Im Recha-Lübke-Damm im Hamburger Münzviertel habe ich heute eine Nachbarschafts-Info verteilt, das über eine Postkarte von Recha Lübke aus Terezin informierte, warum es zur Namensumbenennung im Februar 2024 kam und den Hinweis auf die Kundgebung zur Erinnerung an die Juli-Deportation von 1942 über die Schule Schanzemstraße. Recha Lübke gehörte zu den damals Deportierten.
Liebe Nachbarn:innen,
Sie wird vermutlich mehr das Thema des Umbaus in Ihrer Straße bewegen. Dennoch möchte ich Ihnen etwas zur Umbenennung des Straßennamen auf Recha-Lübke-Damm erzählen.
Was ist mein Anlass, Ihnen zu schreiben?
Zwei Dinge. Die Straßenumbenennung im Februar 2024 und eine Postkarte von Recha Lübke vom 3. April 1944 aus dem KZ/Getto in Terezin/Theresienstadt in der Nähe von Prag, die sie nach Hamburg geschickt hatte und jetzt aufgetaucht ist.
Wer war Recha Lübke?
Die 1880 geborene Recha Lübke war seit 1901 Lehrerin bei Ihnen im Wohngebiet, in der Mädchenschule in der Rosenallee 11. In der Kaiserzeit in Deutschland (bis 1918) wurde sie mit dem “Verdienstkreuz” ausgezeichnet. Sie engagierte sich aktiv in der jüdischen Gemeinde Hamburgs und übernahm dort seit 1921 Funktionen. Seit 1922 wohnte Recha in der Isestraße 21, nahe der U-Bahnstation Hoheluft.
Mit dem Machtantritt der Nazis 1933 wurden alle jüdischen Beamten, Angestellten und Arbeiter aus dem öffentlichen Dienst geschmissen. Recha Lübke wurde 1934 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Seitdem betreute sie ältere Bewohnerinnen des Frauen- Wohnheims des Israelitischen Humanitären Frauenvereins in der Innocentiastraße. 1942 musste sie in ein so genanntes Judenhaus im Kleinen Schäferkamp 32 ziehen, eine Massenunterkunft, über die die Deportationen ab 1941 in den Osten organisiert wurden. Recha Lübke wurde am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße nach Terezin/ Theresienstadt, in der Nähe von Prag, verschleppt.
Was ist das mit der Postkarte aus Terezin von Recha Lübke?
Die Postkarte dürfte das letzte von ihr verfasste Lebenszeichen aus dem KZ/Getto in Terezin gewesen sein.
Den verschleppten Menschen war es bedingt erlaubt, nach Hause zu schreiben. Einmal in drei Monaten durften sie die vorgegebenen Postkarten benutzen. Sie wurden mehrfach zensiert, sonst konnten sie nicht abgeschickt werden. Eine neue konnte man erst nach drei Monaten schreiben. Die adressierten Karten wurden an die Gestapo nach Berlin geschickt und von dort wurden sie an die angegebenen Empfänger:innen weitergeleitet. Die beiliegende Postkarte ging in die Bornstraße 22. Hier war der Sitz der verbliebenen jüdischen Gemeinde Hamburgs. Recha Lübke schrieb am 3. April 1944: „Warum habe ich so lange nichts … gehört?“ Sechs Monate später, am 9. Oktober 1944 wurde die damals 64-jährigen nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Wie kam es zur Umbenennung der Straße?
Ursprünglich hieß Ihre Straße Amsinckstraße. In den 1950er Jahren wurde sie in Högerdamm umbenannt, nach dem Architekten Fritz Höger.
Er war 1933 in die NSDAP eingetreten, hatte seinen jüdischen Mitarbeiter 1933 entlassen und schon vorher aus seiner antisemitischen Haltung keinen Hehl gemacht. Der Name „Högerdamm“ stand um 2020 auf einer Liste von sogenannten belasteten Straßennamen, sprich Mitgliedschaft in der NSDAP. Alle diese Straßennamen wurden überprüft, wie künftig damit zu verfahren sei. Die Mitgliedschaft in der NSDAP alleine sollte für die Aufhebung des Straßennamen nicht reichen. Ein Historiker forschte zu den Namen, eine Kommission aus acht Experten:innen befasste sich mit den Ergebnissen. In elf Fällen wurde eine Umbenennung empfohlen, in elf Fällen nicht. Die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte ist für die Namen in ihrem Bezirk zuständig und hatte sich in einem Beteiligungsverfahren auf Vorschlag der Stadtteilinitiative Münzviertel für den Namen “Recha-Lübke-Damm“ entschieden. http://www.muenzviertel.de/blog/
Was will ich von Ihnen?
Mein Bezug zum Recha Lübke ergibt sich, da ich in unmittelbarer Nähe des Kleinen Schäferkamp 32, bei der U-Bahnstation Schlump, wohne und in jungen Jahren in dem Haus ein- und ausging. Am 12. Juli 2024 findet vor dem Haupteingang der Ganztagsgrundschule Sternschanze, Altonaer Straße 38, eine Kundgebung statt, wo wir als Nachbarn an die Deportation der 1.500 Menschen über diese Schule Schanzenstraße erinnern, also auch an Recha Lübke. Das machen wir seit einigen Jahren. Es ist keine Frage, ob wir Schuld haben, das kann nicht funktionieren. Es geht um Verantwortung, es nicht zu vergessen. Ich lebe gerne in Hamburg, bin froh, hier aufgewachsen zu sein, es ist gewissermaßen auch meine Stadt. An die furchtbaren Verbrechen des NS-Regime am Beispiel dieser Deportation zu erinnern hat für mich etwas damit zu tun, dass man nicht vergessen darf, wozu Menschen bereit waren und warum. Hass und Hetze, Rassismus und Antisemitiismus, Verschwörungserzählungen und Lügen – sie haben mit dazu geführt, dass Menschen damals nichts gegen diese Verbrechen unternommen haben. Heute leben wir in einer demokratischen Gesellschaft und treten für deren demokratische Werte ein. Wenn Sie Zeit haben, würde ich mich freuen, wenn wir uns am 12 Juli 2024 um 17 Uhr am Schuleingang treffen würden.