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Holger Artus

Eine beginnende Sammlung

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In der Planung zur Kundgebung am 9. November 2020 im Weidenviertel ging es ursprünglich nur um einen Stadtteilrundgang. Das war ein Ergebnis der letzten Kundgebung am 9. November 2019 in einer Besprechung im Januar 2020. Bei der weiteren Debatte kam die Idee eine Kundgebung am 9. November 2020 vor der Weidenallee 10b, da hier eine jüdische Werkschule war, so eine Runde im Mai 2020.

Im Wochenrythmus kamen neuen Aufgabenstellungen hinzu und statt einer ruhigen Erinnerung und Mahnung ist jetzt eine komplexe Situation geworden. Es bleibt eine lokale Aktivität und wird nur begrenzt die Nachbarschaft erreichen, da mache ich mir keine Illusionen oder haben andere Erwartungen. Was uns in der Anlage der kommenden Aktivität emotional bewegt, werden wir nicht im Wohngebiet transportiert bekommen. Jetzt gehen wir in die Umsetzungsplanung, werden am Ende sehen, ob unsere Kommunikationsstrategie greifen wird. Teil der jetzigen Umsetzung ist die Web-Seite, auf der es jetzt einen neuen Abschnitt zu der Weidenallee 10b. Auch aus einem Satz. „Was sagt ihr eigentlich zur inhaltlichen Geschichte des Werkschulen-Konzept?“ sind jetzt mehrere geplante Texte dazu geworden. Der erste widmet sich der Geschichte des Hauses, weitere werden sich mit dem Schulkonzept, ihrer Schüler und Ausbildern widmen. Hier die Veröffentlichung über das Gebäude.

Die Ofen- und Herdfabrik A.F.M. Bohnhoff hatte dem Architekten Albert Lindhorst den Auftrag gegeben, eine Gewerbe- und weitere Mietshäuser auf seinen Grundstücke in der Weidenallee/Hinterhof 6 bis 12 zu planen. Im Hinterhof der Weidenallee wurde nicht nur die beiden Gebäude 8 und 10 gebaut, sondern auch drei weitere Terrassenhäuser, die es heute nicht mehr gibt.

Der Weg von dem Gewerbehaus auf die Weidenallee, an dem die Mietshäuser standen, führte 1910 die offizielle Bezeichnung „Rotermund-Passage”, später wurde daraus die „Bohnhoff- Passage”. Das Gewerbehaus nutzte Bohnhoff für seine Bauschlosserei. Insgesamt waren 2.000 qm Gewerbefläche mit Bau geschaffen worden. Im Erdgeschoss waren Pferdeställe. Neben den Pferdeställen befand sich die Herdfabrik Bohnhoff. Sie soll 1910 insgesamt 25 Beschäftigte umfassend haben, Bohnhoff belegte auch den 1. und 2. Stock. 

Weitere Mieter waren die Maschinen & Motorenfabrik Julius Bruhn GmbH, Hamburger Corsettfabrik GmbH, Internationale Goldfedernfabrik GmbH, Joh. Heinrich Plähn Steppdeckenfabrik, aber auch die Farbenfabrik Gustav Jerwitz, heute im Kleinen Schäferkamp (aber keine Farbenfabrik mehr). August Bohnhoff selber wohnte in der Weidenallee 6/Hinterhaus im Parterre. 

Mit Beginn des 1. Weltkrieges stellte Bohnhoff seine Produktion auf Großkochanlagen um und ab 1920 auch Schiffsküchen, was später auch Rüstungsaufträge beinhaltete.

Ab vermutlich 1935 zog die jüdische Werkschule in den 4. Stock der Weidenallee 10 b ein, später mietete man auch den 3. Stock dazu. Ab 1939 übernahm der Rüstungsbetrieb Wilhelm Schriever nach dem 2. Stock auch den 3. und 4. Stock komplett. Weitere gewerbliche Mieter im 2. Stock neben Bohnhoff waren die Hamburger Cartonnagen Fabrik Harry Smith und C. Huth & Co. Eisenwaren. Später wurde bis in die 1970er Jahre von einer „Schraubenfabrik“ verharmlosend gesprochen. Dabei war es unter den Nazis ein Rüstungsbetrieb, der 50 sowjetische Zwangsarbeiter bis 1945 ausbeutete. Die spätere Konzernmutter in NRW weigerte 2000, trotz umfassendes Einsatzes von Zwangsarbeitern, auch nur einen Cent in den Entschädigungsfonds der Bundesrepublik zu zahlen.

Im April 1945 beschädigten Bombentreffer das Fabrikgebäude. Die Herdfabrik Bohnhoff befand sich hier bis 1960. Dann verlagerte es die Produktion nach Lokstedt, heute sitzt das Unternehmen in Halstenbek.

1977 entdeckten sieben Kunst-Studierende die Weidenallee 10b. Später waren 21 Künstler/innen im “Künstlerhaus” in der Weidenallee 10b mit ihren Ateliers hier zu Hause. Es stellte in Hamburg ein erstes Modell eines in Selbsthilfe gestalteten Atelierhauses dar. Auf Eigeninitiative mehrerer Künstler wurden zu Beginn der 80er Jahre auf zwei Stockwerken Atelier- und Wohnräume eingerichtet. Zugeordnet ist ein großer Ausstellungs- und Veranstaltungsraum im Erdgeschoss. 

Seit dem 18. Juni 1984 steht das Gebäude und die umliegenden Häuser unter Denkmalschutz. Es umfasst die Gebäude Weidenallee 10a und 12 einschließlich der Freifläche mit Garteneinfriedung sowie die Häuser 6 – 8 sowie die Hoffläche mit den Pflastersteinen in der Zufahrt als Umgebung des damaligen “Künstlerhauses”. 

Nach Darstellung der Kulturbehörde handelt es sich um einen reinen Funktionsbau in Eisenbetonbauweise. Über fünf Geschosse, dessen Äußeres, abgesehen von der markanten Kranachse, auf jede zeittypische Detail verzichtet und sich auf das konstruktive Gerüst aus Pfeilern und Geschoßdecken beschränkt, in das Fensterbrüstungen und eiserne Sprossenfenster eingespannt sind.

Für die Bewertung Denkmalschutzgesetz stand bei der Entscheidung im Vordergrund der Beitrag zu den charakteristischen Eigenheiten des Stadtbildes. Als solcher ist die Gesamtanlage im Zusammenwirken mit dem Ensemble Agathenstraße denkmalschutzwürdig. Die Agathenstraße bilde mit dem gut erhaltenen, einheitliche Erscheinungsbild der Häuser von 1875 und ihren Vorgärten sowie dem geknickten Straßenverlauf und der Bausituation an der Schäferstraße ein überaus reizvolles und erhaltenswertes Ensemble.

Im Jahr 2003 verlor der Verein das Gebäude in der Weidenallee, da ein Privatinvestor es gekauft hatte, um dort teure „Lofts“ im „Szeneviertel“ Schanze anzubieten. Heute haben verschiedene Unternehmen wie Donkey Communication, dammannworks GmbH, Wiechmann Voss, +KNAUSS, EBERT ARCHITEKTUR, vingervlug, Sebastian Iwohn-Illustration, capitalmedia u.a. ihren Standort.

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