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Holger Artus

Vor 50 Jahren endete „Mehr Demokratie wagen“ in Hamburg – am 23. November 1971

Am 23. November 1971 fasste der Hamburger Senat unter dem Hamburger Bürgermeister und SPD-Hartliner, Peter Schulz, einen fatalen und furchtbaren Beschluss, der die demokratischen Rechte in der Bundesrepublik massiv einschränkte und damit den Beginn der Berufsverbote im öffentlichen Dienst einläutete.

In einer „Grundsätzlichen Entscheidung“ stellte der Senat fest, „dass die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei politischen Aktivitäten des Bewerbers in rechts-oder linksradikalen Gruppen unzulässig ist. Dies gilt nach Auffassung des Senats erst recht im Erziehungsbereich und jedenfalls dann, wenn der Betreffende in den genannten Gruppen besonders aktiv ist.“ In der Folgezeit wurden Referendare:innen, die Mitglieder der DKP waren nach ihrem zweiten Staatsexamen nicht zu Beamten auf Probe ernannt. Bereits im Juli 1971 war im sozialdemokratischen Bremen Horst Holzer die Ernennung zum Professor an der dortigen Universität verweigert worden, weil er Mitglied der DKP war. 

Zwei Monate später, am 28. Januar 1972, beschlossen die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler, der Sozialdemokrat Willy Brandt: „Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt.“ Es folgte das schlimme Konstrukt, dass wenn Zweifel (!!) am Eintreten der Bewerber für die freiheitlich-demokratischen Grundordnung besteht, sie „in der Regel (!!) eine Ablehnung des Antragstellers“ rechtfertigen. Nach dem gleichen Grundsatz sei es möglich, die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst anzustreben. Dazu bediente man sich der Erkenntnisse der Verfassungsschutz-Ämter, um über die „Regelanfrage“ eine Aussage über die „Verfassungsfeindlichkeit“ eines Bewerber:in treffen zu können. Die DKP hatte sich 1969 gegründet, die sich zum Grundgesetz bekannte. In ihrer damaligen Gründungserklärung vom September 1969 hieß es: “Auf der Basis der im Grundgesetz proklamierten demokratischen Prinzipien ringen wir um die demokratische Erneuerung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens… Wir trachten danach, die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit in der Bundesrepublik mit den im Grundgesetz verkündeten demokratischen Prinzipien in Einklang zu bringen.”

Für mich als Jugendlicher war es damals ein Schock, dass in Zeiten des Aufbruchs unter einer SPD-geführten Bundesregierung es zu so einer Einschüchterung linker und demokratischer Kräfte kam. Auch wenn ich zu Beginn der 1970er Jahre noch wenig mit dem Begriff des „Antikommunismus“ inhaltlich und politisch anfangen konnte, begann für mich die Trennungsphase im eigenen Land vom Glauben an einen demokratischen Aufbruch – von wegen „mehr Demokratie wagen“. Ich fand es toll, dass ein Kissinger verschwinden musste,  war empört über den Vietnam-Krieg der USA und der Feigheit meines Umfelds, sich nicht gegen ihn zu stellen. „Vatis Argumente“ von Franz Josef Degenhardt war eines meiner ständigen Lieder auf dem Uher-Recorder. Die vorbehaltlose Unterstützung der Großen Koalition in Bonn für die dreckige Kriegsführung und danach der Brandt/Scheel-Regierung war bauchtechnisch die Fortsetzung der alten Politik, die ich für mich nur im kleinen als den alten Mief der Feigheit erlebte. Die USA hatten auch Bodentruppen nach Kambodscha geschickt und auch Laos bombardiert. Der Rassismus in den USA, die Ermordung Marthin Luther King, die Verhaftung von Angela Davis und der Terror der weißen Polizei gegen die Black Panther Party, das beschäftigte mich sehr. Das der FBI Angela Davis auf die Liste der zehn meisten Verbrecher der USA setzte, brachte mich auf die Palme. 

Anfang der 1970er Jahre erlebte auch, dass ein offenerer Umgang mit Schüler:innen durch die Lehrer:innen von den Eltern meiner Schule nicht unbedingt geteilt wurde. Allein, dass wir im Klassenzimmer im Kreis, nicht in Reih und Glied saßen, führte zu Misstrauen. Mein Klassenlehrer hatte einen ähnlichen Nachnamen wie (Erich) Honecker, also wurde er so zu Hause auch bezeichnet. Brecht, Böll, Bachmann und Nelly Sachs, dass fand man nicht gut. Natürlich war die Welt anders als ich sie sah oder sehen wollte. Bei einer Meinungsbildung in meiner Klasse über die Fünf-Prozent-Klausel waren wir zwei, die anderen fanden sie richtig. Ich fand nur, dass es undemokratisch sei. Die anderen aus unser Klasse folgten – wir waren 16 – der Mär vom links-rechts-Schemata und dem Blödsinn, das die Weimarer Republik durch die vielen Parteien zerstört wurden bzw, durch den Links-Rechts-Konflikt.

Willy Brandt, der vermeintliche Hoffnungsträger, hatte mich mit den Berufsverboten enttäuscht, trotz aller Attacken der CDU und ihrem späteren Mißtrauensantrag im April 1972 gegen seine Entspannungspolitik. Ich hatte keine Sympathie für die DDR, aber ich hatte erst Recht keine Sympathie für jene, die an der Aufrüstung festhalten wollten und dafür nicht nur den Krieg der USA in Vietnam unterstützen. Verständigung und Frieden mit den Nachbarn, das passte für mich mehr zu einer Politik des demokratischen Aufbruchs.

Ich habe den Tag nicht vergessen, als mein Nachbar Hartmut mir sagte, dass seine Verbeamtung in der Deportation Thema wird.  Er glaubte nicht, dass sie ihn auf Probe verbeamten werden, weil er in der DKP sei. Er war als Psychologe in der schulischen Einzelberatung tätig. Natürlich machte er sich Sorgen um seine berufliche Zukunft. Nach der Sitzung der Deportation und der Mitteilung, dass er nicht auf Probe verbeamtet wird, war die Welt nicht schöner geworden. Aber er hat sich nicht unterkriegen lassen, gesellschaftlich haben wir uns gegen die Berufsverbote gewehrt. 

Die Berufsverbote waren eine der schlimmsten politischen Entscheidungen der SPD gegen die Demokratie. Sie wurden nach 12 Jahren zwar von ihnen wieder aufgehoben, aber es waren 12 Jahre zuviel. Meine Entscheidung, einen anderen Weg zu gehen, als den Mainstream manch meiner Mitschüler:innen zu Jusos, wurde vor allem durch die Praxis der Berufsverboten gegen DKP-Mitglieder und anderen linke Lehrer bestimmt. Eine bis heute richtige Entscheidung. Vergessen habe ich auch nicht das gute Gefühl der ersten bundesweiten Demonstration gegen die Berufsverbote in Dortmund. Nicht kriechen, sondern Haltung und organisierte Gegenwehr.

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