Ansichten

Holger Artus

Die Tarifrunde der Zeitungsredakteure war weder eine um die Pressefreiheit noch war sie punktuell historisch

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In der Ausgabe 10/2011 der Zeitschrift Sozialismus wird ein Artikel von Gerd Manthey, ver.di-Fachbereichssekretär in Baden-Württemberg, mitgenommen und die Tarifauseinandersetzung der Zeitungsredakteure bewertet. Politisch-moralisch ist es richtig, in dieser Zeitschrift über die vielfältigen Tarifrunden zu informieren bzw. sie vor allem zu interpretieren. Was hier allerdings geschrieben wird, ist einfach Unordnung und auch schönreden von gewerkschaftlichen Defiziten. Insofern setzte ich mich polemisch damit auseinander.

Es war eine Tarifauseinandersetzung um eine Gehaltserhöhungsforderung von 4 %  und Gegenforderungen von den Arbeitgebern nach niedrigen Einstiegsgehältern für Neueinstellungen und die Reduzierung von Jahresleistung bzw. Urlaubsgeld bei allen Zeitungsredakteure.

1. Zu keinem Zeitpunkt war es eine Auseinandersetzung um die Pressefreiheit. Sie stand nicht zur Debatte, es gab keine Forderung zu diesem Thema. Es gab keine Aktionen gegen Erscheinungsformen der Pressekonzentration. Das gewerkschaftliche Argument der Verteidigung der Pressefreiheit bezog sich auf die Arbeitsbedingungen von Zeitungsredakteuren und unterstellte, dass sie ein wichtiges Element für journalistische Qualität sind. Dieser Aspekt war zur Mobilisierung ein gewerkschaftliches Hilfsinstrument und dabei sollte es auch bleiben. Solche Formen der Agitation, der moralischen Bindung von Streikbereiten für eine gerechte Sache, gibt es in (fast) jedem Arbeitskampf wie es taktisch gegenüber den Arbeitgebern natürlich eingesetzt wird und auch schön in dieser Auseinandersetzung eingesetzt werden konnte.

2. Das von Manthey als „historisch“ angeführtes Beispiel mit den regionalen Streiks ist höchstens Ausdruck der weiteren Schwächung von ver.di. 2004 wurde flächendeckend in den Zeitungsredaktionen über 24 Tage gestreikt. Bis zu einem Drittel weniger Redaktionen waren 2011 im Streik. Und 2004 waren es mehr Streiktage als 2011. Es gab und gibt in ver.di eine abenteuerliche Debatte um die Zukunft der Tarifverträge bei den Zeitungsredakteuren. Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass ein regionaler Tarifvertrag besser sei als in der Fläche. Das ist natürlich Quatsch. Damit würde ein Grundsatz in der Tarifwirkung verlassen werden, dass die Starken für die Schwachen die Bedingungen sichern. Konkret gab es auch eine verhandlungstaktische Situation: die Tarifverhandlungen wurden in verschiedenen Bundesländern in die Hauptferienzeit geschoben! Damit war ein flächenweites Vorgehen nicht möglich. In Bayern hatte es eine Urabstimmung gegeben, aber keinen Streik, eben weil es die Hauptferienzeit war. Ein Streik hätte Aktionsbetriebe gekostet, so die Einschätzung aus Bayern, weshalb man nach der Urabstimmung nicht gestreikt hat.

3. Der Kern des Tarifergebnisses war der strukturprägende Abschluss in der Druckindustrie, an dem auch fast alle Zeitungsverleger beteiligt waren. Aus Sicht eines Streikbeteiligten ist der Hinweis, dass es ein Zufall war, das Drucker, Angestellte und Redakteure zusammen gehandelt hätten, ein schlechter Witz. Bewusst lieft die Tarifrunde unter dem Titel „Tarifrunde Print“, ob nun Drucker, Angestellte oder Redakteure. Die Web-Seite von ver.di zu diesen Auseinandersetzungen in 2011 hatte z.B. den gleichen Namen.

4. Die Zeit weißt zu Recht darauf hin, dass die sozialen Netzwerke auch Ausdruck der Beteiligungshaltung der Menschen sind. In dieser Tarifrunde Print waren die sozialen Netzwerke neue Begleitmusik, ohne die kommende nicht mehr zu führen sein dürften. Mehr noch, bedient ver.di diese Medien nicht, werden sie dennoch die Massen erreichen. Die bisherige Strategie, über die Web- Seite inaktuelles und gefiltertes Zeugs zu publizieren, ist gescheitert. Wir haben ver.di nicht nur den Traffic auf ihren Seiten abgenommen Ü was nicht beabsichtigt war, sondern wir haben uns über die verschiedenen sozialen Netzwerke abgestimmt. Betriebliche Akteure haben insbesondere in der Redakteursrunde in einer Minute einen WordPress-Blog aufgebaut und die Interessierten haben geklickt. In der Öffentlichkeitsarbeit waren die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und wordpress-Blogs der i-Punkt. Manthey erwähnt es gar nicht erst. Die regionalen ver.di-Seiten aus BaWü zur Zeitungsrunde sind mit Beginn der Urabstimmung, also der direkten Konfrontation, einfach eingeschlafen, die gewerkschaftliche Stimme war hier nicht mehr zu lesen. Aus den verschiedenen betrieblichen Abwehrkämpfen in der Druckindustrie wissen wir um die Abstimmung mit den Füßen unter unseren Mitgliedern (wie wir wissen, dass viele diesen Medien skeptisch gegenüber stehen). Sie haben sich mit einfachen Mitteln ihre geschlossenen Diskussionsforen gebaut, zu denen nur Zugang hatte, wer von ihnen rein gelassen wurde. Sie waren ein wenig der Vorläufer der sozialen Netzwerke wie Facebook, weil es eben um den Betrieb, aber auch andere Dinge des Alltags ging. Sie hatten mehr Zugriffe als ver.di zu den Themen. Die Frage der Beteiligung steht nach wie vor hoch und alles Gerede in ver.di um die Bedeutung der Beteiligung, sie wird faktisch nur deklariert, aber nicht hinreichend praktiziert, von einer strategischen Ausrichtung ganz zu schweigen.

5. Ärgerlich ist die Argumentation zur Streikwirkung. Man könne keine unmittelbare Wirkung erzielen bezüglich der Zeitungsproduktion und die Wirkung, die man erreichen kann, sei das schlechte Image der Zeitungsverleger. Beides erscheint mir abenteuerlich. Streiks erzielen auch unmittelbare Streikwirkung, man muss sich nur damit beschäftigen. Es ist sogar möglich, das Produkt voll zu erwischen, allerdings muss man sich damit gezielt befassen. Am Ende zählt nur der materielle Druck. So können wir nicht mit unseren Mitgliedern und Kollegen umgehen. Die politische Aktion vor und während einer Tarifrunde, das gemeinsame agieren, nicht vereinzelt, sondern in größtmöglicher Breite, sind natürlich wesentlich, wenn es darum geht, Mehrheiten einzusammeln und die Verleger in die Isolationszeile zu führen. Dabei ist unser Fokus die Belegschaft. Demonstration von Stärke und Entschiedenheit sind ebenfalls Formen der Auseinandersetzung, um auch materiellen Druck aufzubauen. Bei der Frage, ob man das Image der Verleger in Tarifauseinandersetzungen angehen sollte und es ein Ziel der Streikaktivität sein sollte, so muss diese eindeutig mit nein beantworten, man muss zwischen Binnen- und Außenwirkung unterscheiden. Was hier argumentiert wird zur Streikwirkung, ist Ausdruck von Hilfs- und Erfolglosigkeit. In zentralen Auseinandersetzungen ist das eine Frage der Gesamtanlage des Vorgehens und der Kommunikationsziele.  Sicher ist es Teil der Öffentlichkeitsarbeit und gehört zur handwerklichen Arbeit einer Gewerkschaft, aber ihre Wirkung erreicht sie nur, wenn man sich Ziele gegeben hat und die Instrumente richtig einsetzt. In dieser Arbeit kann man betriebliche Fragenstellungen aufgreifen, aber das Wesen ist die Gesamtstrategie. Die Zeitungsverleger waren in der öffentlichen Auseinandersetzung sehr gut aufgestellt und in fast allen Fragen bei der Themengebung und Übelegung führend. ver.di hat ihnen diese Wiese einfach überlassen, dabei hätte es Spaß gebracht, in diesem Teil der öffentlichen Auseinandersetzung das Image anzugehen.  Dort, wo die Verleger nichts zu sagen haben und wo es nicht ihre Zielgruppe war, konnten sie natürlich nicht überzeugen.

Ein anderes Kapitel ist, wie man in einer Auseinandersetzung betrieblich die Menschen für die Ziele begeistert und bindet. Unsere Sache war nicht nur gerecht, wir waren glaubwürdig. Mit den Gegenforderungen der Arbeitgeber wurde diese Haltung gestärkt, dass kam uns sehr zu gute und war ein strategische Fehler der Arbeitgeber. Die zentrale (betriebliche) Größe ist unsere Glaubwürdigkeit. Diese beruht vor allem auf der faktischen Stärke, der Sachlichkeit, Klarheit und Transparenz. Auf einem anderen Zettel steht, dass ein professionelles und geplantes Vorgehen in der Öffentlichkeit in ver.di nur schwer möglich ist, da die Voraussetzungen nicht gegeben sind.

6. Die Druckindustrie und Zeitungswirtschaft befindet sich in einer Konsolidierungsphase. In der Druckindustrie kann man das z.B. an den Insolvenzen sehen, auch wenn sie nur eine Erscheinungsform sind. Eine Zeitung geht nicht insolvent oder wird eingestellt, auch wenn ver.di-Vertreter und Arbeitgeber gleichermaßen dieses Szenario immer wieder gerne an die Wand malen. Erkennbare Erscheinungen der Konsolidierung in der Zeitungswirtschaft sind es vor allem die Übernahmen der letzten Jahre durch DuMont Schauberg (Berliner Verlag, Hamburger Morgenpost), Madsack (Leipziger Volkszeitung, Ostsee-Zeitung, Lübecker Nachrichten, Kieler Nachrichten), die Süddeutsche (Abendzeitung München und der Verkauf der Abendzeitung Nürnberg) oder die Übernahmeauseinandersetzungen um die Aachener Zeitung. Der Umbau der WAZ-Zeitungen in NRW ist auch ein Indiz für diesen Prozess. Verschiedene Zeitungstitel werden aktuell als Kaufobjekte gehandelt. In der Zeitungswirtschaft erscheint die Konsolidierung in Teilmärkten wie im Zeitungsdruck, z.B. in dem man mit Wettbewerbern eine gemeinsame Druckerei neu baut. Im Vertrieb, wo sich abzeichnet, dass das bisherige Vertriebssystem in Gefahr besteht pulverisiert zu werden, der Konzentration unter den Zeitungsspediteuren auf eine kleine Gruppe oder die sich langsam abzeichnende Verbreitung der Zeitungen durch Nationalvertriebe statt über die Vertriebsabteilungen der eigenen Unternehmen. Im Anzeigenmarkt kann man diesen Konsolidierungsdruck in der aktuelle Debatte um einen nationalen Vermarkter der überregionalen Werbekunden unter den regionalen Abo-Zeitungen (heute machen es 70 % der Verlage selber) erleben oder im Anzeigen-Satz durch Zentralisierung von Tätigkeiten an einem Standorten für ganze Gruppen.  Es kommen technische Systeme zum Einsatz, die die Zeitungsproduktion der Redaktionen von x-beliebigen Standorten erleichtern. Die IT-Landschaft in den Verlagen wird sein Jahren restrukturiert, da die Bedeutung der Technik für die Verlage weiter wächst Ü und damit auch die IT-Kosten – insgesamt. Im Internetgeschäft verfügen alle großen Zeitungsgruppen über Venture- Unternehmen, um sich das know how zuzukaufen. Die Redaktionsgemeinschaften und andere Kooperationsformen bringen diesen Prozess ebenfalls zum Ausdruck.

7. Die Arbeitnehmer erleben diesen Prozess über Firmenausgründungen und Tariflosigkeit, durch Fremdvergabe, durch OT-Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband, Prozessoptimierung und betriebsbedingten Kündigungen. Die von den Verlegern kläglich aufgebauten Neugeschäfte erfolgen über Neugründungen und ebenfalls tariflos. Die Auseinandersetzungen um die Anteile am Werbemarkt, zwischen TV, Radio, Plakat, Zeitung und Zeitschrift finden unter den Bedingungen neuer Wettbewerbsmedien wie eben der Sozialen Netzwerke oder Ü schlagwortartig Ü google statt. Technische Innovationen wie Tablet-PC oder Smartphones greifen beide Geschäftsmodelle der Verlage, den Verkauf der Zeitung und der Anzeigenfläche an. Wer nicht am Wachstum des Werbemarktes im Netz beteiligt ist, merkt es in seinem klassischen Anzeigenverkauf, sprich sinkende Werbeumsätze.

8. Der Hinweis von Manthey, dass viele Arbeitsplätze über Jahre abgebaut wurden, trifft aber so pauschal nicht zu. In den Verlagen wurden die in der letzten Krise 2001/2003 abgebauten Arbeitsplätze bis zur Krise 2008/2009 wieder aufgebaut. Die Redaktionen waren bereits in der letzten Krise von dem Abbauprozess so gut wie gar nicht betroffen, von Ausnahmen einmal abgesehen (z.B. die FR). Es sind vor allem die Verlagsangestellten, deren Arbeitsplätze reduziert werden, nicht die der Redakteure. Es hat bezogen auf den Beschäftigtenindex im Verlagswesen im 1. und 2. Quartal keine Veränderungen 2010 zu 2011 gegeben. Die Verleger wissen schon um ihr Geschäft und die Bedeutung der Redaktionen. In den 2.9000 Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen sind 146.000 Arbeitnehmer insgesamt beschäftigt. Eine qualitative Auswertung der Arbeitsplatzveränderungen in den Printmedien über die letzten 10 Jahren wäre sicher wünschenswert, um zu überprüfen, welche Prozesse zu welchen Problemen führen. Vor allem würde so etwas die Spekulationen beenden, was ist und war und was nicht.

Aus all diesen Prozessen in den Zeitungsverlagen ergeben sich Herausforderungen für ver.di. Die Reduzierung auf die tarifliche Normierungskraft über die Druckindustrie wird nicht mehr lange halten. Der Organisationsgrad in den Redaktionen und Verlagen ist sehr gering, ver.di wird hier kaum nennenswerte Teile in den deutschen Zeitungsredaktionen organisiert haben. Die organisationslosen Neugeschäfte oder Ausgründungen schieben ver.di noch weiter weg von den Verlagen und den dort tätigen Menschen. Irgendwann wird der Begriff Tarifgebunden für die dort Beschäftigten noch nicht mal eine gefühlte Errungenschaft darstellen, also schwieriger in der Neuansprache. In der Tarifrunde Print wurde groß schwadroniert, dass man das Thema Leiharbeit angehen will. Geändert hat sich faktisch nichts bzw. die organisationspolitische Lage ist schlechter geworden. In allen Kernprozessen in den Printmedien gelingt es den Verlegern, uns in der Hauptsache heraus zu drängen. Zweifelsfrei sitzen wir noch in den strukturprägenden Teilen, aber andere Verleger zeigen auch, wie man ver.di dort aus dem Geschäft haut, wie z.B. in der Volksstimme in Magdeburg. Und: Unser Organisationsgrad sinkt insgesamt in den Printmedien, nur in der Verlagswirtschaft, unter den klassischen Angestellten, gibt es eine langsame Kurve nach oben. Dazu kommt noch, dass die organisationspolitische Betriebsarbeit von ver.di in den Printmedien seit Jahren auf einem schwierigen Stand ist und sich weiter verschlechtert hat. Eine auf halten der Kernbereiche ausgerichtete Strategie greift schon heute nicht mehr, man muss sich gezielter auf die Veränderungsprozesse einlassen und sich selber organisieren. Schönreden von Erfolgen hilft da auch nicht.

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