Bis Sommer 2019 will die DuMont Mediengruppe klären, ob sie einen Teil ihres Geschäfts verkauft. Gehandelt wird der Zeitungsbereich, DuMont spricht von „Teilportfolio“, ohne explizit die Zeitungen oder alle Zeitungen zu nennen. Meine Kollegin Renate Gensch und ich wurden bezüglich unserer Erfahrungen beim Verkauf von Zeitungsunternehmen aus Sicht der Betroffenen Arbeitnehmer/innen interviewt.
Renate Gensch, kurz zu Dir: Wie lange warst Du im Berliner Verlag, wie lange Betriebsratsvorsitzende?
Ende 1991 habe ich im Berliner Kurier als Lokalredakteurin, kurze Zeit später als Polizeireporterin, angefangen. Ich kam mit einem kleinen Umweg bei Bild Neue Bundesländer von der Neuen Presse/ EXPRESS in Magdeburg, den DuMont 1991 mit noch weiteren Lokalredaktionen eingestellt hatte, zum Kurier. Alfred Neven DuMont hatte 1990 erklärt, die größte Boulevard-Zeitung des Ostens werden zu wollen. Es blieb der Mitteldeutsche EXPRESS Halle übrig – der 1995 dann auch ganz eingestellt wurde. Im Kurier wurde ich nach dem Streik 1992 zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt und seit 1997 war ich Betriebsratsvorsitzende des Berliner Verlages. Bis DuMont 2017 das damalige Unternehmen zerschlagen hat.
Wie ist es bei dir, Holger Artus?
Ich habe 1984 in der MOPO angefangen, seit 1987 war ich im Betriebsrat und seit 1994 Betriebsratsvorsitzender. 2018 habe ich aus persönlichen Gründen mein Mandat niedergelegt.
Wie geht es Euch, wenn Ihr die aktuellen Meldungen über die Prüfung des Verkaufs des Zeitungsbereichs von DuMont hört?
Renate Gensch: Natürlich ist hat mich das noch mal aufgewühlt. Ich habe mich an die Auseinandersetzung um die Zerschlagung der damaligen Strukturen im Berliner Verlag erinnert. DuMont gründete den Berliner Newsroom und über die Hälfte der Redakteure und Mitarbeiter der beiden Redaktionen von Berliner Zeitung und Berliner Kurier mussten bzw. haben das Unternehmen verlassen. Das Unternehmen erklärte, dass es ein wirtschaftlich notwendiger Schritt sei, beide Redaktionen zusammenzuführen, um die Digitale Transformation umzusetzen. Dieser Weg würde schnell zum Erfolg führen. Schon damals war es nicht nur meine Meinung, dass das Modell so nicht funktionieren wird und dass alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mittelfristig die Verlierer sein werden. Jetzt kam die Meldung, dass DuMont den Verkauf des Geschäftsfeldes Zeitungen prüfe. Ich denke nicht, dass DuMont dies prüft, weil die Zeitungen von DuMont noch Millionen ausschütten, sondern die DuMont-Erben und das Management daran das Interesse verloren haben und lieber noch Geld sehen wollen. Leider haben – insbesondere in Berlin – die jetzigen und früheren Eigentümer gerade bei der Digitalen Transformation seit Beginn des Internets viele falsche Entscheidungen getroffen. Das rächt sich jetzt auch. Als Betriebsrat hatten wir über fast 20 Jahre Fortbildung der Beschäftigten, Investitionen in technisches Know-how und die tarifliche Bezahlung der Onliner gefordert.
Holger Artus: Wie wohl alle schaut man gebannt darauf, was jetzt passieren wird. Wird DuMont sich am Ende von den Zeitungen trennen? Finden sich überhaupt Käufer für die Boulevard-Titel und die reichweitenstarken Digitalportale von express.de und mopo.de? Meine erste Reaktion am 26. Februar 2019, dem Tag der horizont-Meldung, war eine Mail an meine ehemaligen Betriebsratskollegen/innen, dass ich an ihrer Seite stehe und sie sich auf das Team in der MOPO verlassen sollten um zusammen die Kraft zu haben, die sich abzeichnende Krise zu gestalten.
Der Berliner Verlag und die Hamburger Morgenpost wurden schon mehrfach verkauft worden. Habt Ihr daran noch Erinnerungen?
Renate Gensch: Oh ja! Ich erinnere mich an alle sehr gut, da ich sie als Betriebsratsvorsitzende unmittelbar miterlebt habe. Die jeweils aufgewühlte Stimmung zwischen Wut, Enttäuschung und Sorge über das was kommt, in der ich mich auch selber befand und die Frage, was wird, was machen wir als Belegschaft? 2002 verkaufte uns Gruner+Jahr an die Verlagsgruppe Holtzbrinck. 2005 musste die uns wieder verkaufen, weil das Kartellamt die Übernahme untersagte. Ein Finanzinvestor übernahm uns 2005 und wir gingen auf die Straße – gegen die Heuschrecken. Uns einte die Sorge, dass sie alles aus dem Unternehmen „raussaugen” und uns dann irgendwann leer abstellen. Zusammen mit den Chefredakteuren der Berliner Zeitung, Uwe Vorkötter, und des Berliner Kuriers, Hans-Peter Buschheuer, nahmen wir Einfluss, was aus uns in der Zukunft wird. 2006 stiegen die Finanzinvestoren aus den USA aus und verkauften uns ganz an das englische Aktienunternehmen Mecom. Das wollte eine Rendite von 15 bis 20 Prozent realisieren. Viel Personal sollte abgebaut werden, doch es beschränkte sich fast nur auf den Mittelbau. Aus Angst vor unseren Protesten als Betriebsrat und Beschäftigte wurden sogar Pauschalisten eingestellt. Später waren Chefredakteur und Geschäftsführer eine Person. Mecom interessierte die Unabhängigkeit der Redaktion nicht, nur das Geld. Und damals waren unsere Ergebnisse noch positiv. Zum 1. April 2009, also vor fast genau zehn Jahren, übernahm uns DuMont und wurde von vielen als Retter gefeiert. Wir werden Berlin niemals mehr verlassen, so klingt es in der Erinnerung in meinen Ohren… Angesichts der Vorgeschichte von DuMont in Halle und Magdeburg war es für mich wie ein Déjà-vu. Damals war ich dort die einzig gewählte Betriebsrätin.
Holger Artus: Ich habe alle Verkäufe der MOPO miterlebt. Ich lebe in dieser Stadt und die MOPO gehört zu uns und immerhin war sie bis 1979 eine SPD-Zeitung. Damals war ich nicht Arbeitnehmer, aber nach dem Einstellungsbeschluss der SPD im Dezember 1979 war es in der Stadt das Thema und man engagierte sich als Hamburger für die Zukunft der MOPO. Sie war die einzige Nicht-Axel Springer Zeitung in Hamburg. Aktiv erlebte und begleitet ich sechs Verkäufe. Der letzte war – wie von Renate schon angeführt – die Veräußerung an die DuMont Mediengruppe.
Wenn Ihr heute noch Verantwortung hättet, was würdet Ihr jetzt machen?
Renate Gensch: Das werde ich mir nicht anmaßen. Die DuMont Betriebsräte werden wissen, was sie zu tun haben, wie sie sich auf die kommenden Prozesse einstellen. Ich habe sie als starke und organisierte Kraft in Erinnerung, die sich ihrer Rolle und Aufgaben immer bewusst waren. Gewerkschaftlich bekommen die Berliner Betriebsräte durch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di) in Berlin-Brandenburg jede Unterstützung – auch von mir als Landesvorsitzende. Niemals geht man so ganz…
Holger Artus: Ich bin nicht mehr Betriebsrat und stehe nicht vor der jetzigen Aufgabe. Es wäre falsch zu sagen, man müsste dies oder jenes tun. Das wird in den Betriebsräten geklärt, davon bin ich überzeugt. Vom Herzen bin ich ihnen sehr nahe.
Dann will ich anders fragen: Hat sich Euer Herangehen von Verkauf zu Verkauf verändert?
Renate Gensch: Klar. Natürlich war ich Arbeitnehmerin und habe mich auch gefragt, was wird aus mir? Geht der Laden jetzt in die Grütze. Aus Enttäuschung, da man den Managern geglaubt hat, wurde aber später planvolles Herangehen, so dass Arbeitnehmer-Interessen nicht auf der Strecke blieben. Insbesondere bei dem Verkauf an den Finanzinvestor, unsere „Heuschrecke”, sind wir offensiv aufgetreten und haben die Beschäftigten nicht nur aufgeklärt, sie waren mit uns auf der Straße. Die Redaktion hatte sich einen Redaktionsausschuss gewählt und hatte damit eine eigene Stimme und es gab eine starke redaktionelle Haltung für die Sicherung der Unabhängigkeit der Redaktion. Wir haben gewerkschaftliche Komitees und Aktionsausschüsse gewählt und haben uns mit Tarifforderungen zur Zukunftssicherung aufgestellt und am Ende abgeschlossen. Aufgewühlte und einbezogene Belegschaften, eine redaktionelle Vertretung, gewerkschaftliche Tarifkommissionen und uns als Betriebsrat, all das hat uns schnell eine neue Identität für die Übergangsphase gegeben. Die Medienöffentlichkeit hatte damals eine besondere Rolle, da das erste Mal Finanzinvestoren in den deutschen Zeitungsmarkt eingestiegen sind. All diese Erfahrungen haben wir natürlich bei kommenden Herausforderungen und Situationen im Kopf gehabt und eingebracht.
Holger Artus: Von Verkauf zu Verkauf wird man schlauer. Unsere Rolle war es, in der Phase des Identitätsverlustes und der Desorientierung eine Arbeitnehmer/innen-Identität aufzubauen, wie Renate es beschrieben hat. Das geht nur mit der Einbeziehung der Belegschaft und Aufklärung. Ich erinnere mich, dass wir sogar unter dem englischen Eigentümer eine gemeinsame Tarifkommission zwischen den beiden Standorten gebildet haben, so dass man uns nicht gegeneinander ausspielen konnte. Man hat auf die Entscheidung, ob verkauft wird oder nicht, im Wesentlichen keinen Einfluss. Aber man kann darauf vorbereitet sein. Ein Unternehmen verkauft, in dem es sein Portfolio bereinigt. Ein anderes kauft es, um seine Synergien mit dem Neuen zu optimieren. Im Kern geht es um die Erschließung der gemeinsamen Potentiale. Man kommt von der Unternehmensphilosophie A zur Unternehmensphilosophie B. Dahinter steht eine andere Art, wirtschaftlich zu agieren und Wachstumspotentiale zu definieren und zu erschließen. Als Betriebsräte können wir kein Unternehmen führen, aber wir können durch unsere Aufstellung dafür sorgen, dass der Erwerber uns ernst nimmt.
DuMont hat erklärt, dass sie einen Verkauf ihres Portfolios prüfen. Es ist aber noch keine Entscheidung gefallen. Wie sehr Ihr das?
Renate Gensch: Erstens würden wir es alle wissen, wenn Teile verkauft worden wären. Also kann keine Entscheidung getroffen sein. Ich erinnere mich an das Bieterverfahren 2002, als G+J gesagt hatten, dass sie sich strategisch neu aufstellen und ihren Zeitungsbereich verkaufen wollen. Wir wussten also, dass etwas passiert. Wer in welchem Zimmer am Ende den Zuschlag bekommt, das wusste G+J zu dem Zeitpunkt auch nicht. Am Ende des Tages des Bieterverfahrens kam die Entscheidung, dass Holtzbrinck den Berliner Verlag kauft. Danach wurde auch informiert. Die Verträge waren unterschrieben, vorher gab es nun mal keine Entscheidung.
Holger Artus: Ja, so ist es. Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Irgendwann kommt die Entscheidung und dann weiß man es. Betriebsräte müssen ihren Job machen. Da ging es uns gewissermaßen genauso wie den Unternehmen. Was soll man nach außen sagen, wenn man nichts weiß? Ich wusste immer, was von den Beteuerungen der MOPO-Verkäufer zu halten war, wenn sie mir sagten, sie verkaufen auf keinen Fall oder es verneinten. So ist das Leben. Es hatte mich nie davon abgehalten, meinen Job zu machen, eben als Betriebsrat. Dazu gehört, dass Zeit immer eine Rolle spielt. Dabei geht es auch um die Zeit, die man gewinnt, wenn man vor der Unternehmensmitteilung weiß, dass der Verkauf kommt oder etwas anderes passiert. Das kann das vorproduzierte Betriebsrats-Info sein, die Abstimmung mit den Gewerkschaften oder anderes. Rückblickend möchte ich sagen, dass Renate und ich immer einen Fahrplan für den Tag X und unsere Prioritäten festgelegt hatten.
Das klingt aber sehr gleichgültig?
Renate Gensch: Nein, Gleichgültigkeit ist nicht angesagt als Betriebsrat. Ein Verkauf oder eine Trennung von Geschäftsfeldern und Beteiligungen, damit muss man sich als Betriebsrat beschäftigen, sogar sehr intensiv. Man muss um seine Rolle und um seinen Platz wissen. Ich muss die Kraft nicht mehr in „das Alte“ vergeuden, sondern mich auf „das Kommende“ vorbereiten, den Blick immer auf die Sorgen und Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen ausrichten. Der Stress kommt doch erst, wenn verkauft wurde und das Kartellamt zugestimmt hat. Ein Verkauf kommt, wenn darüber informiert wurde, aber damit ist er noch nicht abgeschlossen. DuMont z.B. war sich mit Mecom am 6. Januar 2009 einig, Eigentümer wurden sie erst, nachdem das Kartellamt zugestimmt hatte, alle Dinge zwischen Käufer und Verkäufer geklärt und der Betrag überwiesen wurde. Ich denke Ende März 2009 war DuMont Eigentümer des Berliner Verlages. Bis dahin hatte der alte Besitzer komplett das Sagen. Ich erinnere mich an meine Gespräche mit dem Kartellamt, die immer nachgefragt hatten, ob die „Neuen” vor ihrer Kartellamts-Entscheidung was angeordnet hätten. Das hätte zu einer Unterlassung führen können.
Was kommt auf die Belegschaften zu?
Renate Gensch: Natürlich mache ich mir Sorgen, was aus der der Redaktion des Berliner Kuriers, aber auch der Berliner Zeitung wird. Für Berlin hatte kürzlich Uwe Vorkötter die „Berliner“ Optionen beschrieben. Wenn ich das zu Grunde lege, mache ich mir große Sorgen.
Holger Artus: Man wird es sehen, wenn es eine Entscheidung gibt, wie auch immer sie aussieht. In den Medien werden alle möglichen Optionen gehandelt.
Renate, Du bist kürzlich wieder in den Bundesvorstand der dju in ver.di gewählt worden. Wie seht Ihr die publizistische Herausforderung?
Renate Gensch: Zeitungen und Medien grundsätzlich sind ein unverzichtbarer Bestandteil zum Erhalt unserer demokratischen Grundordnung. Sie informieren die LeserInnen und BürgerInnen über die Ereignisse im Lokalen, in der Politik, der Wirtschaft, bieten Service für alle Lebensbereiche, recherchieren, ordnen ein und decken auf, legen den Finger in die Wunde, wenn irgendwo irgendwas schiefläuft. Dahinter stehen die Menschen, die Redakteurinnen und Redakteure, die Freien Journalistinnen und Journalisten, die ihren Beruf lieben und ihre Aufgabe ernst nehmen – seit Gründung der Bundesrepublik. Bei vielen Verlagen zweifele ich an diesen hehren publizistischen Zielen.
Nach hohen zweistelligen Renditen der Zeitungsverlage haben in den vergangenen 15 bis 20 Jahren Verlagsmanager das Ruder übernommen, die manchmal auch für eine Schraubenfabrik hätten arbeiten können. Hier zählt nur noch das Controlling, die Zahlen, nicht mehr die verlegerische Aufgabe. Das haben zunächst die Verlagsangestellten zu spüren bekommen, durch Abbau und Tarifflucht, seit einigen Jahren die Redakteure und Journalisten. Insbesondere die Entwicklung des Internets haben die meisten Verlage verschlafen und zu wenig in gute Technik, in Fortbildung und noch weniger in gut bezahlte Onliner investiert. Die großen Entwicklungen haben andere außerhalb der Branche gemacht. Und die Verlage hinken hinterher. Ich habe die Verlagsvertreter ja nicht nur als Betriebsrätin erlebt, sondern auch als dju-Vertreterin in Tarifverhandlungen auf Bundesebene. Da sieht es nicht anders aus als in den Betrieben. Zusammenlegungen von Redaktionen, Zentralredaktionen, Stellenabbau und Tarifflucht oder unangemessene Bezahlung, insbesondere für junge Kolleginnen und Kollegen, prägen seit Jahren unsere Auseinandersetzungen. Nicht nur im Handwerk wird der Nachwuchs rar.
Die jüngsten Abbau-Maßnahmen bei der Funke-Gruppe mit allein 350 betroffenen Kolleginnen und Kollegen in NRW und allein knapp 50 bei der Berliner Morgenpost und der Zentralredaktion in Berlin sprechen Bände. Aus Meinungsvielfalt wird immer mehr Einheitsbrei. Und das gefährdet nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch die Demokratie. Mehr Verantwortung und Mut zu Investitionen in Technik und Personal kann da nur helfen. Gutes Geld verdient man mit nur mit guten Produkten in Print und Digital. Auch dafür gibt es Beispiele.