Ein weiterer Fall eines am Ende des NS-Regime in Hamburg durch die SS erschossenen Italiener ist jetzt bekannt geworden. Bisher ging es um die Erschießung von Cosimo Guinta am 26./27. April 1944 im Zwangsarbeiterlager am Falkenbergsweg. Jetzt sind zwei neue Fälle, Cero Pappaiani und Paolo Ricchini, im Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg aufgetaucht.
Sommerfeld erschießt am 22. März 1945 einen Italiener
Am 22. März 1945 erschoss der SS-Untersturmführer Josef Sommerfeld, Kommandant des „Arbeitserziehungslager Langer Morgen“ in Hamburg-Wilhelmsburg, nach eigenen Angaben einen Italiener. Dieser hätte einen Diebstahl begangen. An diesem Tag hatte es einen Alliierten-Bombenangriff vor allem auf den Stadtteil Wilhelmsburg gegeben. Er dauerte von 3:57 Uhr bis 4:17 Uhr. Das sogenannte Arbeitserziehungslager (AEL) Wilhelmsburg wurde schwer getroffen und wurde später als total zerstört gemeldet. Zum Zeitpunkt waren 376 Männer und 278 Frauen in dem AEL inhaftiert. Am 29. März 1945 sprach Sommerfeld gegenüber dem Polizeiamt Hamburg-Harburg, dass 84 Personen aus dem AEL ums Leben gekommen waren.

Aus den namentlichen Übersichten vom 5. und 6. April 1945 ergaben sich 89 Opfer. Der Name des erschossenen Italiener wurde verschleiert und man sprach bei der Meldung von einem unbekannten Toten (Italiener).



Zeuge beschreibt Ermordung
Karl Lohrbach, einer der Inhaftierten im AEL 1950 in einem Verfahren gegen einen SS-Mann aus dem KZ Neuengamme die Tat: „Dieser Italiener lag drei Meter von mir entfernt mit noch zwei weiteren Häftlingen. Nach dem Sommerfeld die Meldung durch den SS-Sanitäter gemacht worden war, dass der Italiener etwas im Hof aufgenommen hätte, ging er auf den Häftling zu, trat ihn mehrfach mit dem Fuß gegen den Körper und forderte auf, aufzustehen. Dieser kam der Aufforderung nach und wurde vom SS-Sanitäter durchsucht. Dabei fand er in dessen Bekleidung einen Rassierapperat, der scheinbar von einem SS-Mann verloren worden war, als dieser sein Gepäck aus den zusammengestürzten Baracken trug. Der Kommandant Sommerfeld sagte hierauf: ‚Du Schwein hast geplündert!‘ Dann forderte er ihn auf, zu verschwinden und trat ihn beim Gehen ins Gesäß. Nach dem der italienische Häftling gegangen war, zog der Sommerfeld seine Pistole, ging einigen Schritte hinter ihn und Schoß im eine Kugel ins Genick.“ Sommerfeld ging zum am Boden liegenden „und feuerte einen zweiten Schuß aus kürzester Entfernung… Ich konnte noch sehen, wie der Körper sich noch einmal aufbäumte und in den Sand fiel.“

Obwohl die Ermordung am 22. März 1945 auf dem Gelände des AEL erfolgte, wurde die Todesanzeige erst am 19. April 1945 von Dr. Linkon im damaligen AK Langenhorn ausgestellt. Der Arzt war sich nicht zu blöde, den Italiener („Unbekannter Tote“) als „Bombenverletzten“ zu bezeichnen. Als Grund gab er „Schädelbruch“ an.


Vorausgegangen musste damals eine Klärung in der SS gewesen sein, wie man mit dem Todesfall des Italieners umgehen wollte. Hatte Sommerfeld noch im Schreiben vom 29. März 1945 über den “Personenschaden” im AEL Wilhelmsburg am 22. März 1945 noch von 3 vermissten Männer geschrieben, so informierte er am 6. April 1945, das man “noch nachstehende 3 Tote festgestellt” hätte. In einem Anschreiben sprach er davon, dass einer “Eintragung des Sterbefalls politisch Bedenken nichts entgegenstehen”. Er hätte jetzt dem Standesamt Wilhelmsburg drei Totenbescheinigungen zugeleitet: Paolo Ricchini, Cero Pappaiiani und Wilhelm Thomsen.

Man kann es heute nicht mehr rekonstruieren, ob es sich bei der von Karl Lohrbach erzählten Erschießung um Paolo Ricchini oder Cero Pappaiani gehandelt hat. Es ist aufgrund der Kommentierung, keine “politischen Bedenken”, durchaus vorstellbar, es sich bei allen drei Inhaftierten um Erschossenen gehandelt haben könnte. Der Versuch der Verschleierung der Tat und die Maskierung der Namen der Opfer in wenigstens einem Fall spricht für diese These. In einem anderen Fall, Wilhelm Buchholz, wollte die Tochter ihren ermordeten ihrer Vater sehen. Im Sarg lag eine Frauleiche.
Leider kann man zurzeit außen den drei Namen nichts sagen, wer die Personen waren:
Wilhelm Thomsen wurde am 29. Juni 1899 in Fruerlundholz, heute ein ein Stadtgebiet im Flensburger Stadtteil Fruerlund. Seit wann er in Hamburg war und warum er inhaftiert und im AEL war, isrt nicht bekannt.
Paolo Ricchini wurde am 12. Dezember 1896 geboren. Sein Geburtstag ist nicht bekannt, wiie er nach Deutschland kam und warum er im AEL Wilhelmsburg inhaftiert wurde, ist ungeklärt.
Cero Pappaiani wurde am 3. Februar 1911 geboren. Sein Geburtsort ist auch nicht kannt. Wie er nach Deutschland kam und warum er im AEL Wilhelmsburg inhaftiert wurde, ist auch unbekannt.
Über das Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg
Das Arbeitserziehungslager Langer Morgen bestand zwischen April 1943 und März 1945 diente es der Disziplinierung von Arbeitskräften, insbesondere der seit 1941 verstärkt eingesetzten Zwangsarbeiter, und der öffentlichen Abschreckung. Die Grundlage ging zurück auf mehrere Erlasse Heinrich Himmler. Es unterstand im Unterschied zu den Konzentrationslagern der regionalen Gestapoleitstelle (Staatspolizeileitstelle Hamburg).

Die Hamburger Gestapo hatte die Einrichtung des AEL beantragt. Darauf verweist Martin Reiter in seiner Arbeit “Zwangsarbeit im Hafen” über das AEL Wilhelmsburg. Von Anfang an waren ausländische Arbeiter eine Hauptzielgruppe des AEL, so Reiter.

Die ersten Gefangenen trafen Ende April/Anfang Mai 1943 im AEL ein, zu einem Zeitpunkt, als die Baracken noch nicht vollständig fertiggestellt waren. Es gab weder Betten noch Strohsäcke, und da die Küche noch nicht errichtet war, war die Essensausgabe unregelmäßig. Die letzten Bauarbeiten mussten von den ersten Gefangenen selbst erledigt werden. Das Gelände an der Straße „Langer Morgen“ (die heute nicht mehr existiert) lag mitten im Hamburger Hafen und das Gelände gehörte der Stadt Hamburg. Direkt neben dem AEL-Gelände befanden sich weitere Zwangsarbeiterlager (Langer Morgen I und II).
Die Verhängung einer sogenannten Arbeitserziehungshaft erfolgte nicht durch ein Gerichtsurteil, sondern konnte kurzfristig bei „Nichterfüllung der Arbeitsnorm, Renitenz am Arbeitsplatz, fortgesetzter Verspätungen oder Betriebsbummelei“ durch Polizeianweisung der Gestapo angeordnet werden. Für die Betriebe war es vorteilhaft, dass sie unliebsame Arbeiter einfach bei der lokalen Gestapoleitstelle melden konnten und vor allem gingen ihnen die raren Arbeitskräfte in Kriegszeiten nicht verloren. Die Gefangenen wurden entweder zurück an seinen vorherigen Arbeitsplatz verwiesen oder, wenn der „Erziehungszweck“ als nicht erreicht galt, in das KZ Neuengamme überstellt.
Die Inhaftierten wurden wie KZ-Häftlinge, Kriegsgefangenen oder andere Zwangsarbeiter bei den Unternehmen, von der Stadt Hamburg oder der Wehrmacht eingesetzt. Bei Strom- und Hafenbau, einem Amt in der damaligen Bauverwaltung (heute Behörde), wurden die Häftlinge eingesetzt. Dies war aber nicht das einzige Unternehmen. Martin Reiter schrieb, dass auch
- Blohm & Voss KG, Schiffbau
- Howaldtswerke AG, sowohl auf der Schiffswerft wie in der MAN-Maschinenfabrik
- H.C. Stülcken Sohn, Schiffswerft, Maschinenfabrik und Kesselschmiede
- Deutsche Erdöl-AG, Erdölwerke Wilhelmsburg
- Rhenania Ossag Mineralölwerke AG(Deutsche Shell)
- Oelwerke Julius Schindler GmbH (heute H&R AG)
- Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW)
dazu gehörten.
Vor der offiziellen Einrichtung der AEL wurde gegen „arbeitsuntreue“ deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter vorgegangen. Dieser Begriff umfasste (angebliche) Vergehen wie Unpünktlichkeit, „Krankfeiern“, erhöhte Ausschussproduktion oder die Verletzung von Kündigungsbestimmungen. Mit zunehmendem Arbeitseinsatz von Ausländern und anderen Arbeitskräften in wehr- und volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben mehrten sich Fälle von Arbeitsverweigerungen, denen mit allen Mitteln entgegengewirkt werden sollte.
Ein kaum beachtetes Thema über die Inhaftierung im AEL war die Inhaftierung von Obdachlosen. Ein Beispiel ist Eduard Stoffenberg, am 1. März 1888 in Lübbecke geboren, war einst Hafenarbeiter. Er kam am 4. Dezember 1943 aus dem Lager Dammtor in die Ludwigstraße 7/9. Von der Hamburger Polizei wurde er wegen seiner Obdachlosigkeit und wegen “Arbeitsvertragsbruchs” am 20. Mai 1944 festgenommen und am 23. Mai 1944 im Gefängnis Fuhlsbüttel überführt. Von dort wurde er zum 1. Oktober 1944 ins sogenannte Arbeitserziehungslager (AEL) Wilhelmsburg eingewiesen. Im Anschluss wurde er am 11. November 1944 ins Gefängnis in der Straße „Hütten“ in der Hamburger Neustadt eingewiesen. Sechs Tage später wurde er von dort ins Hafenkrankenhaus eingeliefert, wo er am 19. November starb.
Gegen 15 der für die Verbrechen im AEL Wilhelmsburg Verantwortlichen fand vom 21. Mai bis 28. Juni 1948 im Hamburger Curio-Haus ein Prozess vor einem britischen Militärgericht statt. Sommerfeld wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. 1954 wurde er aus dem Gefängnis entlassen.