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Holger Artus

Meine zu kurzen Begegnungen mit Agnes Geisler

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Vor kurzem hatte ich noch mit Agnes Geisler, eine Sintizza, die am 11. März 1943 nach Auschwitz mit ihrer Familie deportiert wurde, über eine geplante Veranstaltung im April 2025 in Hamburg gesprochen und alle Eckpunkte abgestimmt. Sie war eine der letzten lebenden Deportierten von Hamburg nach Auschwitz aus der NS-Zeit. Am 20. Januar 2025 war sie 92 geworden. Leider ist sie am 27. Januar 2025 verstorben.

Ich bin sehr traurig und denke an die Momente des Kennenlernen und Telefonaten mit ihr. Ich denke aber vor allem an ihre große Familie in Osnabrück und anderen Orten, wie es ihnen jetzt geht.

Als sie kürzlich ins Krankenhaus kam, lies sie keinen Zweifel daran, dass sie schnell wieder heraus kommt und ihre öffentlichen Auftritte durchziehen will. Sie hatte eine unglaubliche Kraft und war unerschütterlich, trotz aller Situationen, das Leben für sich zu gestalten.

Quelle: www.osnabrück.de (Bild verlinkt)

Ihre Erlebnisse über die Deportation 1943 von Hamburg nach Ausschwitz, den Terror des NS-Regime im so genannten Familienlager für die Sinti und Roma, aber auch ihr Zwangsarbeit in Ravensbrück, dessen Auflösung und ihre Stationen in Mauthausen und die Befreiung in Bergen-Belsen, hatte sie kürzlich Louis Pawellek erzählt, der dass aufgeschrieben hat.

Es steht mir als Außenstehender nicht zu, etwas über sie zu erzählen. Wir haben uns per Zufall Ende letztes Jahres kennengelernt. Anlass war eine Nachbarschafts-Information, die ich im März 2023 um den Hellkamp 36 in die Briefkästen gesteckt hatte. Anlass damals war der 80. Jahrestag der Deportation von 357 Sinti und Roma am 11. März 1943 von Hamburg nach Auschwitz. Darüber kam es zu einem Besuch in Osnabrück.

Im Podcast „Chaya‘s Talk“ vom 20. November 2024 erzählte Agnes Geisler über das Erlebte in der NS-Zeit.

Ihre Erzählungen beim Besuch und in den Telefonaten, meine eigenen Recherchen zur Deportation vom März 1943 und weitere um ihren geplanten Besuch geführten Gespräche haben meinen Blick nicht nur zur Verfolgung der Roma und Sinti in der NS-Zeit geschärft. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, desto größere Herausforderungen sehe ich in der Aufklärung der NS-Verbrechen gegenüber den Sinti und Roma heute. Meine Liste der anzugehenden Themen wird immer länger.

Die direkte und klare Art von Agnes war erfrischend wie menschlich, ich habe mich gerne von ihr treiben lassen.

Facebook-Post vom 20. Januar 2025 zum 92. Geburtstag von Agnes Geisler

Heute wird Agnes Geisler 92 Jahre und feiert ihren Geburtstag in Osnabrück. Sie ist eine der letzten lebenden Sintizza der Deportation vom 10. März 1943 von Hamburg nach Auschwitz. Seit einigen Wochen telefonieren wir immer wieder, ich hatte sie kürzlich zu Hause in Osnabrück besucht. Hier lebt sie mit ihrer Familie.

Kennengelernt habe ich sie erst jetzt, über sie geschrieben und verteilt hatte ich schon mal im März 2023. In und nach jedem Gespräch bin ich aus dem Häuschen. So klar, wie sie kommuniziert, wie sie sich hinterfragt, um die eigene Meinung zu klären, aber keinen Zweifel aufkommen lässt, das man mit einer eigenen Meinung etwas in die Klärung bekommt, beeindruckt mich. Sie hackt bei den Themen mit einer Souveränität nach, die mich beeindruckt. Ihre Herzlichkeit und Selbstverständlichkeit sind beeindruckend dabei. Ob in den Telefonaten oder beim Besuch zu Hause erzählt sie über vergangenes und greift ihre aktuellen Themen auf. Nichts erscheint nebensächlich.

Wenn sie über die Tage der Verschleppung über den Fruchtschuppen C, die Deportation über den Hannoverschen Bahnhof nach Ausschwitz im Viehwagen, den Tot ihrer Mutter und einer Schwester erzählt, schmürtt es mir die Luft ab. Jedes Wort ist falsch, Scham und Wut durchfuhren mich.

Kennengelernt habe ich Agnes über Louis Pawellek, einem engagierten Lehrer und Buchautor. Wir traffen uns bei ihr letztes Jahr zu Hause. Das Leben an diesem Morgen spielte sich zu erst um die Küche. Kinder, Enkelkinder und Urenkelkinder bewegten sie sie selbstverständlich um einen herum, fragte nach, passten auf „Oma“ auf, Dinge des Alltags wurden in hoher Taktung mit ihr geklärt.

Damals war Agnes neun Jahre alt, als sie Anfand März 1943 mit ihren Eltern und Geschwistern erst in den Fruchtschuppen C im Hamburger Hafen von der Kriminalpolizei verschleppt und dann über den Hannoverschen Bahnhof nach Auschwitz deportiert wurde. An diesem Tag waren es 357 Roma und Sinti aus Hamburg, die in die Waggons gepfercht wurden.Ihre Mutter und Schwester überlebten Auschwitz nicht.

Agnes ist in Eimsbüttel, im Hellkamp, aufgewachsen. Sie ging in die Schwenckestraße 98 zur (Grund)Schule. Ihre große Familie wohnte auch in der Osterstraße und Eimsbütteler Chaussee. Damals kostete ein Kinobesuch im Urania, Ecke Heußweg/Osterstraße, noch 30 Pfennig. Ada-Eis in der Osterstraße war ihr ein vertrauter Ort. Ich habe jetzt dank ihrer Erzählungen wieder Geschäfte in der Osterstraße wie die Drogerie Plümer kennengelernt.

Louis Pawellek hat ihre Erzählung aufgeschrieben. Die Tage erscheint das Buch: “Agnes Geisler – Ich war die Nummer Z-3682 Die Geschichte eines kleinen Mädchen, das die Kindheit im KZ verlor.“

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