Am 11. November 2024 gibt es eine Kundgebung vor der Bülowstraße 9, um an die Sinti und Roma sowie PoC, die in der damaligen Frauenklinik von Ärzten/innen des AK Altona misshandelt wurden, zu erinnern. Zu den 13 Personen hatte es kurze Erzählungen auf der Webseite gegeben. Zu Dr. Helmut Wirths wollte ich noch etwas schreiben, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, dass die Opfer im Mittelpunkt stehen.
Er war Nazi und ein furchtbarer Arzt, der im KZ Auschwitz an medizinischen Verbrechen beteiligt war und im Auftrae der SS in besetzen Polen seine Taten ausführte Zu Prof. Hinselmann, dem Leiter der damaligen Frauenklinik, gibt es seit einigen Jahren gute Publikationen, einem prominenten Täter in der NS-Zeit. Helmut Wirths Bruder, Eduard, war Lagerarzt erst im KZ Neuengamme und danach im KZ Auschwitz.
Die Ärzte und Ärztinnen, die zwischen November 1944 und Februar 1945 die Zwangssterilisationen an 13 Sinti und Roma sowie einer PoC in der Frauenklinik des Al AK Altona durchführten, handelten damals ohne jede Verantwortung und gesetzliche Grundlage. Einer von ihnen war Dr. Helmuth Wirths. Es gab keinen Beschluss des rassistischen und völkischen Erbgesundheitsgericht, das die Nazis 1933/34 eingerichtet hatten, um Menschen staatlich sterilisieren zu können. In den Unterlagen der Frauenklinik des AK Altona aus den Jahren 1943 bis 1945 findet sich auch kein Bericht an den Amtsarzt von Altona, der bei Sterilisationen gesetzlich vorgeschrieben war.
Die Kriminalpolizei hatte sich jeweils im Vorfeld an die gynäkologische Abteilung des AK Altona in der (heutigen Max-Brauer-)Allee gewandt. Deren Oberarzt, Prof. Hinselmann, hatte angeblich entschieden, dass diese Sterilisationen in der Frauenklinik in der Bülowstraße durchgeführt werden sollten. Bis dahin sollen sie in beiden Abteilungen, der Frauenklinik in der Bülowstraße und der gynäkologischen Abteilung erfolgt sein. In den Krankenblättern wurde auf eine Erlasse des Reichsinnenministeriums von 1944 verwiesen.
Eine Bitte eines Polizisten nach 1945, den Arzt Dr. Günther, der an den Misshandlungen an Minna K, , Maria B. und Meta B. Mitte November beteiligt war, ihn nicht für dessen Verbrechen an den Sinti und Roma beruflich zu bestrafen, lässt etwas von dem damaligen Gedankengut erahnen: „Ich frage mich, nachdem uns die Vorgänge im KZ, die uns alle zur Gewissheit wurden, bekannt sind, ob die Sterilisation nicht eine gute Handlung war. Wurden die Frauen dadurch nicht vor einem qualvollen Tode im KZ bewahrt?”
Dr. Helmut Wirths
Die ersten Sterilisationen in der Frauenklinik ab November 1944 wurden von Dr. Wirths durchgeführt. Der 1912 geborene Arzt war seit dem 1. Dezember 1938 als Assistenzarzt im AK Altona tätig. Zuvor hatte er seinen Doktortitel erworben. Nach eigenen Angaben trat er im Juli 1933 mit 20 Jahren in die NSDAP ein. Dass er ein überzeugter Nazi war, zeigen drei Lebensstationen von ihm deutlich.
Helmut Wirths wird 1940 von der SS im Getto Sanok im besetzen Polen eingesetzt
Im August 1940 hatte Hamburgs Gesundheitssenator entschieden, dass Wirths ab September 1940 kein Gehalt mehr erhalten sollte, da die Waffen-SS ihn nach Polen kommandiert hatte. Wirths wurde dort als Arzt im „Lager Sanok“ eingesetzt. Die Nazis hatten nach der Besetzung der polnischen Stadt in der Nähe von Krakau die jüdischen Menschen in einem Ghetto zusammengepfercht. Zu dieser Zeit lebten dort über 5.400 jüdische Menschen. Im Dezember 1940 waren es 9.000 Menschen, die aus der Region dorthin verschleppt wurden. Über die Aufgaben von Dr. Wirths im „Lager Sanok“ ist nichts bekannt.
Nach seinem Einsatz im besetzten Polen kehrte er nach Hamburg zurück und arbeitete wieder in der Frauenklinik des AK Altona. Aus seinen Personalunterlagen geht hervor, dass er am Mitte dort war. Am 21. September 1940 war die Gehaltssperre aufgehoben worden, da der Sachverhalt des Einsatzes erklärt worden war.
Zu Besuch bei seinem Bruder, Eduard Wirths, dem Lagerarzt des KZ Auschwitz 1943
Im Frühjahr 1943 besuchte Helmut Wirths seinen Bruder, Eduard Wirths, im KZ Auschwitz, wo dieser als Lagerarzt tätig war.1965 gab einer der Ärzte des KZ, Dr. Fischer, im Auschwitz-Prozess zu Protokoll: „Kurz nach Aufnahme meiner Tätigkeit im Konzentrationslager Auschwitz, etwa Frühjahr 1943, erhielt Dr. Wirths Besuch von seinem Bruder, ebenfalls Arzt, meines Wissens Facharzt für Frauenheilkunde und Assistent bei einem bekannten Professor für Gynäkologie (Anm. Prof. Hinselmann) an einer mir nicht mehr erinnerlichen Universität. Im Zusammenhang mit diesem Besuch führte Dr. Wirths Reihenuntersuchungen an Frauen des Frauenlagers Auschwitz durch und ließ sie ausführen. Diese Untersuchungen wurden mit einem Kolposkop durchgeführt und dienten der Erforschung des Krebses an weiblichen Genitalien, besonders des Muttermundes. Das dazu erforderliche Kolposkop hatte der Bruder von Dr. Wirths mitgebracht.
Ich erinnere mich deutlich an Zeichnungen von besonders markanten oder typischen Veränderungen des durch das Kolposkop vergrößerten Muttermundes, die von Häftlingen des Frauenlagers angefertigt wurden. Diese Zeichnungen waren farbig und wurden später übergeben.“ Er sagte weiter: „Ich erinnere mich ferner daran, dass Dr. Wirths mir eine medizinische Zeitschrift zeigte, in der die Ergebnisse der in Auschwitz vorgenommenen Untersuchungen veröffentlicht waren, jedoch ohne Nennung des Namens Auschwitz.“
Helmut Wirths war an medizinischen Verbrechen im Block 10 des KZ Auschwitz beteiligt
Die Versuche der Brüder Wirths und Prof. Hinselmann in Auschwitz, Block 10, sind historisch dokumentiert. Nach dem Krieg charakterisierte ein früherer Arzt und Gefangener im Lager die Experimente als ebenso brutal wie viele der bekannteren Menschenversuche.
Speziell die Kooperation zwischen dem Konzentrationslager Auschwitz und der Frauenklinik Hamburg-Altona wurde jedoch bisher unzureichend untersucht.
Dr. Wirths verantwortete die ersten Zwangssterilisationen an Sinti und Roma 1944 in der Frauenklinik
Dr. Wirths führte die Zwangssterilisationen am 9. November 1944 bei Laura, Emilie und Martin R. durch. Im Verfahren gegen den ärztlichen Direktor wurde Wirths’ Haltung dokumentiert: „Dr. Wirths hielt die Unterlagen für ordnungsgemäß.“ Er wurde dabei von Dr. Goldbeck unterstützt. Erst nachdem auch Karl Lutz, Minna K. und Maria B. misshandelt worden waren, soll Wirths mit Goldbeck darüber gesprochen haben, ob die Unterlagen vollständig waren. Am praktischen Vorgehen änderte dies nichts.
Nach der Befreiung 1945 wurde Wirths aus der Frauenklinik geschmissen und Gefängnis verurteilt
Die britische Administration in Hamburg sorgte dafür, dass er unmittelbar nach der Befreiung Hamburgs aus dem Dienst entlassen wurde. Zum 25. Juli 1945 erfolgte seine Entlassung.
1946 wurde Wirths im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vor britischen Richtern zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Trotz seiner Beteiligung an unethischen medizinischen Praktiken wurde er nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verfolgt.