Aktuell beschäftigt unsere Gesellschaft die großen Herausforderungen der Corona-Pandemie und sicher auch die politischen Maßnahmen, die zu ihrer Bewältigung ergriffen wurden (und noch werden müssen). Darum geht es mir im Konkreten aber nicht, auch wenn ich mir persönlich wünsche, dass Corona 2022 eine normale Erkältungskrankheit wird und es keine Menschen mehr in Folge einer Infektion sterben müssen.
Mir geht es in diesem Anschreiben um die NS-Zeit bei uns im Viertel, konkret um die Schanzenstraße 2 – 4 bzw. um die Schule Ludwigstraße 7/9. In der Schanzenstraße 2 – 4 befand sich früher das Hotel Adler. Im Internet findet sich ein Bild, das das Gebäude 1908 zeigt. In der Ludwigstraße 7/9 befand sich schon immer eine Schule. Heute gehört sie zur Ganztagsgrundschule Sternschanze in der Schanzenstraße bzw. Altonaer Straße.
Schanzenstraße 2 – 4
Bei der Recherche zu verschiedenen Häusern im Schanzenviertel bin ich u.a. darüber gestolpert, dass es eine besondere Geschichte zu beiden Orten gibt. So wurde z. B. von hier der Einsatz einer Gruppe von Kriegsgefangenen in Hamburg organisiert. Dabei handelte es sich konkret um die so genannten „Kriegsgefangenen Bau- und Arbeitsbataillione“, die unter Verantwortung der Nazi-Wehrmacht standen. Die insgesamt 600 Kriegsgefangenen dieses Kommandos (1/2.3) selbst waren in einem Lager in der Flottbeker Chaussee 80 untergebracht. Sie wurden vor allem zum Bunker- bau und der Beseitigung von Bombenschäden eingesetzt. Einige wenige wurden zum Ersatzwohnungs-, Kellerausbau eingesetzt oder für Löscharbeiten. In der Stadt Hamburg waren Anfang 1942 insgesamt 13 diese Gefangenen-Formationen mit 4.660 Soldaten eingesetzt worden. Es gab auch ein Kriegsgefangenenlager in der Sternschanze, dessen Standort bisher nicht ermittelt werden konnte. Dort hausten ungefähr 40 französische Kriegsgefangene.
Die Kriegsgefangenen in den Arbeits- und Baubataillionen mussten unter schwierigen Bedingungen arbeiten. In einem Bericht der verantwortlichen Stelle für deren Einsatz (AkE) vom 7. Juli 1942 heißt es beispielhaft, dass der „langanhaltende und strenge Frost und anhaltende Winter“ (1941) sich auf deren Einsatz ausgewirkt hätte. „In vielen Fällen stand kein Schuhwerk für die Kriegsgefangenen zur Verfügung. Die Zahl der Erkrankungen war besonders hoch.“ Die Empfehlung war dann, sie nicht mit Samthandschuhen anzufassen.
Das Hotel Adler verlor mit Kriegsbeginn seinen Charakter als Beherbergungsort. Ab 1941 wurden dort 137 dänische Arbeitsmigranten untergebracht, die aus dem besetzten Dänemark „angeworben“ worden waren. In Hamburg gab es über 6.000 dänische Arbeitskräfte. Deutschland hatte im Mai 1940 Dänemark besetzt. Das dortige Königshaus wie deren Regierung arbeitete mit den Nazis, sodass sie im Amt bleiben konnten. Die dänischen Arbeitskräfte wurden mit Versprechungen nach Deutschland gelockt. Tausende wollten später zurück, konnten aber Deutschland nicht verlassen, weil sie nicht über die entsprechenden Dokumente zur Ausreise verfügten und an der Grenze zurückgewiesen wurden. Sie mussten zu ihrem Arbeitsort zurück. Manche wurden von der Grenze direkt ins Zuchthaus Fuhlsbüttel oder im KZ Neuengamme überstellt und inhaftiert.
Gefunden habe ich auch die Namen von 54 sowjetischen Zwangsarbeitern, die 1941 aus ihrer Heimat nach Deutschland verschleppt worden waren. Soweit ich das klären konnte, waren sie von Juli und September 1941 bis zum 3. Mai 1945, dem Tag der Befreiung, in Hamburg und mussten auf der Werft von Blohm & Voss in der Rüstungsproduktion arbeiten. Da die Sowjets zu den „unzivilisierten Slawen” gehörten, wurde mit ihnen besonders übel umgegangen. Ich konnte leider nicht klären, was aus ihnen in der Schanzenstraße 2 – 4 wurde. In Hamburg kam die größte Gruppe verstorbener Zwangsarbeiter in der NS-Zeit aus der Sowjetunion. Diejenigen aus dem Hotel Adler wurden im Laufe des Jahres 1941 in eines der größten Zwangsarbeitslager in der Jungiuswiese/Bei den Kohlhöfen untergebracht (heute Messehallen).
Schule Ludwigstraße 7/9 und Eduard Stoffenberg
In der Schule Ludwigstraße war bereits im Januar 1943 der Schulbetrieb eingestellt worden. Es gab ein Programm, möglichst viele Schule zu räumen, um sie als Notunterkünfte verwenden zu können. Die Schulkinder sollten möglichst in die Kinderland- verschickung. Zuerst wurden Turnhallen geräumt, später ganze Schulen. Insgesamt waren 198 Obdachlose in diesen Schulräumen untergebracht worden. Unter ihnen waren auch acht französische zivile Zwangs- arbeiter, die später ebenfalls ins Lager Jungiuswiese/Bei den Kohlhöfen untergebracht waren.
Ein wenig beachtetes Thema über die NS-Zeit ist der Umgang der Nazis mit Obdachlosen. Eduard Stoffenberg, am 1. März 1888 in Lübbecke geboren, war einst Hafenarbeiter. Er kam am 4. Dezember 1943 aus dem Lager Dammtor in die Ludwigstraße 7/9. Von der Hamburger Polizei wurde er wegen seiner Obdachlosigkeit und wegen “Arbeitsvertragsbruchs” am 20. Mai 1944 festgenommen und am 23. Mai 1944 im Gefängnis Fuhlsbüttel überführt. Von dort wurde er zum 1. Oktober 1944 ins so genannte Arbeitserziehungslager (AEL) Wilhelmsburg eingewiesen. Diese AEL waren eine Vorstufe zum KZ. Hier wurden die Menschen durch Arbeit und Aufseher gequält, was nur diejenigen überstehen konnten, die dazu gesundheitlich in der Lage waren. Am 11. November 1944 wurde Eduard Stoffenberg ins Gefängnis in der Straße Hütten eingewiesen. Sechs Tage später wurde er von dort ins Hafenkrankenhaus eingeliefert, wo er am 19. November verstarb. Diese Gestapo gab die Anweisung, dass solche Häftlinge nicht mehr ins Krankenhaus einzuweisen seien – was bedeutete, sie einfach sterben zu lassen.