Ein weiterer Immobilien-Kauf von Alfred Bauer in der NS-Zeit, Schöne Aussicht 22, dürfte einen antisemitischen Hintergrund gehabt haben. Er hatte ab 1933 nur Immobilien von jüdischen Eigentümern/Beteiligungen gekauft und dabei die Notlage der Verfolgten in der NS-Zeit zu seinem Vorteil genutzt. Nach 1945 hatte er sich an der Verschleierung dieser Zusammenhänge beteiligt.
Jetzt sind neue Unterlagen gefunden worden, die den Erwerb der Schönen Aussicht 22 von Eduard Wolff an der Hamburger Außen-Alster durch den damaligen Geschäftsführers der Heinrich Bauer OHG, Alfred Bauer, in einem neuem Licht erscheinen lässt. Der Kauf der Schönen Aussicht 22 sei ein normaler Erwerb und hätte keinen „Arisierungs“-Zusammenhang, so die Darstellung des damaligen Haus- und Hypotheken-Makler von Alfred Bauer, Jacob Volckerts nach 1945. Der Kaufvertrag, so Volckerts, kam am 9. Mai 1939 zustande. Als Preis gab Bauer 73.000 RM im Entnazifizierungsverfahren 1949 an. Der Kaufvertrag liegt zurzeit allerdings nicht vor.
Eduard Wolff hatte das am östlichen Alsterufer gelegene Grundstück Schöne Aussicht 22 und das Haus 1919 gekauft, so Ingo Wille in seiner Biographie zu einem Stolperstein für Eduard Wolf. Er war Mitgesellschafter der L. Wolff Hamburg Zigarrenfabrik in der Spaldingsstraße 162-168. Mit seinem Bruder, Wilhelm, führte er bis 1927 zusammen das damals deutschlandweit aktive Zigarrenunternehmen. Nach dessen Ausscheiden war Eduard Wolff zusammen mit Franz Dunker alleiniger Gesellschafter.
Der am 5. Dezember 1870 in Hamburg geborene Edaurd Wolff war ein bekannter Unternehmer in Hamburg. 1912 war er der jüdische Gemeinden Hamburg beigetreten. Seit 1915 war er türkischen Honorarkonsul in Hamburg. Seit dem 12. Dezember 1928 waren die (nichtjüdische) Arbeitertocher, Frieda Reincke und er verheiratet. Sie lebten zusammen in der Schönen Aussicht 22. „Er gehörte zu den Honoratioren Hamburg“, schreibt Ingo Wille über ihn.
„Für den völlig assimiliert lebenden Sohn jüdischer Eltern bedeutete der Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 einen tiefen Einschnitt und den Beginn dramatischer negativer Veränderungen. Wiederholt war er Anfeindungen gegen sich und die Firma ausgesetzt, auch durch Artikel in der antisemitischen NS-Wochenzeitung ‚Der Stürmer’. Die Ausgabe 17/1935 enthielt unter der Überschrift ‚Tabakfirma Wolff Hamburg’ folgenden Hinweis: ‚Wir machen darauf aufmerksam, daß an der Tabakfirma Wolff und an der Tabakfabrik Hacifa (Hamburger Zigarrenfabriken) immer noch der Jude Eduard Wolff beteiligt ist.‘ „Dauernde Anfeindungen gegen die Firma veranlassten ihn“, so schreibt Frieda Wolff am 1. April 1947, „im Jahre (25. Juli) 1935 schweren Herzens aus der von seine Vater im Jahre 1867 gegründeten Firma auszutreten. Mein Mann wäre niemals aus seinem Unternehmen ausgeschieden, wenn er nicht Jude gewesen wäre und stets befürchten musste, dass ihm eines Tages sein Unternehmen bzw. sein Anteil von den Nationalsozialisten genommen wurde.“
Frieda Wolf erinnerte sich 1948 an die Lebensbedingungen in der Schönen Aussicht nach 1933: „Im Nachbargrundstück hatte sich die ‚NSDAP‘ niedergelassen. Unser Haus stand unter ständiger Beobachtung. Mein Mann wagte sich kaum auf die Straße. Er ist auch des öfteren durch Mitglieder der SA belästigt worden. Nach einem Besuch eines Gestapo-Beamten war mein Mann total mit seinen Nerven herunter. Er rechnete dauernd mit seiner Verhaftung.“
Ingo Wille schreibt: „Beleidigende und demütigende Äußerungen waren an der Tagesordnung, wenn sich Eduard Wolff draußen zeigte. Schmährufe wie z.B. „Hier ist die Einbahnstraße nach Jerusalem“ oder „Auf nach Jerusalem“ gehörten noch zu den harmloseren.“ Eduard Wolff nach sich 1938 das Leben.
Seine Witwe schrieb zu den Umständen des Suizid 1938: “Um einer Verhaftung zu entgehen, nahm er sich in der Nacht am 26. Februar 1938 das Leben. Er öffnete sich die Puls- und Halsschlagader”. „Sein Tod war so grauenvoll, dass ich heute noch darunter leide. Später (19.Juli 1942) kamen dann auch noch die älteren älteren Schwestern und ihre beiden Töchter in Theresienstadt ums Leben.“
Rückerstattungsverfahren Schöne Aussicht 1951/52
Als am 14. Dezember 1951 von der Jewish Trust Corporation (JTC) ein Rückerstattungsantrag ins Grundbuch eingetragen wurde, lies Alfred Bauer dagegen Widerspruch einlegen. Da das Grundstück mit einer Hypothek von 50.000 DM belegt war, richtete sich der Grundbucheintrag auf Rückerstattung der JTC auch a die damalige Hansa-Bank im Ness 9. Der Heinrich Bauer Verlag hatte zur Finanzierung eines Neubaus an der Buchardstraße 11 finanzielle Mittel benötigt.
„Der Verfolgte war kein Jude”, erklärte der Haus- und Hypothekenmakler von Alfred Bauer, Jacob Volckert. Weiter sagte er zum Kaufvertrag , “das an dem Rechtsgeschäft kein Jude beteiligt war.”
Da sich Eduard Wolff 1938 das Leben genommen hatte, kann er nicht der Verkäufer gewesen sein, sondern seine Erben. Mit wem der Kaufvertrag abgeschlossen war, kann man zurzeit nicht sagen. Nach seinem Testament vom 3. Dezember 1935 war sein Adoptivsohn der Erbe. Dieser war 1938 tödlich verunglückt, so dass seine Schwester, Rosalie bzw. deren Kinder, Franziska Riese, gebr. Pniower und Grete Hermann, gebr. Pniower möglicherweise die Erbinnen gewesen sein könnten (alle drei wurden später, am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin deportiert und überlebten nicht). Der Bruder von Eduard Wolff, Martin, war vermutlich in den 1920er Jahren nach Australien ausgereist.
Wie für die Zeit nach 1945 in Entnazifizierungsverfahren üblich, wurden erst einmal keine Beweis für die Behauptungen vorgelegt. Nach den „Nürnberger Rassegesetzen“ der Nazis von 1935 waren Eduard Wolff und seine Geschwister „Juden“. Da jeder Deutsche einen so genannten „Arier-Nachweis“ abgeben musste, dürfte sich jeder Hausmakler wie Jacobs Volckerts damals daran erinnern können. 1935, zum Zeitpunkt der Verabschiedung der „Nürnberger Rassegesetze“ hatte es seinen Sitz am Jungfernstieg 8, wo es auch noch 1952 zu Hause war, als es die Erklärung abgaben hatte, dass der Verkäufer kein Jude gewesen war. Es war ein Vesuch der Täuschung, wissend um den Zusammenhang, so müsste man es wohl heute bewerten.
Die Argumentation von Jacob Volckerts passte zur Linie des Wirtschaftsprüfer von Alfred Bauer, Wilhelm Bräuer, der für das Entnazifizierungsverfahren am 30. April 1949 eine Erklärung abgegeben hatte: “Ich habe niemals den Eindruck gehabt, dass … in irgendeiner Weise die Notlage jüdischer Auswanderer mißbraucht wurde.“ Der Hausverwalter von Alfred Bauer, Albert Schwarke & Sohn, argumentierte 1949 noch dreister: „Sämtliche Grundstücke sind von den früheren Eigentümern … völlig freien Willens verkauft worden. Der Verkauf erfolgte nicht im Wege der Arisierung oder unter politischen Druck.“