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Holger Artus

Betr.: Marie Peters, Brüderstraße 3 – deportiert am 11. März 1943

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Am 8. März 1943 wurde Marie Peters aus der Brüderstraße 3 von der Hamburger Kriminalpolizei abgeholt und in den Fruchtschuppen C im Hamburger Hafen verschleppt. An diesem Tag wurden dort über 350 Sinti und Roma festgehalten, um sie am 11. März 1943 über den nahegelegenen Hannoverschen Bahnhof nach Auschwitz zu deportieren.

Heute steht anstelle des Fruchtschuppens C das kürzlich eröffnete Westfield-Center in der HafenCity. Den Hannoverschen Bahnhof gibt es auch nicht mehr. Hinter dem SPIEGEL-Gebäude in der HafenCity befindet sich heute ein Gedenkort. Über den damaligen Güterbahnhof wurden zwischen 1940 und 1945 tausende Jüden:innen, Sinti und Roma in die besetzten Ostgebiete deportiert, wo sie ermordet werden sollten. Die NS-Ideologie sah in ihnen eine „Gefahr für das deutsche Blut“. Die Minderheit der Sinti und Roma diffamierte man als „arbeitsscheu“ und „asozial“. Jüdische Menschen, Sinti und Roma sowie People of Color wurden durch die Nürnberger Rassengesetze von 1935 zu Menschen minderen Rechts erklärt – dies war die juristische Grundlage für ihre systematische Diskriminierung und Verfolgung im NS-Staat.  

Was will ich von Ihnen? 

Zum einen möchte ich Ihnen von Marie Peters erzählen, einer Nachbarin aus der Brüderstraße 3, die Opfer der rassistischen Hetze und Gesetze des NS-Regimes wurde. Zum anderen lade ich Sie zu einer Kundgebung am 28. April 2025 um 17 Uhr ein.  

Was ist mir über Marie Peters bekannt?

Sie wurde am 25. November 1907 in Wismar geboren und lebte seit Juli 1938 im Souterrain der Brüderstraße 3. Das Haus gehörte Eduard von Hacht, einem Herrenausstatter, der sein Geschäft in der gegenüberliegenden Nummer 6 hatte. Zuvor hatte Marie in Berlin gelebt. Als Sintizza war sie staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Seit 1936 existierte in Berlin die „Rassenhygienische Forschungsstelle“, deren Aufgabe es war, alle Sinti und Roma in Deutschland zu erfassen. Dort wurden sogenannte „Rassegutachten“ erstellt – etwa 24.000 solcher Gutachten dienten später als Grundlage für Deportationen in Konzentrationslager. Ab September 1939 mussten Marie Peters wie alle  Sinti und Roma bei der örtlichen Polizei melden. Sie durften ihren Wohnort nur mit Genehmigung der Kriminalpolizei verlassen. 

Ursprünglich sollten alle in Hamburg lebenden Sinti und Roma 1940 in ein bewachtes Lager in Billstedt eingewiesen werden. Das Vorhaben wurde jedoch gestoppt, als im Mai 1940 die erste Deportation in den besetzten Osten begann. Damals wurden viele Menschen aus der Hamburger Neustadt – aus Straßen wie der Markusstraße, Marienstraße oder dem Eichholz – am 20. Mai 1940 ins besetzte polnische Bełżyce verschleppt.  

Von Hamburg ins KZ Auschwitz

Marie Peters wurde am 11. März 1943 nach Auschwitz verschleppt. Dort angekommen, wurde sie tätowiert. „Ein sehr schmerzhafter Vorgang! Tätowiert wurde mit einem umgebauten Büchsenöffner. An der Spitze war eine Nadel befestigt, die in Tinte getaucht wurde“, erinnerte sich die ebenfalls deportierte Agnes Geisler aus dem Hellkamp 36 in Hamburg-Eimsbüttel. Marie erhielt die Nummer “Z-3761“.

Von Auschwitz ins KZ Ravensbrück

Am 18. April 1944 wurden tausende Sinti-Frauen aus Auschwitz ins KZ Ravensbrück verschleppt. Die Nazis konnten die Folgen ihres Krieges längst nicht mehr bewältigen und benötigten dringend Arbeitskräfte für die Rüstungsproduktion oder den Wiederaufbau der kollabierten Mineralölwirt- schaft. Deutsche Arbeitskräfte waren als Soldaten an der Front oder bereits gefallen, während die Rote Armee bereits auf europäisches Gebiet vorrückte.  

Von Ravensbrück ins KZ Buchenwald, später ins KZ Bergen-Belsen

Am 13. September 1944 wurde Marie Peters ins KZ Buchenwald bei Weimar verlegt und musste im Außenlager Schlieben für das Rüstungsunternehmen Hugo Schneider (HASAG) in Altenburg Zwangsarbeit leisten. Im März 1945 begann die SS mit der Räumung der östlichen Lager und schickte die Häftlinge auf Todesmärsche. Maries Ziel war das KZ Bergen-Belsen, wo sie am 15. März 1945 ankam.  

Im März 1945 herrschten in Bergen-Belsen katastrophale Zustände: Das Lager war massiv überfüllt, da es zum Auffanglager für Häftlinge aus geräumten Konzentrationslagern geworden war. Täglich trafen Transporte mit kranken, erschöpften und sterbenden Menschen ein. Allein in diesem Monat starben über 18.000 Menschen an Hunger, Seuchen und völliger Vernachlässigung. Die Toten wurden nicht mehr bestattet – sie lagen in den Baracken, auf den Wegen und zwischen den Überlebenden.  

Was wurde aus Marie Peters? 

Gerne würde ich Ihnen davon erzählen. Doch leider gehört es zur traurigen Wahrheit dieser Geschichte, dass ich es nicht weiß. Ich hoffe, sie hat Bergen-Belsen überlebt.  

Was hat es mit dem 28. April 2025 auf sich? 

Um 17 Uhr soll an den Sinto Willi Rosenberg erinnert werden. Er wurde am 28. April 1939 auf dem Großneumarkt verhaftet und kam nie wieder frei. Am 12. Oktober 1943 wurde er in der NS-„Euthanasie“-Anstalt Hadamar ermordet. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung lebten seine Mutter Anna und seine Geschwister Emilie, Laura und Martin im Hinterhof des heutigen „Paradieshofs“ im Alten Steinweg 11.  

Falls es Sie interessiert, freue ich mich über Ihre Teilnahme. Ansonsten haben Sie nun etwas über einen Menschen gelesen, der hier während der NS-Zeit lebten. Diese Geschichte bleibt Teil unserer Vergangenheit. Wir tragen dafür keine Schuld und ich lasse mir das auch nicht vorwerfen – doch wir tragen die Verantwortung, dass sich so etwas nie wiederholt. Hass und Hetze spalteten damals die Gesellschaft. Heute leben wir in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat, für den ich mich gerne engagiere. 

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