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Holger Artus

Ein Zwangsarbeitslager konnte einer Turnhalle zu geordnet werden

Ein „Abfall-Produkt“ zur Recherche um ein Zwangsarbeitslager auf dem Sportplatz an der Max-Brauer-Allee führte mich zu einem Sportverein, dem die Stadt Hamburg 1948 eine Turnhalle zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung stellte. Dabei fand ich heraus, dass der ATV 1945 in der NS-Zeit seine Turnhalle in der Altonaer Turnstraße (Schmarjes Straße) an eine Baufirma vermietet hatte, damit sie hier Zwangsarbeiter unterbringen konnte.

Der Altonaer Turnverein von 1845 (ATV 1845) weihte am 27. Januar 1878 seine neue Turnhalle in der Turnstraße (heute Schmarjestraße) 24 ein, direkt hinter der Petri-Kirche in Altona. 

Die Verantwortlichen, so kann man der Chronologie von 1995 entnehmen, waren glühende Anhänger des NS-Systems und nutzten den Sport als Vehikel, um deren rassistische und völkische Ideologie mit ihren Mitteln zu transportieren. Mit dem 2. Weltkrieg änderten sich die Rahmenbedingungen, da viele Vereinsmitglieder zur Wehrmacht mussten. Die Vereinskasse suchte nach neuen Einnahmen: Der Turnraum im Erdgeschoss wurde 1942 vom ATV für 200 RM an das Bauunternehmen Boswan & Knauer gemietet. Hier mussten 50  polnische und tschechische Zwangsarbeiter leben. 

Von der Miete wollten sie ihre Lage verbessern. Ihre Hetze gegenüber den Mitgliedern betrieben sie im Vereinsmagazin. So erklärte deren Vereinsvorsitzende damals im März 1943: „Am liebsten möchte ich den ganzen Betrieb mit Sack und Pack nach der … verlegen, damit wir endlich, solange der Krieg dauert, aus diesen Räumen, die durch den Mief von im großen Turnsaal hausenden za. 50 Ausländern verpestet sind, herauskommen. Hygienisches Turnen ist das jedenfalls nicht mehr! Es kommt hinzu, daß wir Gefahr laufen, daß der Eine oder die Andere aus diesem Grunde die Halle meidet.“ 

Im Juli 1943 wurde die Turnhalle des ATV von Alliierten von Bomben zerstört, lediglich die Grundmauer blieb erhalten. Ab Mai 1944 wurde die Turnhalle notdürftig wieder hergerichtet, damit die Herren wieder turnen konnten. Eine Lösung für den ATV 1845 war das nicht. Die Halle an der Turnstraße wurde endgültig 1950 abgerissen. Sie wollten ihr Grundstück an der Turnstraße verkaufen, um aus den Erlöse etwas Neues zu entwickeln. Jetzt war es die Turnhalle am “Karl Möller Platz“ an der Jahnstraße 6, die ebenfalls zerstört war, aber nur in Teilen.

In Hamburg war man nur bedingt von der Haltung des ATV 1845 zu dieser Sporthalle begeistert. So schrieb das Sportamt Hamburg 1948 an die Verantwortlichen des ATV: „Gestern hatte ich eine lange Besprechung wegen Ihrer Turnhalle auf dem Karl Möller-Sportplatz. Die Männer des für Altona entscheidend mitbestimmenden Beratenden Ausschusses, mit denen ich sprach, zeigten eine starke Abneigung gegen den Gedanken, diese Räume überhaupt zu überlassen. Daß gegen Ihren Verein wegen seines Verhaltens 1933 eine besondere Einstellung bestand, will ich nicht verhehlen. Ich spreche das offen aus, um Sie ehrlich ins Bild zu setzen. Sie leben dort in einem gewissen Wettbewerb mit dem aus der Arbeiter-Turnbewegung hervorgegangenen Altonaer Turn- und Sportverein von 1899.  Die ganze Arbeitsweise dieses Vereins ist vorbildlich sauber, entschieden weiter in die Bevölkerung hineingreifen als die Ihrer Gemeinschaft.“ 

Am 15. April 1948 wurde aus Anlass des 100jährigen Jubiläum des ATV 1845 von der Stadt Hamburg „das ausgebrannte Sporthaus auf dem Sportplatz Allee“ auf unbeschränkte Dauer vermietet. Die ersten zehn Jahre sollte der Verein die Halle mietfrei nutzen können und dafür auf eigene Kosten im Gegenzug eine neue Turnhalle aufbauen. Das scheiterte, da sie das Geld für die Wiederherstellung nicht mehr hatten. 1951 konnte der ATV aus dem Mietvertrag aussteigen. Später wurde auch diese Turnhalle abgerissen. Heute stehen an der Ecke Bodenstedtstraß/Goldbachstraße moderene Neubauwohnungen.

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