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Holger Artus

Als Interessenvertretungen um Mehrheiten kämpfen

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In der Mediengruppe Magdeburg, im Kern die Volksstimme und das um sie geschaffene Geschäft, gibt es 2019, 21 Jahre nach dem Streik in der Druckerei der Magdeburger Volksstimme, keine betriebliche Interessenvertretung mehr. 31 Tage streikten die Beschäftigten der Volksstimme-Druckerei 1997. Der Kampf endete erfolgreich mit einem Haustarifvertrag, der den Flächentarifvertrag zum Gegenstand hatte.

2011 wurden die tarifgebundenen Drucker entlassen und der Auftrag an den neuen Druckmaschinen der Volksstimme an ein Unternehmen vergeben, der heute ein Unternehmen der Bauer Media Group ist. Seit 2013 ist die Volksstimme in Magdeburg eine Betriebsrats- und tariflose Zone. Der letzte Betriebsrat am Magdeburger Standort, in der Mantelredaktion, wurde durch eine weitere Zergliederung der Redaktion, abgebaut.

Die Zeitungsgruppe der Bauer Media Group beschäftigt in Magdeburg nach eigenen Angaben 1.000 Arbeitnehmer/ innen. „Als Dachmarke bündelt sie alle reichweiten- und zielgruppen- orientieren Einzelmarken dieses Verbundes. Dazu zählen insbesondere: Volksstimme, General-Anzeiger, biber post, biber ticket, mm regioscan und „Mein“-Produkte in klassischer und digitaler Ausprägung. Über diese Marken erreicht die Mediengruppe 600.000 Haushalte.“

Zum 1. Februar 2013 wurde die in Magdeburg ansässiger Mantelredaktion aufgelöst und redaktionellen Einheiten werden in mehrere unternehmerische Strukturen aufgelöst. Der letzte Redaktionsbetriebsrat wurde durch diese Maßnahme „entsorgt.“ Über einen längeren Prozess hatte sich das Unternehmen die tariflichen Rechte auf Basis des Individualvertrages in verschiedenen Formen abgekauft und darüber die Einkommen reduziert. Somit dürfte es keine Redakteure mit einem tariflichen Arbeitsvertrag geben.

Das tarifgebundene Druckzentrum Barleben, wurde im Rahmen einer Neuinvestition in die Drucktechnik 2011 abgewickelt. Zum 31. August 2011 wurde das alte Druckzentrum Barleben bzw. deren Arbeitnehmer abgekündigt. Der Druckauftrag wurde an ein heute der Bauer Media Group gehörenden Druckerei übergeben. Durch diese Maßnahme gab es keine tarifgebundenen Drucker.

An dieser Stelle geht es nicht darum, was sich Arbeitgeber alles einfallen lassen können bzw. die sie beratenden Kanzleien. Es ist einfach normal, war es und ist es. Es ist bitter, dass es keine Interessenvertretungen mehr gibt, bei 1.000 Beschäftigten (ohne die Zusteller/innen). Bei Tage betrachtet ist es schwer, sich in immer kleineren Einheiten zu organisieren, Arbeitnehmer/innen für einen Wahlvorstand oder den Betriebsrat zu gewinnen.

Bei historischer Betrachtung muss man vermutlich auch sagen, dass ein Interessenvertretungsmodell wie es die Gewerkschaft vor heute im Blick haben, so wie es sich im Fordismus der 1970/1980 Jahre herausgebildet hat, die Trennung von Betriebsrat und Gewerkschaften, kein tragfähiges System mehr für die Arbeiterbewegung heute ist. Es war eine Wachstumszeit, die Unternehmen brauchten die Drucker, um ihr Geld zu horten. Es ging noch nicht um einen so genannten Verdrängungswettbewerb.

Es war ein tragfähiges, wie gängige System, solange die Fläche Tarifverträge und der Betriebsbegriff, wie es auch im Betriebsverfassungsgesetz verankert ist, zusammen fiel. In der Nach-fordistischen Zeit hat sich die Unternehmensorganisation geändert, in den Printmedien gibt es im Druck- und Zeitungsbereich eine anhaltende Phase der Konsolidierung. Hinzu gekommen ist ein historischer digitaler Umbruch, der insbesondere die Zeitungen und ihre Druckereien erfasst Die Unternehmen sprechen von einer sogenannten flexiblen Form ihrer Unternehmensorganisation und meinen damit kleine Einheiten, die die Sozialauswahl faktisch zerlegen, so dass man nur noch über den Abbau und seine Folgen verhandelt, wenn überhaupt. Es geht um ein leichtes „hire and fire“, die Loslösung der Tarifbindung durch Neuorganisation, ohne den Tarifvertrag zu kündigen.

Mehr den je geht es darum, Mehrheiten für eine engagierte Arbeit der Interessenvertretung zu gewinnen und sie zu beteiligen. Das Bild, dass es bei der Bauer Media Group und natürlich auch in Magdeburg mit Interessenvertretungen „böse“ zugeht, hat nicht geholfen, Menschen zu erreichen und sie bei bedrohlichen Veränderungen zu mobilisieren. Es wurde viel zu häufig das Bild des „letzten Gefechts“ bedient. Schaut man sich nicht mit der Perspektive Barleben oder Magdeburg, sondern mit Blick auf die Gesamtheit der Interessenvertretungen in der Mediengruppe, kann man heute, nach der Auflösung des alten klassischen Betriebes in den 1970er historisch festhalten, dass die Gewerkschaften die Verlierer sind. Die Betriebsräte werden weniger, auch die Zahl deren Mitglieder die gewählt werden könnten. Betriebsratslose Betriebe sind keine reine Erscheinung in Magdeburg oder Barleben. Das hat sicher viele Gründe, aber es hat auch etwas damit zu tun, dass man keine eigene Interessenvertretungstrategie verfolgt, sondern sich vom Tagesgeschehen aufstellt, sich von Thema zu Thema hangelnd. Die Gewerkschaften haben sich längst aus den Betrieben als Thema ihrer Basisarbeit zurückgezogen.

Das Bild, dass die Unternehmenseigner gerne generieren, das sie sich hart gegenüber Betriebsräten verhalten und nur minimale Regelungen abschließen, war und ist eine strategischer Fehler. Man darf dem Unternehmen nicht sein Bild überlassen, vielmehr muss man versuchen, es zu prägen, aus Arbeitnehmersicht und am Markt. Das Bild, das man ohnmächtig, der Arbeitgeber übermächtig, hat uns früher nicht geholfen, wenn wir Mehrheiten binden wollen.

Schaut man sich in der ostdeutschen Zeitungswirtschaft um, wie z.B. bei Gruner+Jahr in Dresden oder bei DuMont in Halle, so bedarf es einer Strukturierung der Interessenvertretung. So wurde in Dresden zwar auch auf Teufel „flexibilisiert“, aber es gelangt gleichzeitig, eine Regelung mit dem Unternehmen über eine Standort-Vertretung der vielen kleinen Betriebsräte zu treffen. In Halle hat man sich trotz Ausgliederungen in einem gewissen Umfang am alten Betriebsbegriff ausgerichtet, um Arbeitnehmer/innen und ihre Interessenvertretung zu binden. Dieser Weg nach besondere Gründe haben. Aber in Zeiten der Umbrüche, in der Interessenvertretung auf sein Klientel reduziert zu wird, das eine sehr kleine Gruppe von Beschäftigten darstellt, muss man sich die Frage des Weges einer neuen autonomen Bindungsfähigkeit stellen. Da hilft die Phrase alleine nicht weiter. Sie greift, wenn es brennt und man sich vorher Mehrheiten erarbeitet hat.

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