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Holger Artus

Vor dem Landgericht in zweiter Instanz verloren, aber zufriedene Gesichter

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Am 12. Oktober 2018 kam es vor dem Gießener Landgericht zur Berufungsverhandlung der Frauenärztin, Kristina Hänel. Vom Amtsgericht Gießen war sie 2017 zu einer Strafe von 6.000 € verurteilt worden, weil sie auf ihrer beruflichen Web-Seiten über ihren Leistungskatalog auch über den Schwangerschaft-Abbruch informiert. Sie wurde von fanatischen Frauenhassern angezeigt, da diese Web-Veröffentlichung nach deren Auffassung gegen den § 219a StrafG verstöße, der die Information über Schwangerschafts-Abbrüche zum wirtschaftlichen Zweck verbietet.

Am Morgen fanden sich rund 150 Unterstützer/innen zu einer Kundgebung ein. Auf der improvisierten Versammlung sprachen die Bundesgeschäftsführerin von Pro Familia, Vertreter der Landes-SPD, Grüne und Linke, der Liberalen Frauen sowie eine Vertreterin des Berliner Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. Das Forderungsspektrum der Rednerinnen und Redner reichte von der Streichung des § 219 a aus dem Strafgesetzbuch bis hin, dass der § 218 das Übel ist.

Im Verfahren vor dem Landgericht wurde von der Verteidigung die juristische Strategie eingeschlagen, dass der § 219 a nicht verfassungswidrig sei und das Landgericht das Verfahren so lange ausgesetzten sollte, bis von dem Bundesverfassungsgericht darüber entschieden worden sei. Das wollte der Richter am Ende nicht mitgehen, aber es gab vor der Kammer eine ausführliche Debatte, warum der § 219 a verfassungswidrig sei. Richter, Staatsanwalt und Verteidigung bedanken sich gegenseitig für diesen juristischen Diskurs. Der Richter bedankte sich dafür, dass der Rechtsstreit nach seiner Meinung mit der Stoßrichtung Bundesverfassungsgericht auf die richtige Spur gebracht worden sei. Sinngemäß meinte er, dass die Richter in den roten Roben diese Frage klären müssen.  An Kristina Hänel gerichtet, sagte er: „Sie müssen das Urteil tragen als Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz.“ Bemerkenswert war auch, dass er während seiner Begründung meinte, sich auch an einer vor dem Gericht stattfindenden Kundgebung im Anschluss des Verfahrens beteiligen würde.

Es herrschte im Kreis der Aktivistinnen allgemeine Zufriedenheit, dass neben dem politischen Druck, den verschiedenen parlamentarischen Initiative und der Ankündigung einer Kabinettsvorlage jetzt auch juristisch klar sei, wie man sich ergänzend zu den gesellschaftlichen Prozessen aufstellt. Eine Teilnehmerin sprach davon, dass mit einer Berufsverhandlung vor dem Oberlandesgericht  in Frankfurt es eine noch größere Öffentlichkeit geben dürfte als bei den vergangenen Gerichtsorten in Kassel und jetzt zum zweiten Mal in Gießen.

Bereits im Vorfeld des Berufsverfahren war es am 12. Oktober zu einer Demo gegen der § 219 a in Berlin mit 1.500 Teilnehmer/innen gekommen. Am 28. Oktober 2018 folgte eine Demo in gleiche Sache in Hamburg, an der sich über 1.000 Teilnehmer/innen Beteiligten.

Tagesspiegel-Redakteurin Andrea Dernbach meinte kommentierend zur jetzigen Kammerentscheidung: „Die Debatte um den Fall Kristina Hänel hat auch den seit Generationen umkämpften Abtreibungsparagrafen 218 wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Ärzte und Familienplanungs-organisationen beklagen, dass die fortdauernde Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs eine Infrastruktur praktisch verhindere oder empfindlich ausdünne, die es Frauen überhaupt erst möglich mache, einen straflosen Abbruch zu bekommen.“

Für die Woche ab dem 15. Oktober 2018 sind parlamentarische Initiativen u.a. vom Land Berlin im Bundesrat angekündigt worden. Die Linksfraktion hat für den Deutschen Bundestag ebenfalls eine Debatte angemeldet.  Bundesjustizministerin Barley dringt auf eine Änderung des Paragrafen 219a. Sie sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, dass Ärztinnen und Ärzte hier dringend Rechtssicherheit bräuchten. Sie sei aber optimistisch, dass die Koalition noch in diesem Herbst eine Lösung finde. Sie wolle eine rechtliche Regelung, bei der eine Verurteilung wie im Fall einer Gießener Ärztin nicht mehr stattfinden könne. „Information ist keine Werbung“, so Barley. Auch Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) hatte im Zusammenhang der öffentlichen Debatte im Vorfeld des Landgerichtstermins eine Reform des § 219a gefordert. „Wenn Frauen in so einer schwierigen Situation sind – und das ist eine extreme Ausnahmesituation -, dann brauchen sie Beratung, Information und Unterstützung“, erklärte Giffey am Freitag in Berlin.“

Hessens SPD-Spitzenkandidat sagte auf der Kundgebung, dass ihr Ziel als SPD die Streichung des § 219a sei, aber man abwarten muss, was in der Koalition entschieden wird. Sofern es von ihm der Versuch war, die Zielerreichung vorsorglich zur Disposition zu stellen, so besagt die Beschlusslage des letzten SPD-Parteitages, dass man dann einen eigenen Antrag in den Bundestag einbringen solle. Man darf gespannt sein, was für ein Gesetzentwurf demnächst für was für eine Regelung erscheinen wird und was das Kabinett beschließt, um den Entwurf in den Bundestag einzubringen. Einiges spricht dafür, dass das Thema 219a und folgend 218 weiter an Fahrt nehmen dürfte. Die SPD wird sich nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen mehr als heute mit der Frage Beschäftigten, ob die angebliche “Zurückkehr zur Sacharbeit“ in der Regierung ihren politischen Niedergang stoppen wird.

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