Ein weiterer Beitrag über einen der Zwangssterilisierten Roma und Sinti in der Frauenklinik des AK Altona zwischen November 1944 und Februar 1945. Diese Info habe ich in der Bachstraße 121 verteilt. Hier hat er in den 1960er Jahren gewohnt.
Es gibt mehr über die Menschen zu erzählen. Im Zusammenhang mit der Kundgebung sind es reduzierte Texte, da sie sich aus meiner Perspektive an Menschen richten, den mehr erzählt werden muss um das Grundthema. Zu einigen gibt oder wird es noch weitere Erzählungen geben, die in Planung sind.
Joseph W. wurde am 1. September 1911 in Reinstorf bei Hannover geboren. Er war mit Elisabeth G. verheiratet, das Paar hatte ein Kind. Am 15. Februar 1945 wurde er in der Frauenklinik des AK Altona in der Bülowstraße 9 zwangssterilisiert. Zwei Tage zuvor, am 13. Februar 1945, hatten Beamten der Hamburger Kriminalpolizei ihn ins Krankenhaus gebracht.
Er wurde misshandelt, da er ein Sinto war. Das erklärte Ziel der Nazis in der NS-Zeit war es, alle Juden sowie Sinti und Roma in Europa zu vernichten.
Ab Mai 1940 wurden die in Hamburg lebenden Sinti und Roma über den Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity) in den Osten deportiert. In der ersten Deportation waren es fast 1.000, zwei weitere Deportationen aus Hamburg ins KZ Auschwitz erfolgten im März 1943 und April 1944. Nicht deportiert wurden die Sinti und Roma, die mit einem Mann oder einer Frau aus der damaligen Mehrheitsgesellschaft verheiratet waren. Die Nationalsozialisten verfolgten jedoch das Ziel, auch diese Sinti und Roma – wie auch die jüdische Bevölkerung – vollständig zu vernichten. Ihre Fortexistenz sollte verhindert werden, da man glaubte, ihr „Blut“ könne die „Eigenschaften des deutschen Blutes“ schaden. Diese grausame Ideologie hatte Millionen Anhänger.
1941/42 im Ghetto von Siedlce und Warschau
Joseph W. war Kraftfahrer und übte diesen Beruf in Hamburg bis zu seiner Einberufung in die Wehrmacht aus. Am 28. Februar 1940 wurde er eingezogen, doch Ende Januar 1941 aus „rassenpolitischen Gründen“ entlassen , da es einen entsprechenden Befehl gab, dass Sinti und Roma nicht mehr in der Wehrmacht sein sollten. Er wurde von der Front ins Ghetto Siedlce im besetzten Polen deportiert. In der Stadt hatte die SS ein bewachtes Ghetto eingerichtet, in dem etwa 15.000 Juden lebten. In einem separaten Gebäudekomplex wurden deutsche Sinti und Roma festgehalten, die im Mai 1940 deportiert worden waren. Beide Gruppen mussten in der Stadt und Umgebung Zwangsarbeit verrichten. Ende 1941 wurde Joseph W. nach Warschau deportiert. Ende 1942 sollte er in einer sogenannten Bewährungseinheit der Wehrmacht eingezogen werden, jedoch wegen seiner Herkunft erneut entlassen und kehrte nach Hamburg zurück. Dort meldete er sich bei der Polizei und dem Arbeitsamt. Die erste Zeit musste er in einer Papierfabrik arbeiten.
Sinti und Roma in Hamburg zur Zwangsarbeit gezwungen
Wie jüdische Menschen wurden auch Sinti und Roma, die in der Zeit noch lebten, in Hamburg zur Zwangsarbeit in bestimmte Unternehmen geschickt. Joseph W. arbeitete zunächst bei Max Wiede (April bis Juli 1944), danach bei Walter Munck (bis April 1945). Munck erklärte später: „Die Zuweisung des Genannten erfolgte im Rahmen einer Gruppe von Juden und Sinti … Die Überwachung erfolgte durch die Gestapo.“ Seit August 1944 war die Stadtreinigung/Aufräumamt für den Einsatz von Zwangsarbeitern verantwortlich. Joseph musste jetzt wochentags von 7:30 Uhr bis 17 Uhr in den Trümmergebieten Hamburgs arbeiten, auch an Wochenenden und sogar nachts auf Abruf musste er zur Verfügung stehen.
Sterilisation erfolgte willkürlich
In der Zeit Ende 1944 bis Februar 1945 wurden neben Joseph W. weitere 12 Sinti und Roma zwangssterilisiert. Die Zwangssterilisation von 13 Sinti und Roma im Frauenkrankenhaus Altona, die zwischen November 1944 und Januar 1945 durchgeführt wurde, erfolgte ohne rechtliche Grundlage. In keinem der insgesamt 13 Fälle lag eine gerichtliche Entscheidung vor, dass der Staat diese Entscheidung trifft. Bereits seit 1934 wurden kranke Menschen sterilisiert. Dazu war ein so genannter Erbgesundheitsgericht eingerichtet worden, das darüber entschied. Auch wenn der Inhalt des Gesetzes gegen jede Menschenrechte verstieß, pro forma wollten die Nazis das Gesicht wahren. Es wurde ein Gutachter vom Gericht gestellt und dann beschlossen. Auch wenn die Entscheidung schon vorher feststand, bei den Sinti und Roma handelten die Ärzte des AK Altona ohne diesen Beschluss. Später beriefen sie sich, dass es ihnen befohlen wurde und verwiesen auf einen Erlass des Reichsinnenministers aus 1943.
Joseph W. kämpfte nach 1945 um seine Rechte
Tragischerweise musste Joseph W. nach 1945 um seine Rechte kämpfen, da ihm Entschädigungen aufgrund seiner Herkunft verwehrt wurden. Auch in den offiziellen Schreiben finden sich zahlreiche rassistische Beleidigungen. Statt die Verbrechen aufzuklären, versuchten die Behörden, die Beweispflicht auf die Opfer abzuwälzen.