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Holger Artus

Christian St., 35 Jahre

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Christian St. wurde Ende Januar 1945 in der Frauenklinik des AK Altona in der Bülowstraße zwangssterilisiert. Er wurde mit seiner Familie im Mai 1940 nach Belzec deportiert. Drei seiner Geschwister wie seine Mutter überlebten nicht. Er konnte mit seiner eigenen Familie nach Hamburg fliehen.

Hier wurde er seit 1942 bis 1945 über das Arbeitsamt als Zwangsarbeiter erst in einem Wehrmacht-Betrieb eingesetzt, dann für die Trümmerbeseitigung in Hamburg über die Stadtreinigung.

Nach 1945 wurden seine Rechte auf Entschädigung massiv beschnitten. Wie in den 1950er und 1960er Jahren wurde z.B. die Zwangsarbeit nicht anerkannt. Bei anderen Verfolgtengruppen war dies erfolgt.

Dies ist der letzte Beitrag zu den 13 Sinti und Roma aus Anlass der Kundgebung am 11. November 2024 um 17 Uhr in der Bülowstraße. Die Absicht war, in Stichworten etwas zu den Menschen zu sagen und dabei die heutige Nachbarschaft an einstigen Wohnadressen zu informieren. Diese Texte wurde bearbeitet und gekürzt auf sei Webseite gestellt.

Die Texte beruhen auf ausgewählten Unterlagen aus dem Staatsarchiv. Es gibt viele weitere Erzählungen zum Leben, zum Widerstand und auch zur Komplettierung bisheriger Befunde in der Forschung. Das werde ich aber nicht weiter verfolgen, da der „Reibungsverlust“ schon erheblich ist. Hier das Info:

Christian St. wohnte in den 1960er Jahre im Eppendorfer Weg 233. Er war einer von 13 Sinti und Roma, die von November 1944 bis Februar 1945 in der Frauenklinik des AK Altona in der Bülowstraße zwangssterilisiert wurden. Kurz vor Kriegsende begann das NS-Regime damit, die noch in Hamburg lebenden Sinti und Roma „unfruchtbar“ zu machen.

Christian St. wurde am 8. September 1909 in Flechtorf bei Braunschweig geboren. Sein Vater war Musiker und Geigenbauer. Christian lernte früh, Instrumente wie Saxophon, Geige und Gitarre zu spielen. Auch als Sänger war er tätig. Seit seinem 18. Lebensjahr war er nebenberuflich als Musiker aktiv. 1932 heiratete er Emma H. (geb. 1910). Das Paar hatte drei Kinder: Rudolf (geb. 1930), Reginald (geb. 1934) und Regina (geb. 1937). Ab 1933 war er bis 1940 immer wieder bei Heidenreich und Harbeck beschäftigt. 

Deportation am 20. Mai 1940 in den Osten

Bis zu ihrer Deportation im Mai 1940 wohnte die Familie im Heinskamp in Barmbek in einer 3 ½ Zimmer-Wohnung. Am 16. Mai 1940 wurden sie aus ihrer Wohnung in den Fruchtschuppen C im Hamburger Hafen verschleppt und mussten dort drei Tage unter schlechtesten Bedingungen ausharren, bevor sie am 20. Mai 1940 über den Hannoverschen Bahnhof (heute in der Hafencity) nach Belzec in Polen deportiert wurden. „Wir konnten praktisch nur das mitnehmen, was wir auf dem Leibe hatten“, erinnerte sich Emma Steinbach später. Die Wohnung wurde von der Polizei versiegelt, und der Hausstand entweder beschlagnahmt oder vernichtet. 

Staatsarchiv Hamburg, 213-11_26854

Zu den am 20. Mai 1940 verschleppten Sinti und Roma gehörten auch Christians, Mutter Karoline St. und sechs seiner Geschwister. Vier von ihnen überlebten nicht.

Rückkehr nach Hamburg 

Das Lager in Belzec wurde im Oktober 1940 aufgelöst. Auf dem Weg ins Ghetto in Siedlce flohen viele Familien. Christians eigene Familie konnte nach Hamburg zurückkehren. Dort wurde er als Zwangsarbeiter beim Korbwarenhersteller Nollau in der Kaiser-Wilhelm-Straße 74/76 bis März 1944 eingesetzt. Ein Zeitzeuge beschrieb die dortigen Arbeitsbedingungen für ihn: „Die Werkstatt, in der auch die (Sinti) arbeiteten, war während der Arbeitszeit stets abgeschlossen. Der Raum wurde nur zur Mittagszeit geöffnet, damit sie und die anderen Arbeitskräfte ihre Mahlzeit einnehmen konnten. Der Betriebsobmann drohte immer wieder mit der Gestapo, falls sie sich seinen Anordnungen nicht fügten. Tatsächlich erschien auch mehrfach die Gestapo.“

Im Laufe des Jahres 1944 wurde die Zwangsarbeit in Hamburg neu organisiert und von der Stadtreinigung verantwortet. Die Menschen wurden jetzt zu Trümmerarbeiten eingesetzt. Sie mussten sich in Sammelstellen einfinden und wurden dann an Bauunternehmen übergeben, die mit den Arbeiten beauftragt worden waren. Christian St. arbeitete zunächst bei Max Wiede und dann beim Tiefbauunternehmen Werner Munck von November 1944 bis Ende April 2945.

Staatsarchiv Hamburg, 213-11_26854

Körperliche Misshandlung in der Frauenklinik des AK Alton-

Ende Januar 1945 wurde er von der Kriminalpolizei abgeholt und in die Klinik in der Bülowstraße 9 gebracht, wo er vermutlich am 30. Januar 1945 sterilisiert wurde. Vorher musste er unterschreiben, dass auch seine Kinder sterilisiert würden, sobald sie das 12. Lebensjahr erreicht hätten. Zwei Wochen hielt er sich im AK Altona auf. Aufgrund der OP-Folgen musste er ab Mitte März 1945 bei Walter Munck arbeiten.

Nach 1945: Kampf um seine Rechte

Es gehört leider auch zur bitteren Geschichte, dass Christian St. nach 1945 seine Rechte auf Entschädigung bestritten wurden. Aufgrund seiner Herkunft wurde er rassistisch diskriminiert. Statt die Verbrechen aufzuklären, wurde die Beweispflicht auf das Opfer verlegt.

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