Ansichten

Holger Artus

Über einen Kriminalbeamten, der in Kopenhagen als Kriegsverbrecher (1948) verurteilt, in Hamburg (1952) rehabilitiert wurde

| Keine Kommentare

Willi Rosenberg war einer von Zehntausenden Ermordeten in den „Pflegeanstalten“ der Nazis bis 1945. Er war Sinto und Epileptiker. Damit stand zum Zeitpunkt seiner Verhaftung 1939 sein Schicksal fest. Am 12. Oktober 1943 kam er in der Mordstätte für Ausgegrenzte, in der „Heil- und Pflegeanstalt Hadamar“, ums Leben.

1939 war ein Hamburger Kriminalbeamter verantwortlich für die Verfolgung von Willi Rosenberg. In Dänemark wurde er später für seine Misshandlungen an sieben Dänen in Kopenhagen 1944/1945 als Kriegsverbrecher 1948 verurteilt, in Hamburg 1952 rehabilitiert.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 352-817 _26205

Ein erpresstes Geständnis 1939

Am 18. und 19. April 1939 wurde Willi Rosenberg vom Hamburger Kriminalbeamten Paul Nordenbruch vernommen. Rosenberg wurde verhaftet, weil er angeblich am 17. und 18. April 1939 auf dem Großneumarkt zwei Personen ein Stück Speck bzw. eine Handtasche erfolglos entwendet hatte. Für den angeblichen Versuch des Diebstahls einer Handtasche wurde er am 17. April noch mündlich ermahnt. Nach dem unterstellten zweiten Versuch am 18. April 1939, einem Passanten ein Stück Speck entwendet zu haben, wurde er verhaftet. Er und seine Familie wussten nicht, dass er nie mehr in Freiheit leben würde. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie in der Hamburger Neustadt in der Michaelisstraße beim Kleinen Michel.

Nach den ersten beiden Verhören durch den Kriminalbeamten Paul Nordenbruch widerrief Willi Rosenberg sein Geständnis. Er sei „mit Schlägen hierzu gezwungen worden.“ Den Widerruf kommentierte der Oberstaatsanwalt am Landgericht Hamburg am 28. Juni 1939: „Dieses Verhalten ist genauso unglaubwürdig wie es unverschämt ist“ und sprach bei seiner Anklage von „zwei Fällen schweren Verbrechens“.

Das AK St. Georg stellte am 8. Juli 1939 fest, dass er für die – von ihm bestrittenen – Taten wegen seiner Epilepsie nicht verantwortlich gemacht werden könne und schlug die Einweisung in eine Heilanstalt vor. Am 28. Juli 1939 kam er in die sogenannte Pflegeanstalt Langenhorn.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 232-5_1769

Am 8. August 1943 wurde Rosenberg mit 99 Patienten in die hessische Heilerziehungs- und Pflegeanstalt Scheuern (Nassau in Rheinland-Pfalz), eine Einrichtung der Inneren Mission – der evangelischen Kirche, deportiert. 25 dieser Männer starben in Scheuern. Ende September 1943 wurde diese Patienten in die „Pflegeanstalt“ Hadamar in Hessen verschleppt, wo Willi Rosenberg am 12. Oktober 1943 ums Leben kam. Am 4. November 1943 wurde seine Mutter, Anna Rosenberg, informiert.

Die Mörder im weißen Kittel aus dem Krankenhaus Langenhorn 

Von Langenhorn gingen 1943 und im folgenden Jahr viele Transporte in verschiedene Anstalten, etwa nach Meseritz-Obrawalde im heutigen Polen, nach Bernburg, Brandenburg und Gnesen (heute Polen). Dort wurden die Menschen ermordet. Insgesamt ließen die Ärzte bis Kriegsende mehr als 3.600 Menschen aus Langenhorn in Tötungs- und Verwahranstalten deportieren. Darunter waren jüdische Patientinnen und Patienten, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Sinti und Roma wie der Sinto Willi Rosenberg sowie psychisch kranke Wehrmachtsangehörige. Mindestens 2.400 von ihnen wurden ermordet. Das Schicksal weiterer Hunderter Patientinnen und Patienten ist bis heute ungeklärt. In Langenhorn selbst töteten die Ärzte in den Jahren 1941 bis 1943 mindestens 20 Kinder.

Diese Anstalt hatte sich sich Anfang der 1940er Jahre zu einem der zentralen Tötungsorte in Nazi-Deutschland entwickelt. Die tägliche Selektion zur Ermordung wurde vom medizinischen Personal vor Ort getroffen, der Mord selbst individuell durch das diensthabende Pflegepersonal ausgeführt.

Der Kriminalbeamte Nordenbruch wird 1948 in Dänemark als Kriegsverbrecher verurteilt 

Paul Nordenbruch war Mitglied der NSDAP. Zum Zeitpunkt der Misshandlungen von Willi Rosenberg im April 1939 war er gerade zum Kriminaloberassistenten befördert worden. Anfang 1943 wurde er zum Kriminalsekretär ernannt und gleichzeitig zum SS-Staffelsturmschaführer befördert. Am 29. Juli 1944 wurde er nach Berlin abgeordnet und der Sicherheitspolizei in Dänemark (Einsatzgruppe VI S) zugeteilt.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 221-10_702

In seiner Zeit in Dänemark begann Paul Nordenbruch viele Verbrechen und wurde nach der Befreiung Dänemarks dafür am 28. September 1948 in Kopenhagen in Abwesenheit wegen Kriegsverbrechen verurteilt. „Der Beschuldigte ist durch Urteil der 23. Gerichtsabteilung des Stadtgerichts Kopenhagen vom 28.9.1948 wegen Mißhandlung dänischer Staatsangehöriger bei polizeilichen Vernehmungen zur Herbeiführung von Aussagen und Geständnissen sowie wegen Kriegsverbrechens auf Grund desselben Sachverhalts verurteilt worden. Das Urteil hat Rechtskraft erlangt”, heißt es in einem Disziplinarverfahren in Hamburg gegen Nordenbruch 1951.

Was waren die Gründe für die Verurteilung von Nordenbruch als Kriegsverbrecher?

In Kopenhagen hatte es im Juni, Juli und September 1944 mehrere Generalstreiks gegen die deutschen Besetzer gegeben. Im September 1944 lösten die Nazis die dänische Polizei auf. Der bewaffnete Widerstand in Dänemark und vor allem Kopenhagen nahmen zu. Mit aller Macht sollte der dänische Widerstand gebrochen werden. Paul Nordenbruch hatte von Dezember 1944 bis Februar 1945 für die deutsche Polizei in Kopenhagen Personen vernommen, die Widerstand gegen die deutschen Besetzer geleistet hatten. 

Hans Rasmus Friedrichsen wurde am 7. Dezember 1944 von Nordenbruch verhört. Da sich Friedrichsen nicht zur Sache äußern wollte, hätte Nordenbruch ihm 5 bis mal 6 Schläge mit einem spanischen Rohr oder einem Gummistab versetzt. Auch bei einer späteren Vernehmung habe der Beschuldigte „Gewalt“ gegen ihn ausgeübt.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 221-10_702

Svend Erik Andersen wurde am 13. Dezember 1944 von Nordenbruch verhört. Im Verlauf von 5 bis 13 Verhören wurde er 6 oder 7 mal mit einem Gunmiknüppel schwer geschlagen worden. Die Schläge hätten an seinem Körper rote Merkmale hinterlassen, Nordenbruch soll ihm gegenüber sehr hitzig gewesen sein.

Cornet Poul Salomonsen wurde am 3. Januar 1945 von Nordenbruch verhört: Er sei damals im Laufe einer Woche etwa 10 mal von ihm vernommen worden. Dabei soll er sehr hitzig gewesen und habe ihm gegenüber mehrfach Gewalt ausgeübt. Mit einem Gummiknüppel, mit einer Reitpeitsche und mit einem nassen Handtuch ins Gesicht hätte er Salomonsen geschlagen Er hatte ihm gedroht, ihn in den Keller bringen und dass er dort erschießen werde würde, wie die anderen “Saboteurschweine”. Salomonson hätte 14 Tage lang infolge der Mißhandlungen nicht auf dem Rücken liegen können.

Björn Hansen wurde am 5. Januar 1945 von Nordenbruch verhört. “Zunächst habe er sich geweigert, Angaben zu machen, dann habe er sich mit dem Rücken über einen Stuhl legen müssen und vom Beschuldigten 10 Knüppellschläge über die Lenden erhalten. Dies sei geschehen, obwohl der er gewußt habe, daß Hansen erst vor kurzer Zeit eine Bruchoperation überstanden und noch eine Operationsbandage getragen. Die Schläge hätten starke Schmerzen im Unterleib und rote Streifen am Körper verursacht”, hieß es in dem gegen Nordenbruch 1951 eröffneten Verfahren durch die Hamburger Polizei.

Christian Vedel wurde am 10. Januar 1945 von Nordenbruch verhört. “Er sei einem sogenannten ‘scharfen Verhör’ unterzogen worden und habe dabei Faustschläge ins Gesicht erhalten. Ferner habe man ihm Schläge mit einem Gummiknüppel über den Rücken verabfolgt. Ihm seien Handschellen angelegt worden. Seine Arme seien ihm auf den Rücken gedreht worden. Während andere seine Beine festgehalten hätten, habe Nordenbruch ihm mit einem Gummiknüppel und einem schweren Stock auf den Rücken, die Lenden und das Gesäß geschlagen. Er habe ihm auch ins Gesicht geschlagen, sowohl mit der flachen Hand als auch mit der Faust … Seine Handgelenke haben geblutet. Die Handschellen hätten scharf hineingeschnitten. “

Börge Gustav Rasmussen wurde am 28. Januar 1945 von Nordenbruch verhört. Er hatte sich gegenüber ihm  geweigert, seinen richtigen Namen anzugeben: “Daraufhin habe der Beschuldigte ihm mehrere Schläge mit geballter Faust an den Hals versetzt.” 

Bernhard Arne Poulsen wurde Anfang Februar 1945 von Nordenbruch verhört. “Er sei mit Handschellen gefesselt, die Beine seien mit einem zusammengebunden worden. So habe man ihn über eine Bettkante gelegt. Ein Mann habe sich in seinen Nacken gesetzt und ein anderer habe ihm mit einem Rohrstock oder einem Gummiknüppel etwa 100 Schläge vom Nacken bis zu den Fersen herunter verabfolgt. Er habe während dieser Mißhandlungen mehrfach die Besinnung verloren und erhebliche Körperschäden zurückbehalten.”

1952 wird Nordenbruch in Hamburg rehabilitiert 

Aufgrund der Verurteilung in Kopenhagen wurde Nordenbruch 1951 von der Polizei in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er wehrte sich dagegen.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 221-10_702

Am 28. November 1952 entschied die Dienststrafkammer beim Landesverwaltungsgericht Hamburg, dass er wegen der Vergehen in Kopenhagen 1944/1945 freizusprechen sei. „Wenn endlich feststeht, dass die Taten ausschließlich in der Zeit von Ende 1944 bis in den Februar 1945 begangen sind, dann sieht die Dienststrafkammer als erwiesen an, dass die Übergriffe allein aus den Umständen der damaligen Zeit geboren worden sind, und dass die Beschuldigten sich einwandfrei gehalten hätten, wenn sie nicht in diese Lage versetzt worden wären. Können diese Dinge aber nur aus den besonderen Verhältnissen der damaligen Zeit verstanden werden, dann darf die Verantwortung hierfür nicht den Beschuldigten aufgeladen werden, die kleine Männer gewesen sind und Anweisungen auszuführen hatten. Bei ihnen, die den Verhältnissen nicht ausweichen konnten, liegt demnach kein disziplinarrechtlich beachtliches Verschulden. Die Beschuldigten waren mangels Verschuldens freizusprechen.“

Willi Rosenberg wurde nie rehabilitiert

Seine in Hamburg zu verantwortenden Vernehmungen in der NS-Zeit wurden nicht überprüft. Die Familie von Willi Rosenberg erfuhr für die an ihm begangenen Verbrechen niemals eine Rehabilitierung oder finanzielle Entschädigung für den Sohn bzw. Bruder.

Schreiben Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.