziel deportiert. Unter ihnen befand sich auch das Mädchen Lisa Kayser”

Was wurde an den anderen der Familie Kayser aus dem Lehmweg 6?

Paula und Alexander Kayser wurden gezwungen, aus dem Lehmweg 6 auszuziehen und mussten ins “Judenhaus” im Kielortallee 22 ziehen. Am  8. November 1941 wurden Alexander, am 18. November 1941 Paula  und ihr Sohn Günther über den Hannoverschen Bahnhof in Hamburg (heute Hafencity, hinter dem SPIEGEL Gebäude) nach Minsk deportiert.

Ein Kindertransport 1938 sicherte Kurt Kayser die Zukunft

Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 351-11_45745

Kurt Kayser wurde von seinen Eltern schweren Herzens nach den November-Pogromen am 9. November 1938 mit einem der “Kindertransporte” nach Holland geschickt, wo er in einem Heim in Den Haag aufgenommen wurde.

„Mit meinen Eltern hielt ich regelmäßig Briefwechsel bis November 1941, als sie mir mitteilten, dass sie auf einen Transport gestellt werden.” Er  lebte illegal in den Niederlanden, die seit 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt war. “Wir hatten in dieser Periode seit Juli 1943 ein menschenunwürdiges Leben geführt. Wie erwähnt, mussten wir unser Versteck ständig wechseln und dies war immer mit großen Gefahren verbunden. Oft waren wir darauf angewiesen, im Freien oder in Stallungen zu hausen. Von den Bauern hatten wir nur wenig Hilfe, weil sie fürchteten, dass  wir von den Deutschen bei ihnen aufgegriffen werden, wodurch ihnen selbst Gefahr drohte.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 351-11_48382

In dieser Zeit hatten wir viel gehungert, uns nur unregelmäßig und meistens unzureichende Nahrungsmittel zur Verfügung standen. Auch dieses kümmerliche Leben war nur dadurch möglich, dass die Gesamtheit der illegalen Gruppe sich um uns gekümmert hatte und unsere, wenn auch kümmerliche Versorgung, auf diese Weise zeitweilig organisiert war. Dieser Zustand dauerte bis Dezember 1944, zu welcher Zeit ich mich in dem kleinen Ort Blitterswijk befand, welches Gebiet damals von den alliierten Streitkräften befreit wurde.”

Kurt Kayser stellte 1957 seinen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihm von den Nazis nach dem Kindertransport im Dezember 1938 genommen worden war.

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