Ansichten

Holger Artus

Schön, dass viele unser Anliegen verstehen

Mit der kleinen Kundgebung am 9. November 2022 im Schanzen- und Weidenviertel ist es wieder gelungen, unser Nachbarschaft ein Angebot zu machen, von dem Interessierte Gebrauch gemacht haben.

Mit über 60 Teilnehmer:innen bewegen wir uns im Rahmen, was wir zu den bisherigen Kundgebungen zur Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 in den vergangenen Jahren erreichten. Mal sind es mehr, mal etwas weniger.

Das besondere an diesen Aktivitäten ist, dass wir ganz dicht mit unserem Thema an die Nachbarn herankommen, es ist auch ein nachbarschaftliches Treffen. Dafür spricht, dass die sehr kleinteilige Öffentlichkeitsarbeit zu unmittelbaren Reaktionen führt. Sei es, dass man Mails auf eine Hausverteilung bekommt, dass sich Menschen finden, Stolpersteine zu finanzieren und Nachbarn Einladungen folgen, um Blumen an Stolpersteinenm nieder zu legen. Welche Dynamik im nachbarschaftlichen Bereich entstehen kann, war die Einladung der Patinnen der Stolperstein für Lea, Julia und Arpad Zlatner vom 23. Oktober 2023 vor dem Haus des Sports am Kleinen Schäferkamp anlässlich deren Verlegung. Über 30 Personen nahmen daran teil.

Völlig unerwartet kam die Anfrage von FÜREINANDERSCHANZE, unser Projekt in einer Ausstellung vorzustellen und das Angebot zu einen Stadtteilrundgang zu einigen Eckpunkten der Verfolgung in der NS-Zeit im Schanzenviertel, den ich gerne gemacht habe. Es führte mir vor Augen, dass es eine größere Gruppe im Viertel geben muss, die wir noch nicht erreichen. Mit fast 30 Personen war ich völlig überrascht über das Interesse und die Wirkung des Projekts für die Nachbarschaft.

Meinerseits beschäftige ich mich jetzt intensiver mit Hedwig und Arthur Hausmann, die in der Juliusstraße 18 seit 1933 bis zu ihrer Deportation am 8. November 1941 hier wohnten. Hier startete der Stadtteilrundgang. Auch recherchiere ich zum Eigentümer der Immobilie bis 1938, einem gewissen E. Silberschatz. Die Namen von Hedwig und Arthur Hausmann habe ich auf die so genannte „Warteliste“ der Hamburger Stolpersteine gesetzt, die wohl dazu dient, Paten:innen zu suchen, so dass sie irgendwann mal verlegt werden können.

Die kleinteiligen Nachbarschafts-Info, die wir im Vorfeld von den Kundgebungen verteilen, um aus dem Leben von NS-Opfern den heutigen Mieter:innen zu erzählen, ergeben sich meistens aus der Namenstafel der 1.700 deportierten jüdischen Menschen vom Juli 1942 oder aus der Liste über die geplante Verlegung von Stolpersteinen im Viertel. Die Auflage der Infos liegt zwischen 20 bis 50 Exemplaren. Renate Adler z. B. wohnte nicht in unserem Viertel, dennoch habe ich eine Info auch in ihrem Wohnsitz bis 1942 im Löhrsweg 1 verteilt. Die anderen wie Paula und Otto Beer oder Anna Grünthal und Emil Hochfeld waren Namen von jüdischen Nachbarn im Kleinen Schäferkamp 30 bzw. Schäferkampsallee 49. Vier Geschichten zu NS-Opfer, deren Namen auf der Tafel an der Schule stehen, wurden nicht realisiert, aber die Recherche ist abgeschlossen. Ebenfalls ein Zufall aus einer anderen Akte machte uns auf die Belmontes in der Schäferkampsallee 11 und deren Haushälterin, Bertha Simon, aufmerksam. Auch zu ihnen haben wir eine Nachbarschaftinfo verteilt.

Die Genauso zufällig wie der Stadtteilrundgang war die Anfrage zu einem Video zum 100. Geburtstag von Erika Estis. Da er nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, habe ich über die Gesprächspartnerinnen getwittert. Vorgenommen hatte ich mir, an dem Geburtshaus von Erika und ihrer Eltern, Irma und Paula Freundlich, die unmittelbare Nachbarschaft am 9. November 2022 einzuladen. Schön war, dass sich welche am Stolperstein einfanden.

Alles, was erzählt wird, stellen wir auf die Web-Seite https://www.sternschanze1942.de, dazu poste ich auf meinem Facebook und Twitter-Account. Ich weiß, dass ich damit nicht meine Nachbarn erreiche, aber andere können reflektieren, wie konzentriert wir uns um das Erinnerungsgeschehen versuchen, zu bemühen.

2019 hatten wir das erste Mal eine Kundgebung zu den Novemberpogrome im Kleinen Schäferkamp im Weidenviertel organisiert. Jetzt war es zum vierten Mal.

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