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Holger Artus

Über Pieter Slotboom aus Amsterdam, gestorben am 25. Oktober 1944 am Dessauer Ufer

Dieser Text wer nicht geplant, sondern ergab sich aus der Planung einer Kundgebung am 16. Januar 2024 im Hamburger Hafen am Dessauer Ufer. Die Kundgebung soll an 106 Niederländer erinnern, die am 16. Januar 1945 über Groningen ins KZ Neuengamme verschleppt wurden. Keiner überlebte.

Die Aktivität war eine Teil eines konzeptionellen Herangehens, eine Form zu finden, die NS-Opfer in den Mittelpunkt um diese Gedenkort anzubieten. Es sollte weitere Aktivitäten geben, die die gleiche Zielrichtung hatten: Erinnerung ist eine praktische Frage, darüber kommt man in den Dialog. Es hat nicht funktioniert ;-(. Der Eigentümer des Lagerhauses reklamiert für sich, für diese Niederlände zu sprechen.

Frei nach Brecht: Mach nur einen Plan, mach auch einen zweiten, beide werden nichts. Die Verhältnisse sind nicht so. Da ich mitten in der Umsetzung der Aktivität war, habe ich mir eine Korrektur und Ergänzung der Erzählung überlegt. Ermordete Niederländer aus dem Dessauer Ufer, die nicht aus der Deportation vom 16. Januar 1945 stammten, sondern aus zwei anderen: dem 8. September und 11. Oktober 1944. So soll es keine „Deutungshoheit“ um die Toten der Deportation vom 16. Januar 1945 geben. Wenn dass das Anliegen der Eigentümer des Gebäude am Dessauer Ufer ist und sie diese „Gruppe“ für sich reklamieren, so will ich etwas zu den Niederländern erzählen, die nicht über Groningen 1945 kamen. Es soll bei meinem Blick auf die Ermordeten bleiben. Wir sind es ihnen schuldig. So entstanden die Texte zu Carel Schriek, Pieter Slotboom und Pieter Kila.

Im Außenlager des KZ Neuengamme, dem Dessauer Ufer, kamen 39 Niederländer ums Leben. Sie wurden Opfer des viehischen System der SS, die Menschen zu misshandeln, zu foltern, zu erniedrigen und durch die Arbeit körperlich zu zerstören. Ihre Lebensbedingungen im KZ waren extrem schwierig. Ihre Versorgung war katastrophal, ihre medizinische Versorgung nur auf das nötigste ausgerichtet, sofern ihre Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt werden konnte. Ansonsten bedeutete es ihren Tod.

Stefan Brozdowicz war im September 1944 von Neuengamme ins Außenlager am Dessauer Ufer verlegt worden. Er war in der Schreibstube im Krankenrevier eingesetzt worden. 1949 beschreibt er die Bombardierung der Lagerhäuser vopm 25. Oktober 1944. “An einem schönen Mittag gegen 13 Uhr sind auf das Lager Dessauer Ufer größere Mengen Brandbomben gefallen. Es war ein großes Glück, dass fast alle auf Außenkommandos waren. Im Lager waren damals nur etwa 200 Kranken im Revier… über 100 Revierkranke und vom Bombenangriffen verwundete Kameraden wurden nach Neuengamme gekommen”,erinnerte er sich.(1) Unmittelbar am Dessauer Ufer kamen an diesem Tag 33 Personen ums Leben. Unter ihnen waren drei Niederländer:

Pieter Kila, geboren am 29. Mai 1904 in Delft

Carel Schriek, geboren am 7. November 1901 in Rotterdam

Pieter Slotboom, geboren am 21. Dezember 1919 in Amsterdam

Pieter Slotboom war am 21. Dezember 1919 in Amsterdam geboren. Er war Arbeiter und wohnte seit April 1942 mit Jeanette Slotboom, geborene (Wakker) in der Van Beuniungenstraat 157 in Amsterdam. 

Quelle: Stadtarchiv Rotterdam

Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande und ihrer Besetzung 1940 wurden hier massenhaft Arbeitskräfte gesucht. Einer der ersten Hamburger Unternehmen, die sich um niederländische Arbeitskräfte bemühte, gehörte der GHB aus dem Hamburger Hafen. Das deutsche Arbeitsamt hatte Niederlassungen in den Niederlanden eingerichtet. 

Pieter Slotboom  im Januar 1941 bei Rheinmetall Borsig in Berlin im Werk Marienfelde als Transportarbeiter eingesetzt, zusammen mit zehn weiteren Niederländern. Seit November 1941 musste er zusammen mit 63 Niederländern in der Essener Stadtverwaltung  in der Essene Stadtverwaltung arbeiten. 

Quelle: Arolsen-Archiv

Am 2. April 1943 wurde er festgenommen und in das Außenlager des KZ Herzogenbosch in Leeuwarden verschleppt, es folgten weiteren Außenlager. Von Durchgangslager in Amersfoort wurde der in KZ Herzogenbosch verlegt. Am 6. September 1944 bis zum 16. Oktober 1944 war er im KZ Sachsenhausen und wurde dann ins Außenlager am Dessauer Ufer deportiert. Von hier ging es in die verschiedenen Arbeitskommandos zu den Arbeitseinsätzen. Er gehört zu den Toten des Bombardement am 25. Oktober 1944.

Quelle: Arolsen-Archiv

Jeannette Wakker war mit Pieter Slotboom verheiratet. Sie wurde am 21. April 1944 verhaftet und wurde im KZ Herzogenbosch festgehalten. Hier musste sie im Werklager von Philips arbeiten. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass sie ins KZ Ravensbrück verschleppt und dass sie am 19. Oktober 1944 ins Außenlager von Neuengamme in Hamburg-Lokstedt deportiert wurde. Über ihren weiteren Weg ist mir zurzeit leider nichts bekannt.

(1) Quelle: Archiv der VVN-BdA Hamburg

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