Die Verfolgung, später Deportation und Ermordung von jüdischen Menschen am Beispiel der eigenen Wohnstraße habe ich zum Thema einer Nachbarschafts-Info gemacht und bei uns im Wohngebiet verteilt. Auf der einen Seite ist diese Aktivität zweckgebunden, um einen Zugang zu einer Kundgebung am 15. Juli 2019 in der Nachbarschaft zu finden. Auf der anderen Seite möchte ich es aufschreiben, da ich bei jeder Recherche immer wieder beschämt bin, wie wenig man sich mit seiner Geschichte beschäftigt, die anderen viel Leid zugefügt hat. Hier die Info:
Liebe Nachbarinnen und Nachbarn,
wir möchten Sie und Euch auf eine Kundgebung am Montag, den 15. Juli 2019, 18 Uhr vor dem Bahnhof Sternschanze aufmerksam machen. Wir rufen mit anderen aus dem Viertel dazu auf.
Worum geht es?
Am 15. und am 19. Juli 1942 wurden über 1.700 jüdischen Frauen, Männer und Kinder über die Sammelstelle der damaligen Volksschule Schanzenstraße nach Theresienstadt deportiert. Über 6.000 jüdischen Menschen wurden aus Hamburg deportiert, vertrieben. Die meisten fanden den Tod.
Entweder wurden sie in die Ghettos deportiert oder in den Vernichtungslagern ermordet. Um Hamburg „judenfrei“‘zu bekommen, wurden 100 Häuser in der Stadt zu sogenannten Judenhäusern umfunktionalisiert. Mit der Kundgebung wollen wir über 70 Jahre danach zeigen, dass man das nicht vergessen darf. Wir wollen uns klar gegen Rechts und rechtspopulistische Kräfte positionieren.
Wo ist der Bezug zur Agathenstraße?
- Das Haus Agathenstraße Nr. 3 war seit 1902 ein jüdischer Stift. Es sollten “körperlich leidende oder ältere Frauen vorgezogen werden“, in den acht Wohnungen zu leben. Die Verwaltung des Hauses übernahm die Jüdische Gemeinde. An ihre Bewohner/innen erinnern heute Stolpersteine, die vor dem Haus in den Gehweg eingelassen sind – Mieter aus unserer Straße sind bereits deren Paten. Das Stift wurde 1941 zwangsweise in ein so genanntes Judenhaus umfunktioniert und über 58 Menschen wurden auf die Wohnungen aufgeteilt. Am 15. Juli 1942 wurden 25 von ihnen ins KZ Theresienstadt deportiert. Danach wurde das Haus verkauft. Im Dezember 1942 schließlich wurde das Haus an die (Nazi)Stadt Hamburg zwangsverkauft.
- In der Agathenstraße Nr. 6 wohnte Regina Behr. Sie wurde am 18. November 1941 nach Minsk deportiert.
- In der Agathenstraße Nr. 7 hatte Heimann Freundlich eine Klempnerei-Werkstatt. Er musste sein Handwerk zum 31. Dezember 1938 aufgeben und wurde am 8. November 1941 ebenfalls nach Minsk deportiert und dort ermordet.
- Wenn Sie vor dem Parkplatz der Firma Werbeck zwischen der Häusern mit den Hausnummern 4 und 6 stehen, schauen Sie auf einen Gewerbehof (Weidenallee 10 a/b). Bis 1941 war hier eine jüdische Ausbildungswerkstatt. Nach der Deportation des Ausbildungsverantwortlichen, Jakob Blanari, wurde die Tischlerausbildung eingestellt. Danach wurden in der Schraubenfabrik G. Schriewer im 3. und 4. Stock Zwangsarbeiter zur Kriegsproduktion beschäftigt.
- Im Umkreis der Agathenstraße sind noch vier weitere Judenhäuser (im Kleinen Schäferkamp und in der Schäferkampsallee), zwei Zwangsarbeiterlager und zwei Unternehmen, die Zwangsarbeiter ausbeuteten.
Was wollen wir?
Wir würden uns freuen, wenn Sie mit uns zusammen an dieser Kundgebung teilnehmen. Wer alles aus unserem Viertel dazu aufruft, können Sie auf der Web-Seite www.sternschanze1942.de erfahren wie auch weitere Details über die Geschichte jüdischen Stifte in unserem unmittelbaren Wohnumfeld.