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Holger Artus

Über die italienische Militärinternierte bei STILL

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Bei der Recherche zur Stolperschwelle an die NS-Opfer aus dem KZ Außenlager Spaldingstraße fragte ich mich, ob man den damaligen Eigentümer der St. Georgsburg, die STILL GmbH einlädt? Dazu hatte ich den Sachverhalt selber geklärt, seit wann die Immobilie dem Unternehmen gehörte und dann denn Geschäftsführer zum 12. April 2025 eingeladen. Leider erfolgte keine Reaktion.

Also überlegte ich mir ein neues Vorgehen. Wieder Recherche – und stolpere dabei über Mietforderungen des Unternehmens für die St. Georgsburg von Januar 1944 bis Januar 1946, als das Gebäude dem Unternehmen von der Stadt als Nutzer zurückgegeben wurde. Für die Zeit des KZ Außenlager war die Miete noch in der NS-Zeit teilweise bezahlt worden, für die Zeit Januar bis Juni 1944 und ab April 1945 nicht. Als ich dann las, dass das Unternehmen bis zu 500 NS-Zwangsarbeiter „einsetzte“, empfand ich das Verhältnis moralisch unangemessen. So ergaben sich weitere Recherchen. Mittlerweile sind es an die 1.000 Seiten. Weitere Recherchen stehen noch an.

Angeschrieben wurde das Unternehmen jetzt, um ins Gespräch zu kommen, ob und wie eine Erinnerung an die italienischen Militärinternierte aussehen könnte. Eine Antwort steht noch aus. Unabhängig davon gab es jetzt einen Web-Text zu den IMI bei Still in der NS-Zeit.

Das Hamburger Unternehmen STILL GmbH, ein Hersteller vor allem von Gabelstapler sowie Lagertechnikgeräten und Teil der Kion-Gruppe, beschäftigte in der NS-Zeit 60 italienische Militärinternierte (IMI). Damals lautete die Firmierung Hans Still Motorenwerke. Es arbeitete seit Ende der 1930er Jahre im Auftrag der deutschen Wehrmacht und produzierte vor allem fahrbare Stromerzeugungsagregate. 

Sein Geschäft hatte Hans Still 1920 mit einigen Beschäftigten in der St.Georgsburg, in der Spaldingstraße 156-162, gegründet. Damals war es noch ein Reparaturbetrieb von Elektromotoren. Später kaufte er die St.Georgsburg, die von Oktober 1944 bis April 1945 ein Außenlager des KZ Neuengamme war.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 3223_B 90

Die IMI mussten in einem Zwangsarbeitslager in Hamburg-Billbrook, in unmittelbarer der Nähe des Produktionsstandortes Liebigstraße/Ecke Berzeliusstraße, leben. Über das Gemeinschaftslager (für Zwangsarbeiter aus verschiedenen Unternehmen) am „Unterer Landweg 19, Nebenweg 1“, auch „Funkturm-Lager“ genannt, schrieb die Geschichtswerkstatt Billstedt: „Dieses war im Jahr 1940 zunächst für Arbeiter der Reichsbahn errichtet worden, die damals die Güterumgehungsbahn bauten. Es bestand aus 34 Baracken,  verfügte ebenfalls über eine eigene Küche und verzeichnete von Juli 1941 bis April 1945 bis zu 1.108 Essensteilnehmer.“ 

Der Kriegsgewinnler Hans Still: 1933 lag der Gewinn bei 16.000 RM, 1943 betrug er 3 Mio. RM

Die NSDAP hatte im Bündnis mit rechten Parteien wie dem Stahlhelm und der DNVP im Januar 1933 die Regierung übernommen. Das Unternehmen war zum damaligen Zeitpunkt immer noch ein kleines Unternehmen mit 70 Beschäftigten, die 600.000 RM Umsatz erwirtschafteten. Mit der Kriegsvorbereitung ab 1936 und den damit verbundenen Aufträgen der Wehrmacht 1938 veränderte sich das grundlegend. 1938 beschäftigte STILL 715 Menschen bei einem Umsatz von 8,7 Mio. RM. Mit Verlauf des 2. Weltkrieg explodierten seine Umsätze 1944 auf über 40 Mio. RM. Die Beschäftigung war auf 1.503 angewachsen, davon waren 1945 insgesamt 460 NS-Zwangsarbeiter. Der Gewinn von STILL lag 1933 bei 16.000 RM, 1943 waren es über 3 Mio. RM.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 221-11 K 4152_136

Wer waren die IMI?

Die italienischen Militärinternierten waren kriegsgefangene italienische Soldaten, denen Deutschland ihre Rechte als Kriegsgefangene nicht anerkennen wollte und sie zu “Militärinternierten” machte. Man wollte nicht an internationale Regeln gebunden sein und sie als Zwangsarbeiter in Rüstungsunternehmen einsetzen. Mit dem Waffenstillstand vom 8. September 1943 zwischen den Alliierten und der italienischen Regierung war das Land aus dem Bündnis mit Deutschland ausgeschieden. Die deutsche Wehrmacht entwaffnete die italienischen Soldaten und nahm sie gefangen. Wer von ihnen nicht an ihrer Seite weiterkämpfen wollte, wurde vor allem nach Deutschland verschleppt und als Zwangsarbeiter eingesetzt. Rund 650.000 von den über 800.000 Italienischen Soldaten sagten “Nein” zum Dienst für die deutsche Wehrmacht.

Seit Ende September 1943 kamen Tausende italienische Militärinternierte nach Hamburg. Die IMI, die für Hans Still arbeiten musste, wurden von der Wehrmacht im Zwangsarbeitslager bewacht, zur Arbeit gebracht und zurück in Lager eskortiert. Es wurde täglich Buch geführt. Für diese Zwangsarbeit gab es keine Entlohnung durch STILL. Zum 1. September 1944 war die Wehrmacht für die Kontrolle der IMI nicht mehr zuständig.

Wer zu spät kam, wurde durch die Firmenleitung denunziert

„Verstöße“ wurden ab dann durch das Unternehmen selbst verfolgt und an staatliche Stellen gemeldet. Ein eingeübtes System bei STILL, wie man einem Polizeibericht vom 18. Juli 1945 entnehmen konnte: “Diese Anzeigen wurden durch eine besonders enge Zusammenarbeit zwischen Still, Streib (Aufsichtsrat) und Kagel (Prokurist) mit der Gestapo gemacht. Zu diesem Zweck wurde jedes Mal eine schriftliche Aussage für die Personalakten gemacht und es wurden Anweisungen gegeben … Einen Bericht z.B., den ich selbst gesehen habe, behandelt folgenden Zwischenfall: Ein Angestellter des Werkes war bereits wegen Zuspätkommen verwarnt worden. Streib sagte dem, dass er in ein Konzentrationslager gebracht würde… Der Mann antwortete auf Plattdeutsch,“dann kann ich wenigstens mal ausschlafen“. Streib machte einen Vermerk auf dem Formular, dass er dieses Vergnügen gern bereiten würde. Der Mann wurde der Gestapo übergeben… Ausserdem enthielt diese Sammlung verschiedener Personalbogen, worauf Still den Vermerk machte, dass Anzeige wegen Arbeitssabotage durch die entsprechenden Angestellten gemacht worden sei, weil sie 3x zwischen 5 bis 10  Minuten zu spät gekommen waren. Eine größere Anzahl von Angestellten (besonders Frauen) wurde zu vier und mehr Monaten Gefängnis …verurteilt.“ 

Täuschung und Lügen von Hans Still zu den IMI

Nach 1945 unternahm Hans Still im Entnazifizierungsverfahren im Zusammenhang mit der Ausbeutung der italienischen Militärinternierten seit 1943 den Versuch der Täuschung. Ihm seien die IMI über das Arbeitsamt zugewiesen worden, erklärte er. Das war eine Lüge: Das Unternehmen musste die IMI, die bisher von der Wehrmacht bewacht wurden und für STILL arbeiteten, beim Arbeitsamt melden. Bis zum 31. August 1944 waren die IMI unter dem Kommando der Deutschen Wehrmacht und aus dem Kriegsgefangenen Stammlager Sandbostel nach Hamburg in die jeweiligen Unternehmen verschleppt worden. Das „Arbeitskommando 1230“ war der Arbeitseinsatz bei STILL. Da die Unternehmer mehr Entscheidungsmöglichkeiten über „ihre IMI“ haben wollten, änderte sich ihr Status. Seit dem 1. September 1944  wurden sie zu „zivilen Italiener“ und die Kontrolle durch die Wehrmacht entfiel. Deswegen meldeten über 600 Hamburger Unternehmen ihre IMI beim Arbeitsamt.  

Hans Still selber schrieb nach 1945, dass es „seinen“ Zwangsarbeiter:innen immer gut ging, sie wieder zu Kräften kamen und wie die deutschen Arbeiter bezahlt worden sein, was eine weitere Lüge war.

Auf der Fahndungsliste der IMI von Hans Still, Mario Fragoni

Mario Fragoni, geboren am 26. August 1922 in S.Giulano Milanse, war einer der IMI der Hans Still Motorenwerke. Am 11. Januar 1945 stand sein Name auf der Fahndungsliste, da er flüchtig war. Es ist zu vermuten, dass das Unternehmen an dieser Anzeige beteiligt war. Leider kann man aktuell, 80 Jahre später, nichts über den Anlass und den weiteren Verlauf sagen.

Quelle: Archiv HdBA, Nürnberg

Aldo Manzi, IMI von Hans Still, überlebte nicht

Aldo Manzi, geboren am 16. Dezember 1922 in Nevars, war ein weiterer IMI bei STILL. Er wurde am 10. September 1943 in Bolzen von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen und kam über das Kriegsgefangenen Stammlager in Sandbostel (in der Nähe von Bremervörde) 1943 nach Hamburg zum Unternehmen. Er starb am 5. Mai 1945 im AK St. Georg an den Folgen eines Bauchschuss. 

Quelle: Arolsen-Archiv DocID: 70643399

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