Für eine Buchproduktion von Silvia Pascales und Orlando Materasso habe ich einen Text vorgeschlagen und in der „Projektgruppe italienische Militärinternierte Hamburg“ eingebracht. Hier die bearbeitete Fassung.
Wie überall im nationalsozialistischen Deutschland wurden auch in Hamburg ab September 1943 italienische Militärinternierte (IMI) als Zwangsarbeiter in Hamburger Unternehmen und im Auftrag der Hansestadt eingesetzt. Nach neuen Schätzungen waren es über 15.000, eingeschlossen die Kriegsgefangenen-Bau- und Arbeitsbataillone, in denen bis zu 2.000 Italiener von der Wehrmacht zum Arbeitseinsatz gezwungen wurden. Ab 1944 wurden diese Bataillone aufgelöst und unter das Wehrmachtskommando der Stadt Hamburg gestellt. Bis zu 14.000 IMI waren auf über 600 Hamburger Unternehmen verteilt worden. 3.000 IMI waren schon am 29. September 1943 über das Kriegsgefangenen-Stammlager Sandbostel nach Hamburg überführt worden. Insgesamt 9.000 IMI wurden im Herbst 1943 vor allem in den großen Massenunterkünften im Hamburger Hafen oder in dessen Nähe untergebracht. Allein am Dessauer Ufer lebten in drei riesigen Lagerhäusern 6.000 IMI unter schwersten Verhältnissen. Bis kurz zuvor hatten sich dort die Tabaklager der Firma Reemtsma befunden, die nun aus Angst vor der Vernichtung ihrer Rohstoffe diese auf kleinere Lager in Deutschland verteilt hatte. Aus Tagebuchberichten ist bekannt, dass die IMI am Dessauer Ufer im Herbst 1943 auch mit Abtransport des Tabaks beschäftigt wurden. In der nur wenige hundert Meter entfernten Speicherstadt, die heute ein bekanntes Weltkulturerbe ist, befand sich ein weiteres Sammellager für 1.000 IMI. Ansonsten wurden sie vor allem in leergeräumten Hamburger Schulen oder aber in über 100 Firmenlagern im Stadtgebiet untergebracht.
Bis zum August 1944 war die Wehrmacht für die Überwachung der italienischen Soldaten zuständig und deutsche Soldaten begleiteten die Italiener auch auf ihren Arbeitswegen durch Hamburg. Dies endete mit der Überführung der IMI in den Status von zivilen Zwangsarbeitern. Nun oblag die Überwachung der Italiener den Ausländerreferaten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Für Hamburg sind bisher auch einzelne Namen ortsansässiger italienischer Faschisten bekannt, die die Gestapo und andere NS-Dienststellen unterstützten. Über die Vertretung der Repubblica Sociale Italiana (RSI) in der Deutschen Arbeitsfront (DAF) waren sie für die Aufsicht der Lager und die Kontrolle des Arbeitszwang mit zuständig. Italiener, die aus deutscher Sicht keine ausreichenden Arbeitsleistungen erbrachten, liefen Gefahr, aufgrund von Denunziation in das Arbeitserziehungslager Langer Morgen verschleppt zu werden, das von der Hamburger Gestapo betrieben wurde. Auch der Diebstahl von Lebensmitteln konnte diese Strafe nach sich ziehen. Die Haft in Arbeitserziehungslagern war auf dem Papier auf wenige Wochen angelegt und eine Rückkehr der Betroffenen in ihre Betriebe war durchaus vorgesehen. Wenn die sogenannte Arbeitserziehung aus Sicht der Nationalsozialisten jedoch nicht erfolgreich war, konnte die Gestapo die Einweisung in ein Konzentrationslager verfügen.
Ab Oktober 1944 wurden mehrere tausend der italienischen Soldaten, die kurz zuvor zu Zivilarbeitern erklärt wurden, zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen, sowie auch zum Einsatz in weiteren kriegswichtigen Wirtschaftsbereichen wie Energie und Transport. Die meisten IMI in Hamburg mussten in der Bauwirtschaft arbeiten. Andere wiederum wurden nach den Luftangriffen direkt von der Stadt zur Trümmerräumung eingesetzt.
Aus den Namenslisten der Stadt Hamburg über die Anzahl der Beerdigungen von Italienern ab 1944 in Hamburg ist bekannt, dass es zwischen 1.100 bis 1.400 Personen waren. Dies hing auch damit zusammen, dass italienischen Soldaten, wie anderen Gruppen von Zwangsarbeiter_innen, der Zugang zu Luftschutzräumen oftmals verwehrt war. Darüber hinaus ermordeten die Nationalsozialisten in den letzten Kriegsmonaten Italiener, weil sie vermeintlich Lebensmittel gestohlen hätten.
Seit 2020 gibt es in Hamburg einen Zusammenschluss mehrerer Gruppen aus der Zivilgesellschaft, um die italienischen Militärinternierten zu einem öffentlichen Thema in der Erinnerungskultur zu machen. Jedes Jahr veranstalten wir am 8. September eine Kundgebung , wobei auch neue Erinnerungsorte in Hamburg eingeweiht werden. Wir laden hierzu auch italienische Gäste nach Hamburg ein, 2021 beispielsweise Orlando Materassi und Silvia Pascale von der Associazione Nazionale Ex Internati (ANEI), 2022 luden wir Gianni Ruga ein, Sohn des ehemaligen Militärinternierten Marino Ruga, welcher in seinem Kriegstagebuch auch über die schwere Zeit als Zwangsarbeiter bei den Hamburger Wasserwerken geschrieben hatte Darüber hinaus sind wir Ansprechpartner für Familienangehörige ehemaliger IMI und helfen diesen bei ihren Nachforschungen. Als “Projektgruppe italienische Militärinternierte Hamburg 1943-1945” diskutieren wir außerdem mit privaten und öffentlichen Unternehmen sowie der Hamburger Politik über die bis heute immer noch nicht erfolgte Entschädigung der italienischen Militärinternierten und haben eine Initiative gestartet, um dieses nichtabgeschlossene Kapitel in die deutsche Öffentlichkeit zu bringen.
Arbeitsgemeinschaft Neuengamme
Initiative Dessauer Ufer
AK Distomo
Kulturhaus Neugraben
Kein vergessen im Kontorhausviertel
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